Holland in Not Oranje zerfleischt sich gegenseitig

Die Stürmer und Fußballgurus in der Heimat rebellieren gegen Bondscoach Dirk Advocaat: Oranje präsentiert sich vor dem EM-Duell gegen Deutschland in einem desolaten Zustand.

Das Starensemble streitet untereinander über die richtige Aufstellung, Bondscoach Dirk Advocaat muss viel Kritik einstecken, und "König" Johan schreibt die Mannschaft schon vor Turnierbeginn ab: Die Niederlande präsentieren sich vor dem Duell gegen den Erzrivalen Deutschland in einem desolaten Zustand.

Nach den "Stinkstiefeln" Clarence Seedorf und Patrick Kluivert legte nun ausgerechnet der sonst eher ruhige Roy Makaay nach und beschwerte sich kurz vor dem Klassiker gegen Deutschland im Drachenstadion von Porto über seine Reservistenrolle. "Glauben Sie mir, die Deutschen haben Angst vor mir. Psychologisch wären wir mit mir doch klar im Vorteil", forderte der Stürmer des FC Bayern München im "Algemeen Dagblad" erneut seinen Einsatz.

Alle Spieler scheinen den Respekt vor Trainer Advocaat verloren zu haben. Patrick Kluivert spottete über seine Mannschaftssitzung: "Ich hätte Advocaat gerne meine Meinung über die Taktik gesagt. Aber ich war ja nicht eingeladen."

Ruud van Nistelrooy hatte schon vorher mit heftigen Beschimpfungen der eigenen Fans für Wirbel im holländischen Blätterwald gesorgt. ("Sie nennen dich einen Hurensohn und wünschen dir, dass du Krebs bekommst"): Dazu kommt die dauernde Kritik der heimischen Fußballgrößen an dem Leistungsvermögen der Mannschaft. Zuletzt hatte Johan Cruyff im staatlichen Fernsehen vor dem erster Ballberührung in Portugal mit der Mannschaft abgerechnet. Dem heutigen Oranje-Team fehle der nötige Mannschaftsgeist und unbedingte Erfolgswillen. Die Hoffnung auf die Rückkehr zum einst von ihm und seinen Kollegen praktizierten "totalen Fußball" habe er längst aufgegeben.

Auch die Presse höhnt über Advocaat als "hochgestolperter Hilfstrainer". Den gröbsten Ausfall leistete sich Jan Moulder, Vater des ehemaligen Schalker Stürmers: "Man muss den Bondscoach steinigen", sagte er in einer TV-Sendung.

Tatsache ist: Advocaat hat in einer völlig verunglückten Vorbereitung nicht geschafft, aus seinem Großaufgebot an genialen Individualisten eine eingespielte Mannschaft zu formen. Hinter der erhofften Wiedergutmachung für die verpasste WM-Qualifikation 2002 stehen viele Fragezeichen. Wie bei den peinlichen Pleiten in den EM-Testspielen zeigten sich die Oranje- Stars auch bei den Trainingseinheiten im Estadio Municipal von Albufeira oft verunsichert und nicht als homogenes Team.

Advocaat hat nach der Dauerkritik der letzten Wochen gegenüber den Medien längst auf Durchzug geschaltet und hält auch seine Aufstellung streng geheim. Sehr wahrscheinlich wird gegen Rudi Völlers Auswahl aber eine Mannschaft auflaufen, die in dieser Formation noch nie gemeinsam gespielt hat. Routinier Seedorf meldete sich nach seiner Muskelzerrung rechtzeitig wieder fit. Der 28-Jährige, der vor seiner Verletzung mit Stammplatzforderungen den Reigen der öffentlichen verbalen Scharmützel eingeleitet hatte, dürfte aber zu Beginn nur auf der Ersatzbank sitzen.

Die Bilanz gegen Deutschland ist mit nur einer Niederlage seit dem WM-Aus 1990 zwar äußerst positiv, doch seit dem Scheitern im Halbfinale bei der EM 2000 im eigenen Land hat die "Elftal" nur beim 6:0 in der EM-Relegation gegen Schottland eine wirklich überzeugende Partie geliefert. Für die schon als "verlorene Generation" gebrandmarkten Profis wie Seedorf, Kluivert oder Edgar Davids steht somit einiges auf dem Spiel. Wie Advocaat würde ihnen bei einem frühen Scheitern wohl keine weitere Chance im Nationalteam eingeräumt werden.

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Arne Richter, dpa

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