Showdown in der Formel 1 Hamilton muss der Bösewicht sein

Von Elmar Brümmer, São Paulo
Was ist in einem Formel-1-Finale schwieriger? Die entscheidenden vier Punkte im Silberpfeil einzufahren, oder im Ferrari zu siegen und auf Pannen beim Spitzenreiter zu hoffen? Vor dem Showdown von Interlagos lastet der Druck auf Lewis Hamilton. Kontrahent Felipe Massa gibt sich cool.

Igel. Reißzwecke. Nägel. Alles, was sich Lewis Hamilton auf der Fahrt zum Titelgewinn als jüngster Weltmeister der Formel-1-Geschichte in den Weg werfen kann, lässt sich auf der spanischen Website "Pincha la Rueda de Hamilton" anklicken. Rassismus wird im englischen Lager vermutet, was sich aber nur auf die User-Kommentare beziehen kann. Die Reifenschlitzer-Seite selbst stammt aus der letzten Saison, als der Brite zwar auch mit sieben Punkten Vorsprung zum Finale nach São Paulo reiste, aber seine Gegner Fernando Alonso und Kimi Räikkönen hießen. Die Diffamierungen stammen noch von der Alonso-Fraktion, der aktuelle Gegenspieler Felipe Massa taugt nicht so richtig zum Feindbild. Er ist einfach zu nett, weshalb Hamilton automatisch als Bösewicht erscheinen muss.

Hoffen auf Pannen bei der Konkurrenz

Die Bemühungen zur Deeskalation im Autodromo Carlos Pace drücken aus, wie groß der Druck ist. "Es geht nicht um Siegen oder Sterben", beschwört Lewis Hamilton nach dem Händeschütteln fürs Weltbild, und versucht das mit der Logik des WM-Standes von 94:87 zu seinen Gunsten zu begründen: "Wir sind hier, um zu gewinnen. Wir müssen aber nicht gewinnen, also ist dieser Druck schon mal weg von unseren Schultern." Auf den Punkt kommen, nichts anderes wird von den WM-Kandidaten Lewis Hamilton und Felipe Massa jetzt noch verlangt. Aber was ist beim Formel-1-Finale schwieriger: Einen fünften Platz und damit entscheidende vier Punkte im Silberpfeil einfahren, oder auf Gedeih und Verderb im Ferrari siegen und auf Pannen beim Spitzenreiter hoffen?

Was für ein schönes Szenario: Zum 25. Mal in 58 Jahren Formel 1 kommt es im letzten Rennen zum Showdown. Möglich gemacht durch reichlich taktische, fahrerische und menschliche Schwächen. Ein Überflieger ist in diesem Jahr keiner der beiden Kandidaten. Zum dritten Mal in Folge erlebt die Berg- und Talbahn von Interlagos das finale Ausscheidungsfahren. Ferrari hat dabei einmal verloren (Michael Schumacher gegen Fernando Alonso) und einmal gewonnen (Kimi Räikkönen im Vorjahr gegen Hamilton und Alonso). In beinahe allen Punkten sind die Roten diesmal Außenseiter, aber genau diese vermeintliche Unbeschwertheit macht sie so gefährlich. "Gerade wir Ferraristi haben doch im letzten Titelkampf gesehen, dass alles möglich ist", unkt Rekordchampion Michael Schumacher, "ich erinnere mich noch an 2003, als ich nur einen einzigen Punkt holen musste - und wie schwer habe ich mich getan. Felipe kann nur gewinnen..."

Die große Unbekannte: das Wetter

Lewis Hamilton kommt als triumphaler Sieger aus China nach Brasilien, das ist der wesentliche mentale Unterschied zum Vorjahr, als er in der Boxengasse von Schanghai das Auto und den Titel weggeworfen hatte. "Vielleicht hat mir das etwas zugesetzt", sagt er in der Erinnerung an das Debakel, das durch einen ominösen 32 Sekunden langen Getriebeaussetzer orchestriert wurde. "Wir blenden 2007 aus", hat McLaren-Teamchef Ron Dennis angeordnet. "Es ist einfach nur ein weiteres Rennen für mich", sagt Hamilton daher ganz brav. So ein Quatsch. Es ist das wichtigste Rennen im Leben beider Kandidaten: Hamilton kann am Sonntag mit 23 Jahren neun Monaten und 26 Tagen jüngster Weltmeister der Formel-1-Geschichte werden, der erste farbige dazu. Der 27 Jahre alte Massa kann nach 17 Jahren der Rennfahrernation Brasilien wieder einen Titel bescheren. Hamilton würde McLaren-Mercedes den ersten Titel in diesem Jahrtausend bescheren, England wartet seit 1996 auf einen Champion. Beide Karrieren stehen beim Finallauf am Scheidepunkt, vor allem im Fall des Misserfolgs: Massa hätte endgültig seinen Ruf als ewiges Talent und ständiger Wackelkandidat weg, die Nummer zwei, die noch auf seinem Auto prangt, würde er nie mehr los. Und das alles noch beim seit Monaten ausverkauften Heimspiel. Lewis Hamilton würde einen Knacks davontragen, zum zweiten Mal in Folge einen beinahe komfortablen Vorsprung auf den letzten Runden des Jahres noch zu verspielen.

Die Rennfahrer selbst mögen mit dem großen Bammel ja noch einigermaßen klarkommen, Hamiltons Strategie muss erneut die Disziplin sein, Massa auf Gedeih und Verderb auf Sieg fahren. Aber was ist mit dem launischen Wetter über dem Moloch, mit einer Regenwahrscheinlichkeit von um die 70 Prozent? Wie steht es mit möglichen Kollisionen, nachdem gerade Hamilton in diesem Jahr selten einer Konfrontation aus dem Weg gegangen ist? Massa selbst würde ein Rammstoß nichts nützen, und auf unfaire Schützenhilfe kann er selbst in einer Kapriolen-Saison wie dieser nicht ernsthaft hoffen. Bleibt das Zittern, ob nicht ein technischer Defekt am Ende alles entscheidet. Massa bekommt ein frisches Triebwerk, Hamiltons Achtzylinder hat schon 489 Kilometer auf dem Buckel. McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh hat genug davon, nur über das zu reden, was alles schief gehen kann: "Wenn du deine Ziele niedrig ansetzt, ist die Chance groß, Fehler zu machen." Es bleibt nur die Flucht nach vorn: Fahren, als ob es kein Morgen gibt.

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