Interview mit Bixente Lizarazu "Niemand ist mein Chef"

Vor dem Gipfeltreffen gegen Real Madrid kritisiert Bayern-Star Lizarazu im stern-Gespräch das "Chefgequatsche" in Deutschland und spricht über seine Freundschaft mit Real-Megastar Zinedine Zidane.

Monsieur Lizarazu, es heißt, Sie verstehen sich gut mit Zinedine Zidane. Werden Sie ihn vor dem Spiel gegen Real anrufen?

Klar, wir freuen uns sehr, uns zu sehen. Er ist wirklich einer meiner besten Freunde.

Sie kennen sich seit 1992, seit Ihrer gemeinsamen Zeit bei Girondins Bordeaux. Wie war Ihr erster Eindruck von ihm?

Er hatte Probleme, die Spiele bis zum Ende durchzuhalten. Nach 60, 70 Minuten war er platt. Wir wurden schnell Freunde, auch wenn unsere Interessen sehr unterschiedlich sind. Zidane ist ein Stadtmensch, ich liebe das Meer.

Ahnten Sie, was noch kommen würde?

Er hatte Talent, aber er hat an sich gearbeitet wie ein Besessener. Zidane ist nicht mit diesen gefühlvollen Füßen auf die Welt gekommen, er hat sie dazu geformt.

Beim FC Bayern will Präsident Franz Beckenbauer endlich sch”nen Fußball sehen, so wie Zidane ihn mit Real zeigt.

Darüber muss ich lächeln. Der FC Bayern hat mit einer sicheren Abwehr die Champions League gewonnen. Da kann man doch nicht von heute auf morgen so wie Real oder die französische Nationalelf spielen. Dafür braucht man einen wie Zidane und noch vier der besten Spieler der Welt. Es ist sogar gefährlich, die Kultur einer Mannschaft schnell ändern zu wollen. Das kann auch zu einer gewissen Verunsicherung führen, wie man ja gerade sieht. Mir reicht der Erfolg, wir sind immer noch im Sport, nicht auf der Showbühne.

Sie gelten im Verein als Musterprofi. Kaum einer macht seinen Job so gewissenhaft.

Schon merkwürdig, odere Ausgerechnet ein Franzose arbeitet so hart und wird von den Deutschen in dieser Hinsicht auch noch respektiert.

Sie sind gemeinsam mit Zidane Welt- und Europameister geworden. Beckenbauer wünscht sich, dass Sie bei den Bayern mehr Verantwortung übernehmen. Warum wehren Sie sich dagegen?

Weil ich das nicht einsehe. Das ist für mich eine typisch deutsche Diskussion. Eine Mannschaft besteht auf dem Platz aus elf Spielern, elf Charakteren, mir geht nicht in den Kopf, warum man einen so hervorheben soll. Hier redet man immer davon, einer muss der Chef sein...

Michael Ballack, der Spielmacher, steht mächtig unter Druck, weil er diesem Anspruch angeblich nicht gerecht wird.

Dieses Chefgequatsche ist mir suspekt. Ich bin der Chef von niemandem, und niemand ist mein Chef. Zidane ist in der Nationalelf auch nicht mein Chef. Wir in Frankreich sprechen immer von "cadres", von mehreren leitenden Spielern, nie von einem Führungsspieler. Wir denken mehr im Kollektiv, die Deutschen setzen mehr auf den Einzelnen. Selbst das Spiel ist hier auf Personen fixiert.

Wie meinen Sie das?

Die Kultur des Zweikampfs, eins gegen eins, wurde nirgendwo so kultiviert wie in Deutschland. Und nur hier gibt es so viele Einzelstatistiken über Spieler. Wenn aber einer Wege für seine Kollegen läuft, taucht das in den Zahlen nicht auf. Diese Denkweise prägt das Verhalten auf dem Platz - dabei entscheidet oft das Spiel ohne Ball ein Match.

Wenn Zidane nicht der lautstarke Chef ist - warum ordnen sich ihm trotzdem alle untere?

Weil er jeden Mitspieler besser aussehen lässt, als der wirklich ist. Wenn ich auf der linken Seite lossprinte, brauche ich mir keine Sorgen zu machen: Er wird mir den Ball perfekt in meinen Lauf spielen. Ich würde alles für ihn tun auf dem Platz. Weil ich weiß, dass er auch alles für mich macht. Für so einen zerreißt du dich.

Nun spielen Sie gegen ihn. Können Sie Zidane eigentlich foulen?

Wenn ich ihn anrufe, werde ich ihn bitten, am Dienstag nicht über meine linke Seite zu kommen. Es ist für mich schwierig, gegen ihn zu spielen. Ich kann ihn nicht so attackieren wie Beckham oder Figo. Zizou weckt in mir keine Aggressionen, ich kann ihm einfach nicht wehtun.

Interview: Giuseppe di Grazia

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