Die ganz große WM-Party, sie ist vorbei. Auch mit dem fantastischen Dortmunder Publikum im Rücken hat es die deutsche Nationalelf nicht geschafft, den Finalkurs zu halten und Italien zu bezwingen. Natürlich sind Enttäuschung und Trauer jetzt groß, weil der Traum vom Weltmeister-Titel ausgeträumt ist. Allzu lange sollte man sich allerdings nicht im Jammertal aufhalten, denn so schmerzhaft diese 0:2-Niederlage auch war, es ist eindeutig das Positive, was nach diesen sechs wunderbaren deutschen WM-Spielen überwiegt.
Wo stand der deutsche Fußball eigentlich noch vor vier Wochen? War es nicht so, dass uns weltweit die Experten auf dem absteigenden Ast wähnten? Selbst im eigenen Land war vor diesen Titelkämpfen die Schar der Kritiker des Kurses von Bundestrainer Jürgen Klinsmann stets größer als die Zahl derer, die ihm zuapplaudierten. Für alle Schnell-Vergesser sei noch einmal an die Stimmung im Land nach der 1:4-Schlappe gegen Italien im März erinnert. Danach wollten viele nicht nur zu Manndeckung und Libero zurückkehren, sondern gleich den als Irrtum begriffenen Großversuch mit Klinsmann stoppen.
Titelgewinn schien realistisch
Dass es letztlich nicht dazu kam, kann man als echten Glücksfall bezeichnen. Die deutsche Nationalmannschaft hat bei dieser WM alle Erwartungen bei weitem übertroffen. Hauptverantwortlich hierfür: Jürgen Klinsmann. Seine Fitness-Teamgeist-Philosophie ist voll aufgegangen. Die Maßnahmen haben gegriffen, der Reformstau rund um die Nationalelf ist durch die Revolte eines Versessenen aufgelöst worden. Auch wenn es nicht zum angestrebten Titel gereicht hat, viel wichtiger ist doch die Erkenntnis, dass die Mannschaft sich beim Abspielelen der Hymne umarmt, an sich glaubt, bis zum Umfallen kämpft und am Ende sogar Oliver Kahn Jens Lehmann umarmt.
Bis Dienstagnacht 23.27 Uhr versetzte das DFB-Team mit seinem Willen Berge. Noch nie hatte eine deutsche WM-Mannschaft jemals so einen Durchmarsch mit fünf Siegen am Stück hingelegt. Nach den Siegen in der Vorrunde durfte man klatschen, und dann sagen: Ja gut, es waren Costa Rica, Polen und Ecuador. Dann aber wurden die Schweden und als Höhepunkt Argentinien vom Hof gejagt. Mit den "Gauchos" wurde im Viertelfinale so ganz nebenbei die bis dahin beste Truppe des Turniers ausgeschaltet und damit endlich mal wieder ein Großer geschlagen. Mit jedem Sieg wuchsen die Träume weiter in den Himmel. Der Titelgewinn, er schien plötzlich realistisch.
Vorerst ein letztes Mal feiern
Auf dem Weg zum "Wunder von Berlin", und nichts anderes wäre es realistisch betrachtet gewesen, sollten im Halbfinale als nächstes die Italiener dran glauben. Daraus wurde nichts, weil diese abgezockten "Azzurri" - jetzt seit 24 Länderspielen ungeschlagen - in diesem großartigen, intensiven Klassespiel schlicht und einfach einen Tick besser waren. Das muss man fairerweise anerkennen. Kühl bis ans Herz spielten die Italiener ihren Stiefel runter und hatten damit genau das in ihrem Repertoire, was der deutschen Nationalelf noch fehlt: Cleverness und Abgebrühtheit, oder anders ausgedrückt, Erfahrung. Aber wo soll die so schnell auch herkommen? Selten war Deutschland mit so einer jungen, entwicklungsfähigen Mannschaft bei einer Weltmeisterschaft.
Jetzt geht es am Samstag im kleinen Finale also "nur" um Platz drei, aber das ist nicht schlimm. Die Stimmung sollte man sich deshalb nicht vermiesen lassen, sondern stattdessen diesen lieb gewonnenen und verschworen Haufen vorerst ein letztes Mal feiern. Und noch etwas sollte man tun: Ein Stoßgebet zum lieben Gott entsenden und hoffen, dass Jürgen Klinsmann seinen Job als Bundestrainer auch nach der WM fortsetzt. Er hat dafür gesorgt, dass Deutschland wieder eine Nummer im Weltfußball ist. Seine Mission ist fürs Erste gestoppt, aber längst noch nicht beendet.