Fußball-EM 2012 Chaos in Polen

Der polnische Fußball wird von einem umstrittenen Umsturz erschüttert: Die gesamte Spitze des polnischen Fußball-Verbands wurde durch ein Schlichtungsgericht aus seinen Ämtern entfernt. Fifa und Uefa protestieren scharf gegen die Einmischung der Politik. Die Europameisterschaft 2012 steht erneut in Frage.

Einen Tag nach der Absetzung von Verbandschef Michal Listkiewicz und dessen Präsidiumskollegen durch ein Schlichtungsgericht des Polnischen Olympischen Komitees (PKOL) lehnten Fifa und Uefa den sportpolitischen Umsturz strikt ab. Sportminister Miroslaw Drzewiecki, auf dessen Antrag sich das Schlichtungsgericht mit "zahlreichen Unregelmäßigkeiten" im Verband beschäftigt hatte, verteidigte aber seinen Standpunkt. Er sei überzeugt, dass die beiden Fußball-Verbände nach Analyse der Dokumente seine Bewertung teilen würden, sagte er am Dienstag in Warschau vor Journalisten.

Zuvor hatten Fifa und Uefa in einer gemeinsamen Erklärung mitgeteilt, dass als Konsequenz jedes nicht vom bisherigen Präsidium abgezeichnete Schriftstück als "irrelevant" betrachtet würde. Drzewiecki meinte indes, es gehe um das Wohl des polnischen Fußballs. Er könne sich deshalb nicht vorstellen, dass die Dachorganisationen den Rechtsbruch in einem ihrer nationalen Verbände hinnehmen könnten. "Der Fußball sollte sauber sein", meinte der Minister.

Fifa und Uefa wollen das IOC anrufen

Die mächtigen internationalen Fußball-Organisationen wollen das Internationale Olympische Komitee IOC anrufen, um die "Verletzung der Autonomie von Sportverbänden" von höchster Stelle bewerten zu lassen. Listkiewicz forderte eine rasche Lösung des Konflikts. "Wir müssen diesen Brand schnell löschen", sagte er im polnischen Fernsehen und drängte auf eine Klärung "im eigenen Kreis" - ohne Hilfe der internationalen Verbände. Im Oktober werden sich aber das Fifa- Exekutivkomitee und das Uefa-Emergency Panel mit der Angelegenheit beschäftigen.

Über mögliche Auswirkungen auf die Gastgeberrolle Polens für die EM 2012 äußerte sich die Uefa nicht, aber der überraschende Umsturz ist ein erneuter herber Rückschlag. Erst am vergangenen Freitag hatte das Uefa-Exekutivkomitee Polen und Co-Gastgeber Ukraine trotz großer Organisationsprobleme das Vertrauen ausgesprochen - dieses aber an zahlreiche Auflagen geknüpft. Ein offenbar unausweichlicher Machtkampf oder gar ein drohendes dauerhaftes Machtvakuum an der polnischen Verbandsspitze könnte eine nicht zu tolerierende weitere Verzögerung der EM-Planungen mit sich bringen.

Korruption und Fan-Gewalt sind große Probleme in Polen

Das Schlichtungsgericht des PKOL hatte am Montag die Listkiewicz- Führung abgesetzt. Als kommissarischer Verwalter wurde Robert Zawlocki eingesetzt. Die für den 30. Oktober geplante Präsidiumswahl wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Polens Fußball wird seit Jahren von Schmiergeldskandalen erschüttert. Auch die Fan-Gewalt ist ein großes Problem im Land des WM-Dritten von 1974 und 1982.

Fifa und Uefa lehnen grundsätzlich jede Einmischung von staatlichen Institutionen in Angelegenheiten der nationalen Verbände ab und haben in den vergangenen Jahren mehrfach Mitglieder deswegen suspendiert. Listkiwicz nannte den Fall eine "Blamage" für Polen. Bisher seien solche Fälle "nur aus Togo oder Malaysia" bekannt gewesen.

Sportminister Drzewiecki wies den Vorwurf der Einflussnahme zurück, obwohl er den entscheidenden Antrag beim PKOL gestellt hatte. Er will in persönlichen Gesprächen seinen Standpunkt den Fifa- und Uefa-Verantwortlichen erklären. Er plant einen Besuch in der Schweiz bereits Ende dieser Woche.

In Polen gibt es auch Stimmen, die einen Wechsel an der Fußball- Spitze befürworten. Jan Tomaszewski, bei der WM 1974 in Deutschland Polens Nationaltorwart, nannte das Vorgehen von Uefa und Fifa eine "Erpressung". Die internationalen Institutionen agierten wie die "Mafia".

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Arne Richter und Jacek Lepiarz/DPA

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