Der Slogan vom "heißesten Rennen der Welt", der zehn Jahre lang den Großen Preis von Malaysia begleitet hat, schien den Organisatoren angesichts der runderneuerten Formel 1 nicht mehr packend genug. In der Tat, zu den Geschehnissen und Merkwürdigkeiten der noch so jungen Renn-Saison passt die geänderte Überschrift auch viel besser: "Leben durch Adrenalin."
Die Ausschüttung von Stresshormonen begann in Sepang, einem Hippodrom der Moderne mitten im Ölpalmenwald, bereits vor dem ersten Trainingstag mit der nachträglichen Disqualifikation Lewis Hamiltons. Der Weltmeister wird von den Rennkommissaren nicht für ein merkwürdiges Manöver in der chaotischen Schlussphase des Auftakt-Grand-Prixs bestraft, ihm wird die Irreführung der Rennkommissare bei der Aufklärung des Falls vorgeworfen. Plötzlich steht der Weltmeister, als ob er nicht schon genug sportlich-technische Probleme hätte, auch noch als Lügner da, da er in der strittigen Situation nicht zugeben wollte, mit der Kommandozentrale seines Teams Funkkontakt gehabt zu haben.
Hamilton gesteht vor der Weltpresse
McLaren Chef Martin Whitmarsh sagte, dass Hamilton erst durch Teammanager Dave Ryan zu einer Falschaussage geführt wurde. Lewis Hamilton setzte sich daraufhin um viertel vor sechs abends vor die Weltpresse und gestand, die Unwahrheit gesagt zu haben: "Es tut mir sehr, sehr leid. Ich kann mich nur bei allen entschuldigen. Ich bin kein Lügner, habe noch nie in meinem Leben gelogen. Ich bin keine unehrliche Person, sondern ein Teamplayer. Aber manchmal ist es leicht, in die Irre geführt zu werden."
Er schilderte, wie er direkt aus der Boxengasse von Dave Ryan zur Rennleitung geführt wurde: "Ich hatte gar keine Zeit mich zu fragen, warum er mich aufforderte Informationen zurückzuhalten." Die Zweifel kamen erst später, nachdem Jarno Trulli wegen seiner Aussage strafversetzt wurde: "Es ist die schlimmste Situation in meinem Leben, die ich gerade durchmache. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie beschämend das ist. Ich habe gemerkt, dass es ein großer Fehler gewesen ist."
Dave Ryan nach 35 Jahren McLaren entlassen
Das bringt vor allem Anthony Hamilton auf die Palme, Vater und Manager des amtierenden Champs. Er will seinen Sohn reingewaschen sehen, nachdem das Team McLaren-Mercedes ohnehin schon die Schuld auf sich genommen hatte. Aber auch für den Rennstall, der zu 40 Prozent dem Daimler-Konzern gehört, geht es jetzt um öffentliche Schadensbegrenzung. Zur Mittagsstunde in Sepang wurde die silberne Rennmannschaft in einem Glaskasten hinter der Box versammelt, und nicht nur auf eine Trotzreaktion eingeschworen: Der 54 Jahre alte Teammanager Dave Ryan, der mit seinem Schützling Hamilton bei den fraglichen Anhörungen vor der Rennleitung war, wurde nach 35 Jahren Rennstallzugehörigkeit suspendiert, weil er bei den Befragungen nicht die ganze Wahrheit gesagt haben soll. Und vor allem die Chefetage nicht über seine Taktik informiert hatte, die von einem "schweren Fehler" spricht.
Erst nach der Disqualifiktion Hamiltons hatte sich der bisher über jeden Zweifel erhabene Ryan offenbart -auch unter Druck der Beweismittel. McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh sprach von einem "traurigen Tag" für den Rennstall. Ein Bauernopfer aus Imagegründen. Da die umstrittene (Nicht-)Aussage nach Funktionärs-Lesart gegen den wachsweichen Paragraphen 151c verstößt, also dem Rennsport Schaden zufügt, droht der Automobilweltverband FIA schon mal mit einer möglichen weiteren Verhandlung vor dem Weltrat. Das hat McLaren-Mercedes das letzte Mal in Sachen Spionageaffäre schlappe 100 Millionen Dollar gekostet...
Formel 1 droht Protest-Welle
Die Formel-1-Saison, in der alles neu und damit schöner, aufregender und transparenter werden sollte, ist noch jungfräulich. Und trotzdem schon verdorben. Über allem schwebt immer noch der vom Berufungsgericht der FIA endgültige zu klärende Vorwurf, dass die derzeit besten Autos von Brawn GP, Toyota und Williams mit nicht regelgerechten Autos unterwegs sind, Stichwort Doppel-Diffusor. Die Formel 1 droht, wenn die Protest-Weltmeisterschaft so weitergeht, zu einer der vielen Gerichtsshows an den Fernsehnachmittagen zu verkommen.
BMW-Sportdirektor Mario Theissen, der ebenso wie sein Mercedes-Gegenüber Norbert Haug nicht nur unter sportlichem Erfolgsdruck steht, weiß um die Gefahr der durch das neue Reglement generell stark entflammten neuen Formel-1-Streitbarkeit: "Es geht hier nicht darum, dass man einfach mal so protestiert. Die ganze Situation ist nicht gut für unseren Sport."
Die Qualität des Großen Preises von Malaysia wird auch daran zu messen sein, wie viele Proteste es geben wird. Melbourne hat mit zwölf Protestnoten den traurigen Maßstab gesetzt...