Es müssen für die beiden Piloten dramatische Minuten im Cockpit eines Airbus von Germanwings gewesen sein. Am Abend des 19. Dezember 2010 nahm die aus Wien kommende Crew im Landeanflug auf den Flughafen Köln-Bonn einen ungewöhnlichen Geruch wahr, eine "Mischung aus verbrannt und elektrisch Riechendem". Sie fühlten sich nach eigenen Angaben "kotzübel", registrierten ein Schwindelgefühl, griffen zu den Sauerstoffmasken und erklärten dem Tower eine "Luftnotlage". Die 149 Passagiere an Bord des Airbus A319 bekamen von der Notsituation nichts mit.
Der von der Bundesstelle für Flugunterfalluntersuchung (BFU) als eine "schwere Störung" eingestufte Zwischenfall sorgte für erst vor einem guten Jahr für Schlagzeilen, als die Braunschweiger Behörde einen vorläufigen Zwischenbericht veröffentlichte. "Beide Flugzeugführer beschrieben ihre Verfassung kurz vor der Landung als surrealistisch und wie im Traum", heißt in dem damaligen Bericht der BFU. Unklar blieb die Ursache für die merkwürdigen Dämpfe im Cockpit.
Copilot war für mehrere Monate fluguntauglich
Der am Donnerstag veröffentlichte Abschlussbericht spricht von einem plötzlichen "elektrisch-süßlichen“ Geruch. Der Kapitän bemerkte, wie ihm "im wahrsten Sinne des Wortes die Sinne schwanden" und stülpte nach dem Copiloten ebenfalls die Sauerstoffmaske über, dessen Zustand sich im weiteren Verlauf eher noch verschlechterte. Zu einem Durchstartmanöver fühlte sich die Crew nicht mehr in der Lage. Nach Auswertung der vorliegenden Daten verlief die Landung jedoch stabil, so der Abschlussbericht.
Auch am Boden war nach dem Abstellen des Flugzeuges bei geöffneten Cockpit-Fenstern noch 15 Minuten später der außergewöhnliche Geruch wahrnehmbar. Die Techniker mutmaßten zunächst, dass der Geruch mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Enteisungsflüssigkeit verursacht worden war. Kraftstoff, Öl oder elektrischer Geruch wurde definitiv ausgeschlossen. Eine medizinische Untersuchung in der Klinik zeigte jedoch, das beim Copiloten ein bestimmter Blutwert "exorbitant hoch" war und er daher für mehr als ein halbes Jahr fluguntauglich geschrieben wurde.
"Irgendetwas muss in der Luft gewesen sein"
Nach fast dreijähriger Untersuchung sagt der nun vorliegende 77 Seiten umfassende Abschlussbericht zur Ursache der Luftkontamination nicht Neues. Eine "Fehlfunktion der Klimaanlage im Flugzeug, eine Öl-Leckage im Triebwerk oder der Hilfsturbine (APU), eine Geruchsentwicklung durch Enteisungsmittel sowie eine Zufuhr von verunreinigter Luft aus der Atmosphäre" können ausgeschlossen werden.
"Irgendetwas muss in der Luft gewesen sein", sagt Jörg Handwerg von der Vereinigung Cockpit auf Anfrage von stern.de. Der Pilot zeigt sich überrascht, dass man eine ganze Reihe von möglichen Ursachen wie auch Öldampf kategorisch ausschließt. Er empfindet es als unbefriedigend, dass die Ursache nicht eindeutig festzustellen ist.
BFU kündigt Langzeitstudie an
Doch inzwischen sei die Aufmerksamkeit für kontaminierte Cockpit- und Kabinenluft bei der BFU und bei den Fluggesellschaften höher als vor noch drei Jahren, stellt Handwerg fest. In letzter Zeit häuften sich Meldungen über Geruchsbelästigungen in Flugzeugen. Dass sei kein deutsches Phänomen, wie oft als "Vernebelungstaktik" behauptet wird, so Handwerg, sondern ein weltweites Problem. "Heute haben wir mehr Hinweise auf Langzeitschäden aus medizinischer Sicht." So sind fünf Crew-Mitglieder durch ein "fume event" im Januar 2010 an Bord einer Boeing 767 von US Air bis heute fluguntauglich geschrieben.
Der Bericht der Brauschweiger enttäuscht alle, die auf weitere Konsequenzen für Treibwerk- oder Flugzeughersteller gehofft hatten. Jedoch hat die Bundesstelle angekündigt, alle zwischen 2006 und 2013 gemeldeten Vorkommnisse mit unreiner Kabinen- und Cockpitluft auszuwerten. Die Studie untersucht die ganze Bandbreite - von harmlosen Gerüchen und leichten Rauchentwicklungen bis zu Beeinträchtigungen durch Reizungen der Augen oder Nase und Einschränkungen in der Handlungsfähigkeit von Crews.
Eine Veröffentlichung ist für das erste Quartal 2014 geplant. In dem Bericht sollen "Sicherheitsdefizite" bewertet werden und "gegebenenfalls zu Sicherheitsempfehlungen" führen. Wovon der Cockpit-Crew an Bord des Germanwings-Fluges am 19. Dezember 2010 schlecht wurde, bleibt weiterhin ein Rätsel.