Während in anderen Ländern langsam der Boden für ein schwulenfreundliches Klima im Fußball bereitet wird, beispielsweise mit Bewährungsstrafen für homophobe Äußerungen in Stadien, ist man in Deutschland noch weit davon entfernt. Rainer Schäfer, Chefredakteur des Fußballmagazins "Rund", hat sich lange mit dem Thema beschäftigt und ist zu der Ansicht gekommen, dass die Folgen eines Outing für einen deutschen Fußball-Profi nicht abzusehen wären.
Herr Schäfer, warum ist schwul zu sein eigentlich immer noch so ein Tabu-Thema im Fußball, im Gegensatz zur Politik oder Kunst?
Vielleicht liegt es daran, dass der Fußball sich sehr männlich gibt und darin sehr viele Macho-Attitüden zu finden sind. Daraus wird immer die These gesponnen, dass Homosexuelle sich im harten Männersport nicht zurechtfinden, weil sie ohnehin zu weich wären, diesen Sport zu betreiben.
Sie haben zwei Jahre lang recherchiert, wie haben Sie gearbeitet?
Wir haben vor über zwei Jahren schon mal eine Geschichte darüber gemacht und sind an den Kontakten, auch in die homosexuelle Szene, dran geblieben. Wir konnten mit zwei Spielern sprechen. Es wäre nicht möglich gewesen, diesen Text innerhalb kürzerer Zeit zu schreiben, weil es notwendig war, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und deutlich zu zeigen, wie man mit den Informationen umgeht - eben nicht sensationslüstern. Wir hatten von Anfang an die Absicht, über Homophobie im Fußball aufzuklären und in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen. Die Spieler kriegen fast jedes Wochenende im Stadion mit, dass im Fußball eine sehr schwulenfeindliche Atmosphäre herrscht. Dagegen gilt es etwas zu tun.
Sie haben mit zwei deutschen Profis gesprochen. Wie sieht das Innenleben eines schwulen Fußballers aus? Unter welchem Druck steht der?
Er kann nicht so leben, wie er gerne möchte. Einerseits wird er angehimmelt von seinen Fans, die davon ausgehen, dass er heterosexuell und "normal" ist, auf der anderen Seite muss er einen zentralen Teil seiner Persönlichkeit verbergen, nämlich seine Homosexualität. Dadurch ist er gezwungen, große Verdrängungsmechanismen aufzubauen und im Verborgenen seine Sexualität auszuleben. Wie wir von einem Sportpsychologen wissen, der seit Jahren Spieler berät, führt das zu großen psychosozialen Problemen. Die Spieler sollen funktionieren - wie wir inzwischen wissen, sind auch Spitzenspieler dabei -, und das ist schwierig, wenn man immer von Ängsten und Zweifeln geplagt ist, wenn man seine Familie belügen muss. Dieses Konstrukt aus Lügen und Notlügen macht es nicht gerade leichter, sich auf den Profifußball zu konzentrieren und seine Leistung zu erbringen.
Wie leben schwule Fußballer?
Das ist ja das was uns selbst absurd vorkam bei der Recherche. Der holländische Profischiedsrichter John Blankenstein, der im August verstorben ist, hat uns vor einiger Zeit von homosexuellen holländischen Nationalspielern erzählt, die er kennt, und die verheiratet sind und Kinder haben. Die betrügen ihre Familie, die ganze Welt, vor allem sich selbst, weil sie nicht offen zu ihrer Lebensform stehen wollen. Das war für uns sehr absurd, was sind das für abenteuerliche Konstrukte! Das ist in den beiden Gesprächen, die wir mit homosexuellen deutschen Spielern geführt haben, bestätigt worden. Der eine von den beiden Profis ist verheiratet und hat Kinder, und sein Lebenspartner, mit dem er schon viel länger zusammen ist als mit seiner Ehefrau, lebt in einer anderen Stadt. Das ist seine eigentliche Partnerschaft. Und der andere nimmt immer zu Weihnachtsfeiern und Mannschaftsabenden seine beste Freundin mit, die eingeweiht ist, um im Kreise des Teams seine "Normalität" zu demonstrieren. Das sind schon Abende und insgesamt Normen, die ihnen sehr verhasst sind. Die sind es so leid, ein Bild abgeben zu müssen, dem sie nicht entsprechen.
Einer von elf Profis ist schwul, lautet die These der Titelgeschichte. In Deutschland gibt es 36 Bundesligavereine mit jeweils einem Kader von rund 30 Leuten. Das sind ungefähr tausend Profis, jeder elfte wären rund 90 schwule Spieler. Eine stattliche Anzahl - wie können Sie das behaupten?
Das behaupten wir nicht einfach so. Dieser statistische Wert beruht auf einer Aussage eines Sportpsychologen, der seit Jahr und Tag homosexuelle Profis in seiner Praxis berät. Er hat diesen statistischen Wert bestätigt, indem er sagt, es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern das entspricht in etwa der Prozentzahl von Homosexuellen allgemein in der deutschen Gesellschaft. Vielleicht muss man zwei, drei Prozent runter rechnen, vielleicht sind es nicht elf Prozent sondern acht, es ist schwierig, das auf die Ziffer genau zu benennen.
Sie berichten in Ihrer Geschichte auch von einem Erpressungsversuch.
Wir sind sicher nicht die Einzigen, die wissen, dass es homosexuelle Fußballer gibt. Das wissen auch Boulevard-Journalisten. Von einem Berliner Buchautor haben wir erfahren, dass er zweimal aufgefordert wurde, einen Spieler zu outen, also ein Zwangsouting vorzunehmen. Dafür hat er eine beträchtliche Summe geboten bekommen, weil sich das Boulevardmedium selbst nicht die Finger schmutzig machen wollte. Diese Sensationsgeilheit wollten wir nicht mitmachen. Deswegen ist auch nicht zu raten, dass ein Spieler sich outet, solange sich der Fußball so schwulenfeindlich darstellt. Dem ersten Spieler, der sich outet, würde wochenlang hinterher gestiegen werden, er hätte keine ruhige Minute mehr, weil alle wissen wollen, wie der lebt.
Es gibt auch ein negatives Beispiel in Großbritannien, da hat sich ein Fußballer erhängt.
Justin Fashanu hat sich in den 90er Jahren geoutet, eindeutig zu früh. Im Gegensatz zu Deutschland wird vom englischen Verband einiges unternommen, um gegen die schwulenfeindliche Atmosphäre in den Stadien vorzugehen. Fashanu hat sich acht Jahre nach seinem Outing erhängt. Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Er hat sich auch nicht sonderlich glücklich verhalten, weil er versucht hat, aus seiner Homosexualität Kapital zu schlagen. Aber letztendlich war die Zeit noch nicht reif für ein Outing.
Sie haben von den Offiziellen, die Sie angefragt haben, keine Stellungnahme bekommen.
Wir hätten gerne mit DFB-Präsident Theo Zwanziger über das Thema Randgruppe gesprochen, da fallen die Homosexuellen drunter. Dazu wollte er sich nicht äußern. Homosexualität steht in der Hierarchie der Diskriminierung ganz unten. Oben steht Rassismus, da wird inzwischen was getan, dann kommen die Frauen und die Behinderten, da wird sich auch eingesetzt. Für die Schwulen wird gar nichts getan. Auch für die Spieler ist das kein Thema, damit will man nicht in Berührung kommen, die Ablehnung ist riesengroß.
Acht Vereine haben doch reagiert.
Sieben positiv, ein Pressesprecher meinte betonen zu müssen, dass seine Spieler überdurchschnittlich viel Geschlechtsverkehr haben, aber alle heterosexuell und damit auch "normal" wären.
Welches Feedback kam von den Vereinen, die positiv reagiert haben?
Wir wollen es nicht mit dem Titelthema in "Rund" bewenden lassen, wir denken an eine Art Konferenz im nächsten Jahr, bei der man sich mit Interessierten trifft. Wer weiß, vielleicht kommt auch ein Spieler dazu, der dann die Risiken abschätzen kann und das als Forum nimmt, um sich zu äußern. Wir haben generell angefragt, ob die Vereine bereit wären, sich gegen Homophobie einzusetzen. Sieben Clubs signalisierten Bereitschaft.
Neben Corny Littmann, Vorzeigeschwuler und Präsident des FC St. Pauli, hat sich auch Michael Preetz, Ex-Nationalspieler und Leiter der Lizenzabteilung bei Hertha BSC Berlin, zitieren lassen mit den Worten "Homosexuelle gibt es in allen Gesellschaftsschichten, auch im Sport. Ich bin gegen jegliche Form der Diskriminierung, auch gegen Homophobie." Ist das tapfer von ihm?
Im Grunde genommen ist es keine besondere Leistung, so etwas zu sagen, sondern eine Selbstverständlichkeit. Dass Preetz sich zitieren lässt, ist aller Ehren wert. Aber dass so ein Zitat, das eigentlich nicht besonders viel Mut erfordert, die Ausnahme ist, zeigt wie traurig die Situation in der Bundesliga ist. Wenn ein bekennend heterosexueller Spieler sagen würde, "Leute, wo ist eigentlich das Problem", dann wäre das längst kein so ein großes Thema mehr.
Ist die Situation in anderen Ländern anders?
In England werden Fans für homophobe Parolen aus Stadien abgeführt, es werden Bewährungsstrafen verhängt. In Frankreich gibt es leichte Ansätze, dass sich das Klima verändert, in Italien auch: Der Nationalspieler Alberto Gilardino wurde von der Nationalen Schwulenvereinigung zur Ikone gekürt. Er hat diese Ehrung genutzt um darauf hinzuweisen, dass er sich wünscht, dass jeder leben kann wie er möchte und nicht wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden soll. Solche Bekenntnisse wird man von deutschen Spielern nicht hören, das sind jedenfalls unsere Erfahrungen.
Wäre denn ein kollektives Outing eine Möglichkeit? Haben schwule Fußballer untereinander Kontakt?
Bei den beiden Spielern, mit denen wir gesprochen haben, wurde nicht deutlich, dass sie in einem Netzwerk zusammen sind, die scheinen Einzelkämpfer zu sein. So ein gemeinsames Coming out würde sicher den Druck nehmen von den Einzelnen nehmen, das könnte ich mir schon vorstellen. Vielleicht finden sich ein paar Spieler mal zusammen, die sagen, wir wollen das. Für den Einzelnen ist das zu riskant.
Was würden Sie sich wünschen als Reaktion auf ihre Titelgeschichte?
Auch in der Bundesliga sollte darüber gesprochen wird und es sollte überhaupt kein Problem sein, dass Homosexuelle in der Bundesliga spielen. Man kann die Augen davor nicht verschließen. Auch der DFB muss aus seiner Lethargie erwachen und gegen Homophobie in den Stadien vorgehen. Er ist nicht bekannt dafür, dass er bei solchen Themen besonders schnell ist. Aber wenn diese Geschichte dazu beiträgt, dass es ein wenig schneller geht, wäre das schon ein Erfolg.
Interview: Kathrin Buchner