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Preisschock in der Schweiz Skitouristen verzweifelt gesucht

Will die Schweiz den Wintertourismus abschaffen? Mit der Aufwertung des Frankens vermiest der Staat den Skiorten die Saison. Doch einige Hoteliers reagieren kreativ, wie ein Besuch im Engadin zeigt.
Von Andres Eberhard, Zürich

Eigentlich wäre es Zeit für eine Feier. Vor 150 Jahren haben die ersten Touristen den Winter in der Schweiz verbracht. Einer Gruppe von Engländern soll es damals in St. Moritz so gut gefallen haben, dass sie bis Ostern geblieben sind. "Braungebrannt, erholt und glücklich" seien sie heimgekehrt. So die Legende.

Doch von Partystimmung ist in St. Moritz derzeit keine Spur. Die Open-Air-Bar vor dem Hotel Hauser, wo sich die Skigäste zum Après-Ski treffen, ist an diesem sonnigen Nachmittag verwaist. Eine Handvoll Gäste steht verloren an der Bar herum. Ein älterer Mann mit Schnurrbart und Skihelm nippt an seinem zweiten Bier. "Januarloch", sagt er. Der Mann ist ein Skitourist, er kommt aus Hamburg.

"Schock für Graubünden"

Ein Loch mitten in der Hochsaison, trotz Neuschnee und perfektem Wetter. Das sagt viel aus über die Krise, die den weltbekannten Kurort St. Moritz und mit ihm den Schweizer Wintertourismus erfasst hat. Das Geschäft vermiest hat ausgerechnet der Staat: Die Schweizer Nationalbank beschloss vergangene Woche, die Anbindung des Frankens an den Euro aufzuheben.

Der Wert des Euros fiel innerhalb weniger Stunden von 1,20 Franken um ein Fünftel. Seit Donnerstag und den Interventionen der Europäischen Zentralbank im Devisenmarkt ist ein Franken sogar mehr Wert als ein Euro. "Schock für Graubünden", titelte die lokale Zeitung nach der Staatsmaßnahme.

Die zahlungskräftigen Russen fehlen

Die hohen Preise haben zur Folge, dass sich der durchschnittliche EU-Bürger Urlaub in der Schweiz praktisch nicht mehr leisten kann. Der Norddeutsche, der an der Open-Air-Bar ein Bier bestellt, hat zwei Tage vor Abreise vom "Frankenschock" erfahren. "Mein Urlaub war auf einen Schlag um 300 Euro teurer." Doch wenn er schon hier ist, möchte er sich die Ferien nicht vermiesen lassen. "Die Gerstensuppe in der Skihütte schmeckt mir so gut wie immer", sagt er, und fügt an, "das Bier auch." Nur ist alles 20 Prozent teurer als ohnehin: das Bier 5, die Suppe 15, der Skipass 75 Euro.

Nicht alle lassen sich diese Preise gefallen. Vom Billig- bis zum Hochpreissegment - die Hotels in St. Moritz haben mit den Folgen zu kämpfen. In der Jugendherberge stornierte eine ganze Schule aus dem EU-Raum die Skiferien aufgrund des Wechselkurses.

Und die vielen Luxushotels in St. Moritz - Kulm, Carlton oder Kempinski - haben nicht nur mit dem schwächelnden Euro zu kämpfen, sondern auch mit dem Rubel. Die russische Währung taumelt seit Längerem. Zudem rief Putin aufgrund der EU-Sanktionen zu Ferien in der Heimat auf. Das hat Folgen für den bei Russen beliebten Nobelkurort St. Moritz.

Alter Wechselkurs als Sofortmaßnahme

Weil ihnen der Staat die Kunden verscheucht, nehmen Hotelbetreiber das Währungsgeschäft nun selbst in die Hand. Zum Beispiel Benno Meisser, Chef des gleichnamigen Hotels in Guarda, einem abgeschiedenen Postkartendorf im Unterengadin, bekannt durch die in acht Sprachen übersetzte Kindergeschichte "Schellen-Ursli", die hier spielt. Meisser setzt den Kurs selbst. "Ein Euro ist bei uns immer noch 1,20 Franken wert", sagt er.

Meisser, ein Mann mit Bart um die 40 Jahre alt, führt den Familienbetrieb in der fünften Generation. Das Hotel Meisser ist ein gutes Mittelklassehotel mit 21 Zimmern. "Noch am Tag des Crashs erhielten wir etwa zehn Anrufe und 15 E-Mails", so Meisser. Darunter viele Absagen. Immerhin: Dank der Sofortmaßnahme nahmen viele ihre Absagen zurück. "Wir wussten sofort, dass wir handeln mussten."

Nicht nur preislich ist die Konkurrenz aus dem nahgelegenen Tirol überlegen. Dort werden Hotels teilweise vom Staat subventioniert. Ganz im Gegenteil der Schweizer Staat, der der Tourismusbranche mal wieder Steine in den Weg legt. "Der Zeitpunkt war sehr unglücklich", sagt Meisser. Nicht nur, weil man im Engadin Jubiläum feiern wollte, sondern auch für ihn persönlich. "Im vergangenen Jahr haben wir zwei Millionen Franken in einen Umbau investiert. Nun müssen wir schauen, dass wir überleben."

Man spricht kaum Schweizerdeutsch

Der Schweizer Wintertourismus kämpft noch mit anderen Problemen als nur mit der Währung. So stagniert die Zahl der Hotelübernachtungen bereits seit 20 Jahren. Und die Schweizer selber überlassen das Geschäft mit dem Alpentourismus immer mehr Saisonkräften aus anderen Ländern. In den Skigebieten stammen häufig bis zu 80 Prozent der Arbeiter aus dem Ausland. Auch der Busfahrer hinunter zum Bahnhof von Guarda spricht kein Schweizerdeutsch. "Eingewandert aus Berlin", sagt er. Er kam als Wanderleiter zum Hotel Meisser, seit vier Jahren fährt er das Postauto.

Viele Einheimische verlassen sogar ihre Heimatdörfer. In Silvaplana, einem Nachbardorf von St. Moritz, gehören inzwischen die meisten Häuser Fremden. Mit Folgen: Die touristische Entwicklung blieb auf der Strecke. So gibt es heute nur eine einzige Bar im Dorf. Außerdem zerstritten sich Einheimische und Zweitwohnungsbesitzer, statt dass sie den Ort für Touristen attraktiver gemacht hätten.

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