Schneller als Salomon Kalou ist wohl selten ein Bundesliga-Spieler vom Dienst suspendiert worden. Mittags erst hatte der Stürmer von Hertha BSC ein Video bei Facebook hochgeladen, auf dem er sich selbst dabei filmte, wie er einige seiner Mitspieler fröhlich begrüßte, mit dem Physiotherapeuten auf Tuchfühlung ging und gemeinsam mit den Kollegen über Gehaltskürzungen moserte – ganz so, als habe es nie eine Corona-Pandemie gegeben. Abends bereits verkündete dann die Geschäftsleitung den Rauswurf Kalous aus dem Trainingsbetrieb der Hertha, Geschäftsführer Michael Preetz konstatierte frostig "den großen Schaden", den Kalou dem Klub mit seiner unerlaubten Filmerei zugefügt habe.
Wie groß der Schaden ist, wird sich in den nächsten Tagen erweisen. Klar ist jedoch jetzt schon, dass die Einblicke in die Hertha-Kabine ein schwerer Rückschlag für die Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs sind. Denn so schlüssig sich das 41-seitige Hygiene- und Sicherheitskonzept der Liga liest und so geschlossen sich die Klubs zur Einhaltung der Mindestabstände verpflichtet haben – was hilft das alles, wenn die Spieler permanent Hände schütteln und auf den Kabinenbänken herumkumpeln?
Natürlich konnte niemand damit rechnen, dass im Trainingsbetrieb sämtliche Vorschriften stets mustergültig eingehalten werden. Und schon das freimütige und später vom Klub brachial korrigierte Interview mit Kölns belgischem Spieler Verstraete hatte gezeigt, dass das Distanzhalten im Kraftraum und auf dem Fußballplatz eher lax gehandhabt wird.
Und trotzdem hat das Kalou-Video eine andere, erschreckende Qualität. Weil sich in knapp 25 Minuten Live-Video eine Ungeheuerlichkeit an die nächste reiht. Da ist der Fahrer, der am Lenkrad filmt. Da ist das Abklatschen mit allen Kollegen. Da ist das Palaver über Gehaltskürzungen. Da ist das ungefragte Betreten des Testraums, in dem gerade ein Mannschaftskollege auf das Coronavirus getestet wird. Da ist der Arzt, der panisch bittet: "Lösch das Video", was Kalou nicht weiter kümmert. Und schließlich als Schlusspointe: Der testende Arzt ist gar kein Arzt, sondern ein Physiotherapeut.
Eine Fußballszene, die nur um sich selbst kreist
Ein Video also mit tragischem Unterhaltungswert, denn die wackligen Livebilder sind das Vorspiel zu einer der wichtigsten Tage in der Bundesliga-Geschichte. Am Mittwoch sollen nämlich die Ministerpräsidenten grünes Licht für die Wiederbeginn der Bundesligen geben. Was sie nur tun werden, wenn sie den gefestigten Eindruck haben, dem Volk einen Dienst zu erweisen, in dem sie für Zerstreuung und Unterhaltung am Wochenende sorgen. Dafür müsste sich der Fußball aber zumindest in den nächsten Wochen als epidemiologischer Musterschüler präsentieren, der sich vorbildlich an alle Bestimmungen hält und quasi vorangeht, auf dem Weg zurück in die Normalität.
Der Livestream von Salomon Kalou hingegen nährt alle Vorurteile gegenüber einer Fußballszene, die nur um sich selbst kreist. Dabei ist, Treppenwitz dieser Geschichte, ausgerechnet Kalou einer der bodenständigsten und empathischsten Profis im Hertha-Kader und taugt so gar nicht zum Prototypen des abgehobenen Millionärs. Aber es ist nun mal gerade nicht die Zeit feinsinniger Differenzierungen. Dafür ist die gesellschaftliche Stimmung gegenüber dem Fußball viel zu gereizt, die Vorbehalte gegenüber einer Sonderbehandlung des Profifußballs zu groß.
Es bedarf deshalb eines schnellen und konsequenten Schwenks der Bundesligaklubs. Sie müssen damit rechnen, dass es nicht bei den bisher entdeckten 10 Infizierten bei 1700 Testungen bleibt und dass in den nächsten Wochen noch weitere Verstöße gegen die Hygienevorschriften offenbar werden. Aber anstatt sie zu leugnen oder zu mauern oder Maulkörbe zu verteilen, braucht es Offenheit, ostentative Einsicht in die eigene Fehlbarkeit und die Hoffnung darauf, dass das Publikum einem nahbaren und selbstkritischen Fußballbetrieb Verstöße und Fehler eher verzeiht.
Dass Hertha BSC Salomon Kalou so schnell suspendiert hat, ist für den Spieler schmerzhaft. Zumal er nicht der einzige ist, der in der Hertha-Kabine Fehler gemacht hat. Aber es ist die einzig richtige Entscheidung, sie demonstriert Konsequenz und Entschlossenheit und ist ein klares Signal mit Blick auf die Entscheidung am Mittwoch und den 16. Mai, an dem die Liga wieder los gehen soll.