Schmusekurs, mal was ganz Neues. "Jeder will in der ersten Kurve vorn sein, aber nicht um jeden Preis. Keiner von uns will einen Crash-Kurs", sagt Lewis Hamilton stellvertretend für das Kandidaten-Trio. Er als Gejagter hat leichter Reden. Auch Alonso und Räikkönen versuchen beim verbalen Rennen vor dem Großen Preis von Brasilien, Kühle an den Tag zu legen, aber das verträgt sich nicht so richtig mit ihrer riskanteren Jäger-Perspektive.
Der spanische Titelverteidiger, längst als weltmeisterlicher Bösewicht enttarnt, gibt immerhin zu, dass es ein schmaler Grat sei - das größtmögliche Risiko einzugehen, und trotzdem Rücksicht zu nehmen. Am glaubhaftesten wirkt Räikkönen mit der Aussage, dass er sich noch nicht so viele Gedanken über die möglichen Platzierungs-Konstellationen im Dreikampf gemacht habe. Vor dem Großen Preis von Brasilien steht es 107 zu 103 zu 100 zwischen Hamilton, Alonso und Räikkönen - und in der Theorie könnte es sogar erstmals zu einem Punkte-Patt am Saisonende kommen.
Ein "No!" als Kampfansage
Was grinsen die eigentlich so? Bis sie auf der Buckelpiste von Interlagos gegeneinander fahren, muss man ihnen kein Wort wirklich glauben. Hamilton und Alonso die dicken Kumpels, die nur von den bösen Medien auseinander gebracht werden wollen? Der akkurate Hamilton frotzelt auffällig locker über Alonsos wachsende Mähne. "Unsere Beziehung ist so gut wie immer", schwört der Brite sogar. Kommt eben auf die Definition von "gut" an. Das bisschen Frieden von Sao Paulo wollen wir ihnen lassen. Wenn es denn die Nerven beruhigt. Darum geht es nämlich, um die Psycho-Weltmeisterschaft. Lewis Hamilton ist das zu nervig. Er beteuert, dass er niemals einen Mental-Trainer beschäftigt hat, obgleich dieser, Dr. Kerry Spackman, bereits ein Buch darüber geschrieben hat. Seine Fahrweise im Finale muss er auch nicht groß wissenschaftlich ermitteln lassen: "Ich möchte das Rennen gewinnen, aber manchmal muss man auch konservativ sein. Ich werde versuchen, diesmal auf der Strecke zu bleiben..." Schluss jetzt mit der Entspannungspolitik. "Wir beziehen unsere Energie aus unserer Konkurrenzfähigkeit", gesteht Hamilton, "die Ereignisse von Schanghai haben mich noch stärker gemacht." Schlussfrage an den Champion in spe: Denkst Du manchmal daran, dass Du den Titel nicht gewinnen kannst? "No!" Das muss vorerst reichen als Kampfansage.
Ideallinie diese Saison eine Schlangenlinie
Fernando Alonso spielt Renn-Sudoku, er weiß schon jetzt, dass er jeden Zwischenstand im Großen Preis von Brasilien sofort in WM-Platzierungen umrechnen wird: "Ich habe alle Kombinationen im Kopf." Vielleicht kommt er mit Zahlen auch besser zurecht als mit Worten. Im Bemühen, wenigstens vor dem Show-Down friedlich mit McLaren umzugehen, wird der Matador fast zum Softie. Aber einlullen kann er damit niemanden - dazu ist zuviel passiert in dieser Saison. Alonso muss nur den rechten Arm heben, das Schweißband im karierten Zielflaggenmuster sagt alles. Kimi Räikkönen nimmt in der Kandidatenvorstellung die Rolle ein, die seiner Außenseiterrolle im Titelrennen entspricht: Er sitzt hinter den beiden Silberpfeil-Piloten. Im Sauna-Pavillon aus Wellblech am Autodromo Carlos Pace hat er den Pullover aus der Winterkollektion von Ferrari an. Echt cool, Mann. Er rechnet mit gar nichts, und die Frage nach der Nervosität scheint er gar nicht zu verstehen: "Ich versuche alles wie immer zu machen." Wenn es nach dem Finnen ginge, wäre ein langweiliges Rennen das Beste, was passieren könnte. Aber gottlob ist die Ideallinie dieser Saison eine Schlangenlinie.