Die Gattin von Lord Cavendish liebte Shopping. Weil das Wetter in London aber vor 190 Jahren so launisch war wie heute, ließ ihr Mann eine überdachte Geschäftszeile errichten. So konnte sich Mylady ungestört dem Kleiderkauf widmen. Bis heute ist die Burlington Arcade ein Bollwerk erlesenen englischen Geschmacks.
Und seit der Kurs des Pfundes zu fallen begann, wirken die Preise, zumindest für europäische Besucher, dort gar nicht mehr so erschreckend wie noch vor wenigen Monaten. Lederhandschuhe mit Cashmere-Innenfutter sind im Schaufenster von Sermoneta Gloves mit gerade mal 50 Pfund ausgezeichnet, das sind umgerechnet weniger als 57 Euro. Und 100 Milliliter des Eau de Toilette Blenheim Bouquet, einst Lieblingsduft von Winston Churchill, ist beim traditionellen Parfümeur Penhaligon's für umgerechnet 78 Euro zu haben - vor einem Jahr waren es noch rund 100 Euro.
London ist bekannt für seine Qualitätswaren. Nur waren sie bisher für Besucher aus Euroland unverhältnismäßig teuer. Wer also beispielsweise eine Vorliebe für handgefertigte Schuhe hat, sollte sich jetzt auf den Weg machen.
Luxuriös Shoppen
Die Burlington Arcade versammelt viele altmodisch eherne Qualitätsgeschäfte. Bei den Juwelieren Ogden hat bereits Ingrid Bergman eingekauft, Fred Astaire besaß mindestens neun Paare Schluffen aus englischer Herstellung, alle bei Schuhmachern in der Arcade erstanden. Wie 1819 patrouillieren immer noch vier Privatpolizisten in edwardianischen Uniformen auf und ab. Früher dienten sie als Wahrer der Etikette und verbannten die verpönten Kinderwagen und offenen Regenschirme aus den Arkaden. Heute erklären die Beadles den Besuchern vor allem, wie sie am schnellsten nach Trafalgar Square kommen oder wo Tee der Marke Jackson's zu finden ist.
Wer es etwas weniger ehrwürdig haben möchte, hat es von der Burlington Arcade nicht weit zu den Einkaufsstraßen der Regent, Oxford oder Carnaby Street. Im Angesicht der Finanzkrise kämpfen hier die großen Filialen von Top Shop bis Marks & Spencer um Kunden. Was schlecht ist für den Einzelhandel, ist gut für den Shopaholic: Seit Monaten reiht sich eine Sonderaktion an die nächste. Die Frühjahrsmode wurde heruntergesetzt, kaum dass sie in den Regalen lag.
Den Preiskampf in London hat auch die riesige neue Shopping-Mall Westfield im Westen der Stadt befeuert, die vergangenen Oktober mit großem Pomp und einem Konzert mit Leona Lewis eröffnet wurde. Auf 150.000 Quadratmetern präsentieren sich hier 265 Geschäfte und 49 Restaurants. Es wurden extra zwei U-Bahn-Stationen renoviert, um Menschen aus der Innenstadt nach Shepherd's Bush zu locken.
Futuristisches Ambiente
Das Aussehen dieses Shopping-Monsters liegt irgendwo zwischen Flughafen- Terminal und Raumschiff. Eine Wabendecke lässt natürliches Licht hindurch und schützt vor dem Londoner Wetter, die Gänge sind hell und luftig. Ein Sonderbereich namens "The Village" beherbergt neben pinkfarbenen Kristallleuchtern und riesigen Orchideen Luxusgeschäfte wie Tiffany und Prada.
Die Idee, verkündeten die australischen Inhaber, sei, das Einkaufen demokratischer zu machen. Jeder werde überall willkommen geheißen, ob mit Tüten von H & M oder Gucci. Das hat nur leider niemand den grimmig dreinschauenden Türstehern gesagt, die vor den Eingängen zu Burberry und Louis Vuitton genauso Position bezogen haben wie auf der Bond Street in Londons Innenstadt, wo sich bisher die Luxusmarken angesiedelt haben.
Mehr Spaß macht das Geldausgeben im Hauptteil der Einkaufskathedrale. Vor der Filiale des Abercrombie & Fitch-Ablegers Hollister und vor dem Bequem-Schuh- Hersteller Uggs bilden sich lange Schlangen, Finanzkrise hin oder her. Größtes Problem ist für viele Kunden die Überforderung ihres Orientierungssinns angesichts des wahnsinnigen Angebots.
Die Gänge in Westfield schlängeln sich in Form einer Acht ineinander und aneinander vorbei, man scheint niemals richtig anzukommen und war doch schon überall. Für alle, die das Überangebot erschlägt, hat Westfield Abhilfe bereitgestellt: Man kann sich Stylisten mieten, die für 100 Euro pro Stunde herausfinden, was wirklich zur Kundin passt - ob aus Anlass einer Hochzeit oder als Grundstock für den Kleiderschrank zu Hause.
"Die Leute kaufen weniger, aber dafür in besserer Qualität", sagt Modemacher und Schneider Timothy Everest. Er residiert weit weg vom Konsumrausch in Westfield am anderen Ende der Stadt, in einem Haus von 1742 in Shoreditch, Ostlondon. Zwischen den Häusern ist das inoffizielle Wahrzeichen der Londoner City zu sehen, die "Gherkin", ein vom Architekten Norman Foster entworfenes Bürohaus.
Everest entwirft Anzüge, und er schneidert sie so gut, dass er neben Premierminister Gordon Brown schon David Beckham und Tom Cruise ausgestattet hat. In seiner Werkstatt dreht sich alles um alte handwerkliche Qualität. Im Keller hängen Hunderte braune Packpapier-Schablonen, das Kundenarchiv der vergangenen Jahre, und über eine knarzige Holztreppe erreicht man die Anproberäume - dezent grün gestrichen, mit Regalen voller Textilmuster. Im Beratungszimmer steht ein stilvolles altes Sofa mit frisch bespannten Seidenkissen. Die Drehschalter für die Deckenlampen hat Everest aus einer psychiatrischen Anstalt in Wales gerettet, bevor die abgerissen wurde.
Für die Beatles und die Stones
Das Auge für die richtige Mischung aus Alt und Neu hat den Schneider bekannt gemacht. Er hat bei Timothy Nutter gelernt, dem Ausstatter der Beatles und der Rolling Stones. In den 80er Jahren litten die britischen Anzugmacher unter dem Ruf, steif zu sein. Immer mehr Kunden, vor allem junge Männer, hatten keine Lust mehr auf die affektierten und gegenüber Laien oft hochnäsigen Berater in den Geschäften.
Everest kombiniert freundlichen Service mit angesagtem Ambiente. Zu ihm kann jeder kommen, mit jeder Frage. Für einen deutschen Kunden näht er gerade ein Schimpfwort in die Außentasche des Blazers: "Der streicht immer darüber, wenn ihn bei einem Geschäftstreffen etwas aufregt. Und kann dann wieder lächeln."
Acht Wochen dauert es vom ersten Beratungsgespräch bis zum fertigen Einzelstück, mindestens viermal wird angepasst, neu genäht und wieder anprobiert. Wer nicht so viel Zeit (oder Geld) mitbringt, kann sich auch vorgefertigte Anzüge anpassen lassen. Die kosten dann kaum mehr als ein gutes Stück von der Stange: 795 Pfund oder 900 Euro. Und sind damit ein ganz persönliches, typisch britisches Schnäppchen.