Dieser Text stammt aus dem stern-Archiv und wurde erstmals im März 2018 veröffentlicht.
Schon auf der Fähre erkennt man den Unterschied: Die, die häufiger nach Hooge fahren, verschwinden wortlos unter Deck. Die anderen machen sich Sorgen.

"Ist das auch das richtige Schiff?" – "Unser Gepäck liegt auf so einem komischen Wagen, kommt der wirklich mit an Bord?" – "Mein Handy hat kein Netz, finde ich trotzdem den Weg?" Irgendjemand von der Besatzung wird sämtliche Fragen mit "Joar" beantworten, was ein bisschen gemein ist, weil so ein gedehntes nordisches "Joar" überhaupt nicht beruhigend klingt. Also bleiben sie erst mal draußen stehen, Gepäck, Route und Hallig-Faltplan fest im Blick, bis die Fähre ablegt und der Wind, dieser ewige Nordseewind, alles über Bord weht. Die Pläne und die Sorgen ums Gepäck, die Fragen und den Wunsch nach Antworten. Der Wind ist laut, die Nordsee silbergrau, an Deck stinkt es nach Diesel. Vielleicht ist gerade Niedrigwasser, vielleicht bleibt die Fähre stecken. Vielleicht dauert die Überfahrt ein paar Minuten länger oder ein paar Stunden. Fest steht: Irgendwann wird man ankommen – und dann mal sehen. Dieses lose Gefühl ist das erste Geschenk der Hallig an ihre Besucher.
Das Festland liegt 18 Kilometer entfernt, je nach Wetter kann man es gerade noch erkennen. Hooge ist nach dem benachbarten Langeness die zweitgrößte Hallig im Wattenmeer; 5,78 Quadratkilometer flaches, baumloses Grasland mitten in der Nordsee. Am Fähranleger angekommen, hat man die Wahl: Links oder rechts kann man den Damm entlanglaufen, nach etwa drei Stunden Fußmarsch ist man einmal rum. Geradeaus vom Wasser weg führt die Straße zur Hanswarft, dem Zentrum der Hallig, und praktischerweise auch zu allen anderen menschlichen Behausungen.

Zehn bewohnte Warften gibt es auf Hooge, verpassen kann man keine: Egal, wo man steht, man hat immer alles im Blick. Die reetgedeckten Häuser, die auf den künstlich aufgeschütteten Hügeln eng beieinander stehen. Die gelben Planen der Pferdewagen, die im Sommer die Touristen umherfahren. Die Vogelfreunde mit ihren staksigen Teleskopen. Die grünen und roten Windjacken der Tagesgäste auf dem Weg zu Kaffee und Kuchen im Gasthaus "Blauer Pesel". Und etwas weiter entfernt auf dem Steindamm die Einzelgänger, die genau deswegen hier sind: einzeln gehen. Aufs Meer schauen. Mal sehen.