Es wird wieder gefeiert in Paddy's Pub. Vor allem Australier, aber auch Deutsche und andere Europäer kippen Bier in sich hinein und tanzen leicht bekleidet zu 80er-Jahre-Musik ab. Ballermann-Atmosphäre. Niemand scheint sich daran zu stören, dass dieser Pub das Remake des alten Paddy's ist. Das ist einer der beiden Clubs, die am 12. Oktober 2002 beim Terroranschlag in Balis Party-Ort Kuta in die Luft geflogen sind. 202 Menschen starben, darunter 88 Australier und sechs Deutsche. "Ich komme seit elf Jahren und sehe keinen Grund, das nicht auch weiterhin zu tun", sagt Garry Arbuckle aus Melbourne, "in New York ist das Risiko größer."
Nur 50 Meter weiter drängeln sich Familien vor den Wunden, die die Bomben gerissen haben. Touristen fotografieren sich vor einem mit Kränzen und Andenken behängten Bauzaun, hinter dem einmal der Sari Club stand. Ab und zu legt einer eine Rose hin oder unterschreibt auf einem der "Fuck Terrorist"-T-Shirts, die nicht nur am Zaun baumeln, sondern von Einheimischen und Gästen auch überall auf der Insel getragen werden. Im Nachbarhaus wird noch renoviert. "Zu vermieten" steht am Eingang. Auf dem Grundstück des ehemaligen Paddy's wachsen Bananenstauden.
"Bali ist wie ein Stück Zucker. Und wo es Zucker gibt, kommen Ameisen", sagt Reiseunternehmerin Cok Ratih, die mit dem Tourismus in ihrer Heimat groß geworden ist. Der Zucker - das sind die langen Sandstrände mit den perfekten Wellen und Sonnenuntergängen wie aus dem Bilderbuch. Das sind die üppigen Wälder und Reisterrassen, die die bizarre Vulkanlandschaft in ein Tropenparadies verwandeln. Und natürlich die einzigartige Mischung aus hinduistischer Religion und uralter Kultur, mit der die Balinesen in ihren traditionellen Künsten und bunten Tempelzeremonien bis heute weiterleben. Die Ameisen kommen wieder. Allerdings noch nicht in solchen Scharen, wie es in den ineinander gewachsenen Strandorten Kuta und Legian auf den ersten Blick scheint. Im Hinterland sind Besucher rar. "Es ist zwar nicht völlig leer, aber mit unserer Hochsaison hat das nichts zu tun", muss auch Cok Ratih zugeben. Dem völligen Einbruch in den beiden Monaten nach dem Anschlag folgte das erste Halbjahr 2003 mit durchschnittlich 40 Prozent weniger Touristen als im Vorjahr, von den Deutschen blieb sogar die Hälfte weg.
Sanur etwa, die schon immer etwas ruhigere Alternative an der Ostküste, erscheint trotz Hauptferienzeit wie ausgestorben. Die vereinzelten Touristen, die an der fünf Kilometer langen Promenade spazieren, haben sie für sich allein. Doch der Traum vom einsamen Palmenstrand schlägt angesichts der gähnend leeren Cafés und Souvenirläden um in einen Albtraum, sobald sich die frustrierten Händler auf die wenigen Besucher stürzen.Die meisten Urlauber ziehen daher die großen Hotels und Resorts vor, die den Reisewilligen Fünf-Sterne-Komfort zu Drei-Sterne-Preisen andienen. "Gerade jetzt canceln noch mehr Leute, die Preise fallen. Da habe ich zugegriffen. Ich fühle mich sicher, denn nach so einem Anschlag wird doch erst recht kontrolliert!", sagt Vanessa Wellmann, Barkeeperin aus Osnabrück. Auch die Studenten Björn Ingenleuf und Torben Ellerbrock aus Hamburg genießen "ganz relaxt" ihre Ferien: "Ist doch unwahrscheinlich, dass am gleichen Ort noch mal was passiert." Die beiden Wellenfreaks haben ihre Reise gebucht, nachdem sie gehört hatten, dass Bali jetzt "fast wieder wie in den 70ern" sei - ein Surferparadies.Da sich die Zeit aber nicht zurückdrehen lässt, ist Umdenken angesagt. "Ich hoffe, dass der Einbruch beim Massentourismus unsere Leute zum Nachdenken bringt und dass sie die Seele ihres Landes wieder entdecken. Wir brauchen einen neuen, qualitätsvollen Tourismus", sagt Ida Ayu Agung Mas. Die Tochter einer Priesterfamilie leitet seit zehn Jahren das alternative Urlauberprojekt Sua Bali im Kemenuh bei Ubud. In vier traumhaft gelegenen Bungalows mit Blick auf saftige Reisterrassen können die Besucher die Natur genießen und im Nachbardorf balinesische Küche und traditionelles Kunsthandwerk erlernen. Eine Idylle - doch in diesem Jahr bleiben selbst die Stammgäste aus. Die kamen vor allem aus Deutschland, wo die Besitzerin einst studierte.
Paradoxerweise trifft die Krise besonders den Tourismus in Balis Hinterland. "Dabei ist die Gefahr in Kuta oder Nusa Dua viel größer", meint Reiseberaterin Cok Ratih. "Auf dem Dorf, wo man persönlichen Kontakt zu den Einheimischen hat, ist es dagegen sicher." Und so drängeln sich auch in Ubud, dem kulturellen Herzen von Bali, zwar mittags die Tagesausflügler - abends jedoch bleiben die meisten Läden leer, und die Kellner spielen zum Zeitvertreib Schach. Im Holzschnitzer-Kollektiv von Kemenuh arbeiten die Künstler nur noch an ihren Figuren, wenn ein Kunde auf den Hof kommt. Das Lager ist überfüllt mit verstaubten Schnitzereien, die sie für zehn Prozent des Originalpreises verkaufen. "Wir konnten unsere Traditionen bislang nur dank des Tourismus so gut erhalten. Für die Zukunft sehe ich schwarz", sagt Leiter I Made Pastika. Ein Teil seiner Kollegen verdingt sich inzwischen als Bauarbeiter.Aus Sicht der Reisenden hat die Leere aber auch angenehme Seiten. Kein langwieriges Verhandeln um überhöhte Transportpreise, denn die Guides sind froh, wenn sie überhaupt Kunden bekommen. Musste man sich in den vergangenen Jahren in endlose Besucherschlangen einreihen, um einen Blick auf die Tempelanlagen in Bedugul oder Mengwi zu erhaschen, so hat man die wunderschönen Gärten heute fast für sich allein. "Außer in Kuta und Legian war es nirgends voll", berichten Andrea und Michael Liebig aus Dietzenbach bei Frankfurt, die gerade mit ihren drei Söhnen quer durch Bali gefahren sind. "Und die Leute waren unglaublich bemüht, damit wir uns wohlfühlten."In der Tat tun die Balinesen alles, um den Urlaubern ihre Insel wieder besuchenswert zu machen. Immerhin sind rund 80 Prozent vom Tourismus abhängig. "Als ich hier im Februar ankam, standen die Leute noch total unter Schock. Sie freuten sich über jedes weiße Gesicht", erzählt Clemens Berger aus Lörrach, der gerade ein halbjähriges Management -Praktikum in Kuta absolviert hat. "Hier darf absolut nichts mehr passieren, sonst ist es mit dem Tourismus ganz vorbei." Das Treiben auf Balis Feiermeile sieht der 26-jährige Student eher skeptisch: "Hier im Süden ist es mir schon fast wieder zu voll - in den Barvierteln von Kuta und Seminyak fühle ich mich nicht wohl. Eigentlich sollte man jetzt in den Norden fahren."
Stimmt. Die Atmosphäre ist nicht überall entspannt. Immer wieder gibt es Warnungen, und vor den einschlägigen Clubs und Hotels patrouillieren Polizisten mit Maschinengewehren. Als vor drei Monaten eine Bombe das Marriott-Hotel in Indonesiens Hauptstadt Jakarta zerstörte, packten auch im 1000 Kilometer entfernten Bali einige Touristen ihre Koffer. "Eigentlich läuft wieder alles ganz normal", sagt dagegen der deutsche Honorarkonsul Reinhold Jantzen aus Hamburg und verweist auf die Website des Auswärtigen Amts. "Aber jeder muss für sich entscheiden. Ich selbst habe nicht geglaubt, dass hier so was möglich ist. Wir hatten einfach Pech." Seit 1985 betreibt der 63-Jährige sein deutsches Restaurant in Kuta.Und so geht die Party weiter. Zumindest in Seminyaks Bar-Meile Dhyanapura. Samstags ist hier kaum ein Platz zu finden, wenn die Wochenendurlauber aus Java dazustoßen. Die Freiluft-Tanzfläche und die Bungee-Anlage im legendären 66-Club sind bis in den frühen Morgen in Betrieb. Die Künstlerin Renjani Asmoro aus Jakarta verbringt seit ihrer Kindheit jeden Urlaub auf Bali. "Wir müssen weiterfeiern, sonst haben die Terroristen gewonnen", sagt sie ernst. Dann lächelt sie und entschwindet in der Menge.