Kurz nach 18 Uhr im Olympiastadion Rom. Anpfiff. Über 70.000 Fans singen ihre Hymnen. Dicht an dicht reihen sich die Gelb-Roten in der Curva Sud – der Südkurve – und lassen aus einem Meer aus Pappschildern die Kapitolinische Wölfin erscheinen. Jene sagenumwobene Wölfin, die laut dem Mythos die Gründer Roms Romulus und Remus säugte. Es ist das Wappen der AS Rom.
Auf der Tribüne gegenüber: der verhasste Rivale. Die Curva Nord – die Nordkurve – lässt einen riesigen Adler in einem himmelblauen Meer der Anhänger von Lazio Rom versinken. Die Stimmung ist genauso aufgeheizt wie das schwül-warme Wetter.
Nur dieser ohrenbetäubende Knall lässt die Fans verstummen. Ein Kanonenschlag. Kurzer Schock. Nur wenige Sekunden. Dann weiter singen, schreien, ätzen. Rom ist an diesem Tag der Schauplatz eines der hitzigsten Derbys im Weltfußball. Die AS gegen Lazio. Für die Fans der Stadtrivalen ist es kein Spiel. Es ist ein Kampf. Und das Stadio Olimpico ist ihr Schlachtfeld. Auf dem Rasen und auf den Rängen.
Rom erwacht: Ein Tag, an dem nur das "Derby della Capitale" zählt
Schon am Morgen des Derbys sind Fans beider Teams in der Stadt unterwegs. In den Fanshops rüsten sich Anhänger der AS mit Schals und Trikots aus. Jackie ist mit seiner Familie extra für das Spiel aus Israel angereist: "Ich bin seit mehr als 20 Jahren Roma-Fan. Dieser Verein ist die Leidenschaft in Person und macht einfach Freude. Das ist das dritte Spiel, das ich im Stadio Olimpico sehe und mein erstes Derby – das wichtigste Spiel der Saison".
Auch die 23-jährige Römerin Ludovica feuert die Giallorossi – die Gelb-Roten – seit ihren Kindertagen an: "Mein Vater und Großvater haben mich das erste Mal zu einem Spiel der AS mitgenommen, als ich gerade einmal zwei Jahre alt war. Seitdem habe ich fast keins verpasst. Ich habe eine Jahreskarte für über 2000 Euro." Ludovica geht heute alleine ins Stadion und steht in der Südkurve im Pellegrini-Trikot. Dass sie als Frau alleine bei diesem hitzigen Spiel unterwegs ist, stört sie nicht. Sie sagt: "Wir Roma-Fans sind wie eine Familie."
Rom ist eine laute Stadt, voller Menschen und Touristen. Heute aber platzt die ewige Stadt förmlich. Viele Fans sitzen schon mittags in Kneipen und Bars, um sich Plätze für den Anpfiff am Abend zu sichern. Massimiliano sieht das Spiel gemeinsam mit seinen Kindern in einer Bar im Stadtzentrum. Als Familie gehen sie oft zusammen ins Stadion, aber das Derby gegen Lazio ist ihm zu gefährlich. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Ausschreitungen zwischen Fans. Er will seine Kinder nicht in Gefahr bringen. Schon morgens geisterten die ersten Krawall-Szenen durch die Sozialen Medien. Videos von Ultras, die sich in der Nähe des Stadions prügeln. Beim letzten Derby im Januar wurden mehrere Menschen mit Messerstichen verletzt. Lazio oder AS – Fans beider Seiten empfinden für den Rivalen ein Gefühl tiefer als Hass.
Der Kampf Nord gegen Süd
An Spieltagen in Deutschland werden die Fußballfans regelmäßig gebeten, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Stadion zu fahren. In Rom ist genau das Gegenteil der Fall: Es fährt praktisch nichts. Rom gehört heute dem Fußball. Und dieser legt die größte Stadt Italiens fast vollständig lahm.
Die Fans machen sich auf den etwa 40-minütigen Fußmarsch aus der Innenstadt zum Stadio Olimpico. AS gegen Lazio, das ist das Duell Süd gegen Nord. Die Roma-Fans kommen aus dem Süden, sie färben die Straßen in gelb und rot. Die "Laziali" marschieren aus dem Norden. Das Stadio Olimpico – ihr Kolosseum.
Eine kleine Gruppe von AS-Fans aus Bulgarien bahnt sich ihren Weg zum Stadion. Dabei ist auch Vanja. Er läuft wegen eines gebrochenen Fußes auf Krücken, aber das ist ihm egal. Er sagt, Rom sei die perfekte Stadt, um Kultur und Sport in einem Kurzurlaub zu verbinden. Auf diese Erfahrung mit seinen Freunden wollte er trotz der Verletzung nicht verzichten. Lieber ist er mit einem Fuß beim Derby, als gar nicht.
Auch drei deutsche Touristen vom Bodensee wollen das Spiel miterleben. Sie haben online zwar keine Tickets mehr bekommen, hoffen aber darauf, dass jemand kurzfristig Tickets vor dem Stadion verkauft. Unwahrscheinlich. Das Derby ist für die römer Fans der wichtigste Termin des Jahres.
Anders als die drei vom Bodensee konnte Heiko aus Braunschweig ein Ticket ergattern. Seine Motivation: "Einmal das Stadion sehen, in dem Deutschland 1990 Weltmeister wurde." Das Derby selbst sei eher ein Zufall, aber kein schlechter.
Je näher die Fans dem Stadion kommen, desto gespannter wird die Atmosphäre. Die Menschen sind konzentriert, aufmerksam. Zwischenfälle rund um das Stadion sind keine Seltenheit. Berichten zufolge kam es auch dieses Mal kurz vor Spielbeginn zu einer Auseinandersetzung zwischen Hunderten Anhängern der beiden Teams. Die Polizei musste Tränengas einsetzen, um die Hooligans voneinander zu trennen. Auch das ist das "Derby della Capitale".

Wieder fallen faschistische Lazio-Fans auf
Auch das Stadion ist aufgeteilt wie die Stadt: Die AS-Fans in der Süd-, die Lazio-Fans In der Nordkurve. Das Farbenspiel aus Gelb-Rot verwandelt sich hier in ein Blau-Weißes. Kurz vor dem Anpfiff fliegen erste Böller und Bengalische Fackeln auf das Spielfeld. Der Lärm ist kaum auszuhalten.
Während des Spiels fallen die Lazio-Fans wiederholt negativ auf. Wie schon in der Vergangenheit provozieren Lazio-Ultras mit dem faschistischen Gruß "Saluto romano", so berichten es Medien später. Ein Mann im Oberrang zeigt gar mehrmals den Hitlergruß. Faschistische und rassistische Lazio-Fangruppen sorgen seit Jahrzehnten regelmäßig für Negativ-Schlagzeilen. Auch in diesem Spiel.
Wenn schwarze Spieler, wie der AS-Stürmer Romelu Lukaku, am Ball sind, machen die Lazio-Fans Affenlaute. Ein paar Reihen weiter sitzt ein junger schwarzer Mann.
Adidas und der DFB – eine Ära geht zu Ende

Das Spiel endet mit einem knappen 1:0-Sieg für die AS Rom. Am Morgen war Jackie aus Israel zuversichtlich, dass sein Team nach den letzten Derby-Niederlagen endlich wieder gewinnen würde, und er behielt recht.
Nach dem Abpfiff kippt die Stimmung einiger Lazio-Fans in Krawall: Gegenstände fliegen auf das Spielfeld und in den Bereich der AS-Fans. Erste Schlägereien starten vor den Toren des Stadions. Die Stimmung ist wieder angespannt, die Menschen bleiben wachsam. Erst nach einigen Kilometern, auf dem Rückweg ins Zentrum, beginnen die AS-Roma-Fans unbeschwert zu feiern. Jubelgesänge und Autokorsos begleiten sie, während sie die Siegesnacht der "echten Römer" ausklingen lassen, bei Bier und Pizza.