Die stickige Luft lässt den kleinen Presseraum im Millerntorstadion noch enger erscheinen. Der Andrang ist riesig, die Stimmung gespannt - auch wenn alle schon wissen, was gleich passieren wird. Plötzlich setzt Blitzlichtgewitter ein. Pauli-Trainer Holger Stanislawski betritt den überfüllten Konferenzraum unter der Haupttribüne. Er wirkt bedrückt. Seine Augen sind feucht. Dieser Auftritt fällt ihm schwer. Dann legt Stanislawski mit zittriger Stimme endlich los: "Ich habe heute schon die eine oder andere Träne vergossen", sagt der Trainer und ergänzt: "Wenn ich eine längere Redepause mache, dann weil ich um Fassung ringen muss." Spätestens jetzt steht fest, dass die vom FC St. Pauli kurzfristig anberaumte Pressekonferenz mit Trainer Holger Stanislawski zu einer Vorführung im großen Gefühlskino werden wird.
"Es ist Zeit für eine Veränderung, auch deshalb, weil die letzten Jahre so viel Kraft gekostet haben“, sagt der 41-Jährige, der sich nach 18 Jahren "ausgelutscht" fühlt und deshalb zum Sommer "eine neue Herausforderung" sucht. Seine 35-minütige "Abschiedsrede" muss er, der dem Kiez-Club seit 1993 als Spieler und Trainer angehört, immer wieder unterbrechen. Er kämpft mit seinen Gefühlen. Als er sich schließlich bei der Vereinsführung für die "lange und schöne Zusammenarbeit" bedankt, lassen sich die Tränen nicht mehr zurückhalten: "Ich werde immer den Totenkopf im Herzen tragen, der Verein hat mich mein halbes Leben begleitet." Stanislawskis Lippen beben. "Jetzt ist ein Punkt erreicht, wo die Kraft und Energie weg sind. Der Rucksack wurde in den letzten Jahren immer schwerer", begründet der Ur-Paulianer seine Entscheidung, den FC. St. Pauli im Sommer zu verlassen. Eine Entscheidung, die sich in den letzten Tagen immer mehr abgezeichnet hatte.
"Brutaler" Gang vor die "Jungs"
Wie seine Zukunft aussieht, lässt Holger Stanislawski offen. Er wolle in den nächsten Tagen eine "finale Entscheidung" treffen, vorher müssten aber "noch ein paar Details geklärt werden". Stanislawski wird wohl im Sommer 1899 Hoffenheim als Trainer übernehmen. Dort gilt er als Wunschkandidat Nummer 1. Erst am Dienstag hatten die Hoffenheimer den Abschied ihres bisherigen Trainers Marco Pezzaiuoli zum Saisonende verkündet. Für Stanislawski stehen vorher noch fünf "Endspiele" um den Klassenerhalt an. Das Team, vom Trainer gerne als seine "Jungs" bezeichnet, hatte er bereits über seinen Abschied informiert.
Der Gang vor die Mannschaft sei "brutal" gewesen, sagt Stanislawski. Er vergleicht die Gefühle dabei mit dem Tod seiner Mutter vor wenigen Monaten und spricht von einem großen Verlust. "Es ist so, als wenn man eine zweite Familie verlässt", sagt der ehemalige Verteidiger, "aber man muss auch loslassen".
Die Pauli-Fans wollen und können noch nicht loslassen. Im Internet überschlagen sich die Kommentatoren mit Einträgen zum Thema 'Holger Stanislawski'. Im "STPAULI-FORUM.DE" gibt es, Stand Mittwochnachmittag, mehr als 6.000 Einträge. Am Dienstag war es gerade einmal ein Drittel davon, dabei wurde da schon kräftig debattiert über "Stanis" Abgang. Die Gefühlslage bei den Fans ist gespalten. Während die einen trauern, ärgern sich die anderen über den Zeitpunkt der Bekanntmachung.
So meint "Bomber": "Es fühlt sich grad an, als wären wir gerade in einem Rutsch in die Oberliga abgestiegen." "Abstiegsgespenst" sieht Stanislawskis Rücktrittserklärung kritisch: "Das kommt definitiv zum falschen Moment! Sollten wir am Wochenende gegen Wolfsburg verlieren, muss Stanislawski vorzeitig gehen. Denn kein rational denkender Mensch erklärt seinen Rücktritt zum Saisonende, wenn man a) zuvor 7 Spiele in Folge verloren hat und b) mitten im Abstiegskampf steckt." "Free Derry" fasst vielleicht ganz treffend zusammen: "Stani war und ist nicht fehlerfrei, aber er bleibt für immer ein ganz großer St. Paulianer."
Im Abstiegskampf kommt die Nachricht von "Stanis" Abschied in der Tat zur Unzeit, denn der Tabellenvorletzte hat zuletzt sieben Spiele hintereinander verloren. Zudem muss St. Pauli nach dem Becherwurf-Skandal am Ostersamstag voraussichtlich sein vorletztes Saisonheimspiel gegen Werder Bremen ohne Zuschauer austragen. Über den Einspruch der Hamburger gegen das DFB-Urteil wird am Donnerstag verhandelt. Sein vermutlich letztes Heimspiel als Coach wird Stanislawski gegen Bayern München erleben: "Ich habe eine wahnsinnige Vorfreude und zugleich Angst, aber das können die Bayern auch haben, denn wir werden sie schlagen." "Stani" meint das bierernst. Und es lacht auch keiner. Mit einem "Tschüß" auf den Lippen verlässt Paulis "Frontman" (O-Ton Sportchef Helmut Schulte) die Bühne. Im Saal brandet Applaus auf.