England wird bitte, bitte siegen gegen die Schweiz. Darauf hoffen nach dem furchtbaren 1:2 gegen Frankreich sehr viele Menschen, als da wären 100 000 rotgesichtige englische Fans, die derzeit am Atlantik den Kulturaustausch pflegen, deren ängstliche portugiesische Bewacher, dazu weltweit Milliarden von Frauen, Schwulen und Friseuren sowie David Beckham persönlich.
Beckham muss sogar siegen an diesem Donnerstag. Er ist nun schon 29 Jahre alt, er hat dreimal bei großen Turnieren enttäuscht, er ist verzweifelt in Portugal angekommen, und jetzt hat der stolze Kapitän der stolzen englischen Nationalelf auch noch diesen Elfmeter versemmelt, es wäre das 2:0 gewesen. "I'm to blame", hat er nach dem Match mannhaft gesagt, ich bin schuld. Ja, wer denn sonst? Beckhams größte Sehnsucht ist die, unter Fußballern anerkannt zu sein, und die messen Klasse nicht in Anmut, sondern in Titeln. Es geht also um alles für David Beckham bei dieser EM. Es geht darum, ob er als Dandy in Erinnerung bleiben wird oder als Held.
Seine Mission ließ sich gut an. Beckham lachte viel im Lissabonner "Solplay Hotel", wo die Engländer abgestiegen sind. Der vom Sturm Zerzauste ankert wieder im Heimathafen, endlich kann er mit seinen lads zusammen sein. Er ist einer von ihnen, und er ist ihr Anführer.
Der Mann, als solchen wollen wir ihn bezeichnen, meint es ernst. Als Geschenk an seine Gattin hat er sich die Mähne stutzen lassen, was durchschaubar ist, Frauen kennen das, und für die Spiele setzt er seinen Come-on-England-Blick auf, der in seinen Augen beginnt und in seinem erigierten Kinn endet. Beckham, das PR-Genie, sendet die Botschaft: Ich bin Fußballer. Man vergisst das bei ihm sehr leicht.
Im Grunde dachte man, über den Jungen seien alle Geschichten erzählt. Wie er bei der WM 1998 nach seiner roten Karte gegen Argentinien zum Staatsfeind Nummer eins wurde. Wie er Posh SpiceÉ, nein, von Posh Spice alias Mrs Victoria Beckham fangen wir jetzt noch nicht an.
Dann ging David vorigen Sommer für 35 Millionen Euro nach Madrid, und ein Jahr später ist der Mann, der erwachsen werden wollte, am Ende. Seine Zeit in Spanien lässt sich sehr kurz erzählen oder sehr ausufernd, ganz wie man will, aus dem Himmel in die Hölle, so in etwa.
Alles beginnt, wie er es gewohnt ist, also wie im Märchen. Beckham spielt göttlich, er erobert die Herzen der strengen Real-Fans. Doch seiner Frau behagt das Leben in der Fremde nicht, überall lauern Paparazzi. Irgendwann zieht Victoria mit den beiden Söhnen entnervt zurück auf die Insel, in den Beckingham Palace, der nicht umsonst so heißt. Ihr David vereinsamt, er spricht die Sprache nicht; nicht jeder Weltstar ist ein Weltbürger. Er lernt die falschen Freunde kennen, ihre Namen sind Ronaldo und Roberto Carlos, sie sind Singles und haben allerhand Ideen, wie sie ihr Geld unter die Leutinnen bringen können. Auf dem Platz muss Beckham bald im defensiven Mittelfeld schuften, wo er mit wippendem Pferdeschwanz hin und her hechelt. Die Zeitungen taufen ihn nicht Cockerspaniel, was exakt passen würde, sondern Forrest Gump, weil er so sinnlos herumrennt.
Gegen die Einsamkeit
legt er sich eine Geliebte zu, zumindest ist davon auszugehen, gegen den Frust im Job hilft nichts. Im April fliegt seine Affäre auf und Real aus allen Wolken, der Klub verliert alle wichtigen Partien. Supertusse Victoria zürnt, die Real-Fans toben, und dann kommt seine schwerste Prüfung: England murrt. England verlangt, dass er seine Eitelkeit zähmt, dass die Diva gefälligst Demut zeigt. Auf Sardinien, wo die Spieler samt Anhang vor der EM eine Woche ausspannen, kommt es fast zum Eklat. Beckham ist jenen Schreibern gram, die seine Frau als Rabengattin zeichneten und ihr vorwarfen, ihren hilflosen Mann in die Arme einer Männermörderin getrieben zu haben. Der Kapitän weigert sich, mit den Reportern zu sprechen. Das gab es noch nie. Das ist ein Skandal. Schließlich willigt er ein, die Binde bedeutet ihm alles. Beckham ist dann wie immer sehr freundlich und sehr smart und sieht fantastisch aus, er kann das auf Kommando. Doch der "Daily Telegraph" urteilt in diesen Tagen: "Das Monster seines Ruhmes ist außer Kontrolle." Und die "Daily Mail" rät ihm vor allem eins: "Benimm dich nicht wie eine Mädchenbluse."
Auf dem Rasen gilt er seinen Landsleuten eh nicht mehr als Heilsbringer. Noch 2002 hatten sie gebetet, dass der am Knöchel Verletzte zur WM fit würde. Jetzt hat Beckham nur seinen Job zu machen, Wunderdinge versprechen andere Spieler. Gegen Frankreich bestätigte er die niedrigen Erwartungen eindrucksvoll.
Beckham interessiert ja vor allem die Zuschauer, die sich nicht für das Spiel interessieren. Die Menschen aber, die Fußball wegen des Fußballs gucken, sehen im rechten Mittelfeldmann einen mitunter wunderbaren Souffleur, seine Flanken sind unerreicht. In den Hauptrollen des englischen Teams, das ein Ausbund an Energie und Talent ist, erkennen sie andere Spieler. Etwa Steven Gerrard, 24, der mit gewaltigen Schritten das Feld durchmisst. Oder Wayne Rooney, 19, der noch liverpooliger aussieht als Gerrard, ein echter Grobian, aber doppelt so schnell wie Beckham. Trotzdem ist Beckham die Ikone dieses Turniers, seine Aura fängt auch in Portugal jeden ein, sein gewinnendes Lächeln macht sie alle platt. Natürlich, nach der EM wird er weiter für Real Madrid spielen, Victoria und die Söhne ziehen wieder zu ihm, und alles wird gut. Aber seine Aura wird die Zeiten nur überdauern, wenn er seine englischen Boys verdammt noch mal in ein verdammtes Finale führt, seit 1966 warten die Fans darauf. Der Fußball muss David Beckham retten. Keiner versteht das besser als er.
Rüdiger Barth
Mitarbeit: Ulrike von Bülow