Zum siebten Mal im Jahr 2011 treffen die beiden besten Mannschaften der Welt an diesem Wochenende aufeinander. Nach einem Ligaspiel, zwei Champions League-Halbfinals, einem Pokalfinale und zwei Supercupbegegnungen steht nun mit dem Hinspiel der aktuellen La Liga-Saison im Estadio Santiago Bernabéu der vorläufige Höhepunkt der Serie an.
Schon auf den ersten Blick ist der Unterschied zu den früheren Ansetzungen zu erkennen. Real Madrid steht auf Platz eins und kann klar die bessere Form für sich beanspruchen. Barcelonas etwaige "Krise" ist natürlich nur eine relative, aber als solche beachtlich. Sage und schreibe 15 Siege in Folge hat Madrid zuletzt eingefahren, und dabei 57 Tore erzielt. Demgegenüber hat Barcelona eine Niederlage und zwei Unentschieden in den letzten 15 Spielen erlitten und "nur" 39 Treffer markiert.
Vor allem aber bedeutet die Tabellensituation taktische Vorteile für die Madrilenen. Bei drei Punkten Vorsprung und noch einem Spiel mehr als Barcelona besitzt die Mannschaft von José Mourinho virtuell sechs Zähler mehr als der Erzrivale. Mit anderen Worten: Ein Unentschieden wäre kein schlechtes Ergebnis, weil so der Abstand auf die einzige Mannschaft, die wirklich Konkurrenz bedeutet, gewahrt bliebe. Sogar eine Niederlage im Rückspiel müsste dann kein Beinbruch sein.
Wir haben in der Vorsaison als Vorschau auf den Clasico die taktischen Anforderungen an Real Madrid skizziert - mit der Begründung, Barcelona würde sowieso immer spielen wie Barcelona. In dieser Saison sieht das etwas anders aus. Für beide Teams ergeben sich einige taktische Alternativen, und es ist keineswegs ausgemacht, dass Madrid die reaktivere Rolle bei der Auswahl der Formationen zukommt.
Taktische Optionen: Real Madrid
Normalerweise darf das 4-2-3-1 José Mourinhos als gesetzt gelten, erlaubt es den Königlichen doch, die Stärken ihrer Offensive optimal zum Einsatz zu bringen. Es ist aber auch eine extrem offene Ausrichtung, die in der Vorsaison von Barcelona im Hinspiel (5:0) in Stücke zerrissen wurde. Deshalb setzte Mourinho im Frühjahr auf die defensivere Variante mit einem dritten zentralen Mittelfeldspieler (Pepe), was sehr gut klappte, durch den Platzverweis gegen den Portugiesen im Champions League-Hinspiel aber obsolet wurde.
Gute Form hin oder her - die Einstellung "Wir spielen so, wie wir immer spielen" hat Madrid im Clasico schon einmal teuer bezahlt. Unwahrscheinlich, dass Mourinho den gleichen Fehler noch einmal macht. Betrachtet man die ungewöhnliche Aufstellung, die Madrid vor drei Wochen in Valencia spielte, so könnte das einen Hinweis auf die zu erwartende Formation gegen Barcelona geben: 4-3-3 mit drei zweikampfstarken Mittelfeldspielern.
Neben Xabi Alonso und Sami Khedira könnte so Lass Diarra zum Einsatz kommen - durch Ricardo Carvalhos Ausfall wird Pepe wohl hinten gebraucht. Mesut Özil und wahrscheinlich Kaka müssten beide auf die Bank - obgleich in Valencia Özil rechts spielte, allerdings nicht besonders gut. Vermutlich würde wohl Angel di Maria als rechter Flügelstürmer aufgeboten, Cristiano Ronaldo natürlich links, oder?
Nicht zwingend. Es gab durchaus Spiele, in denen Mourinho ihn als einzige Spitze aufgeboten hat, zumindest gegen Barcelona, und das hat gar nicht schlecht geklappt. Dann könnten entweder der formschwache Özil oder der angeschlagene Kaka rechts spielen. Wenn man die Auswahl zwischen Ronaldo, Karim Benzema oder Gonzalo Higuaín hat, dann hat man wenige Probleme als Coach.
Taktische Optionen: Barcelona
Vorbei sind die Zeiten, in denen Josep Guardiola immer 4-3-3 spielte. Angefangen mit dem ersten Saisonspiel in der Liga gegen Villarreal experimentierte der Coach mit einer Dreierabwehrkette, die inzwischen regelmäßig zum Einsatz kommt. Aber kann dieses System gegen einen so starken Gegner wie Real Madrid funktionieren? Guardiola selbst hat schon angedeutet, dass er das nicht riskieren will.
Der Grund dafür: Schon mit einer Viererkette, die Barcelonas Außenspieler sehr offensiv interpretieren, besteht das Risiko, bei Ballverlusten Anspiele in den Rücken von Dani Alves oder Eric Abidal zu bekommen, ein Mittel, das Madrid in dieser Saison perfektioniert zu haben scheint. Bei nur drei Verteidigern müsste der jeweils äußere Abwehrmann in diesen Fällen nach außen ausweichen, in der Mitte entstünde leicht Unterzahl.
Das spricht für eine vorsichtigere Herangehensweise und die Rückkehr zum 4-3-3. Damit ist aber noch lange nicht geklärt, wie die Personalauswahl vonstatten geht. Denn neben den gesetzten Xavi und Sergio Busquets ist in Mittelfeld und Angriff bei den Katalanen wenig sicher. Die entscheidende Frage ist dabei gar nicht einmal, wie die eigenen Angriffe vorgetragen werden können, sondern vor allem, wie verlorene Bälle zurückgewonnen und Madrider Konter verhindert werden können.
Entscheidende Faktoren für den Clasico
Real Madrid ist die beste Kontermannschaft der Welt, und es wird für Barcelona vor allem darauf ankommen, Xabi Alonso unter Druck zu setzen, damit der nicht seine tödlichen Aufbaupässe anbringen kann. Ebenso aber lässt sich Barcelonas Spiel effektiv sabotieren, wenn Busquets keine Zeit bekommt, Bälle zu verteilen. Nicht jede Mannschaft kann allerdings so brutal pressen wie Marcelo Bielsas Athletic Bilbao, das kürzlich so energisch in der gegnerischen Hälfte auf die ballführenden Barca-Spieler draufging, dass der FCB schon dort fast verloren hätte.
Das hat zwar funktioniert - aber es entspricht nicht unbedingt den Stärken Real Madrids. Zwar spielen die in dieser Saison lange nicht mehr so tief und reaktiv wie in der Vorsaison, aber eine Mannschaft des extremen Pressings über 90 Minuten sind sie immer noch nicht. Wenn es José Mourinho gelingen wird, die ideale Mischung aus Einstellung auf den Gegner (Biss im Mittelfeld, maßvolles Pressing) und der Wahrung der eigenen Qualitäten (Geschwindigkeit und Präzision nach dem Umschalten) zu finden, dann wird Real Madrid den Clasico gewinnen.
Und damit auch den Titel. In den letzten sieben Jahren wurde immer die Mannschaft, die das Clasico-Hinspiel gewonnen hat, Spanischer Meister.
Daniel Raecke