WM 2010 - Toni Kroos "Ich bin keiner, der gerne rumgrätscht"

Nach dem Ausfall von Thomas Müller wittert Toni Kroos seine Chance im Halbfinale gegen Spanien. Mit stern.de sprach Kroos über Ossis im Team, den nächsten Gegner und Wunderkind-Vergleiche.

Herr Kroos, wie viel bekommen Sie mit von der Stimmung in Deutschland und von den euphorischen Kritiken der Weltpresse?
Nicht sehr viel. Wir wissen zwar, was in Deutschland los ist, aber es ist wohl besser, wenn man das nicht zu nahe an sich herankommen lässt. Wir wissen ja auch, dass es mit diesen Reaktionen hoch und runter geht. Denken Sie an die euphorischen Reaktionen nach dem ersten Spiel - und wie es dann nach der Partie gegen Serbien wieder runterging. Unser Ghana-Spiel war ja auch nicht so überzeugend, deswegen muss man das alles nicht so ernst nehmen und die Lage nüchtern betrachten. Das haben wir getan und wissen, dass wir gegen England und Argentinien zwei tolle Spiele gemacht haben.

Sie lesen bewusst keine Zeitungen?
Nein, das nicht, aber man hat schon das Gefühl, dass da oft ganz schön übertrieben wird - zu der einen wie zu der anderen Seite. So sind wir nach dem Serbien-Match zu schlecht weggekommen, da haben wir nämlich trotzdem ein gutes Spiel gemacht.

Hatten Sie mal das Gefühl, zu gut weggekommen zu sein, zu oft als Wunderkind bezeichnet zu werden?
Da sind tatsächlich schon öfter mal Sachen geschrieben worden - denen konnte ich damals in dem jugendlichen Alter gar nicht gerecht werden.

Vor dem Turnier galt die Nationalmannschaft als Ansammlung von Talenten - wie sehen Sie die Entwicklung zum jetzigen Team?
Stimmt schon, die Mannschaft ist sehr jung. Aber sie wurde ja nicht ausgesucht nach dem Kriterium "Wer sind die Jüngsten?", sondern "Wer sind die Besten?" Dass es nun so viele Junge sind, ist natürlich positiv, vor allem, was die Zukunft betrifft. Wir haben uns gut zusammengefunden - kein Wunder nach 65 oder gar 70 Trainingseinheiten, die wir schon hinter uns haben. Und dass wir eine große Anzahl guter Fußballer haben - nicht nur die, die spielen, sondern auch die, die reinkommen können -, das hat man jetzt ja wohl gesehen.

Wie zufrieden sind Sie persönlich?
Ich bin zufrieden. Zum einen, weil der mannschaftliche Erfolg da ist, zum anderen wegen meiner eigenen Geschichte. Wenn mir vor anderthalb Jahren, als es bei Bayern für mich schlecht lief, jemand gesagt hätte, dass ich bei der WM dabei bin und sogar zu Einsätzen komme, hätte ich das kaum geglaubt.

Jetzt können Sie im Halbfinale gegen Spanien für Thomas Müller auf dem rechten Flügel stürmen. Sie spielen aber auch in der Mitte. Wo wär's Ihnen am liebsten?
Da, wo ich in Leverkusen immer gespielt habe - auf der linken Seite. Sonst hatte ich zentral gespielt.

Sogar fürs defensive Mittelfeld wurden Sie schon gehandelt.
Genau. Obwohl ich da eigentlich noch nie gespielt habe. Ich bin keiner, der gerne am Boden rumgrätscht, ich war immer ein offensiver Spieler. Das weiß der Trainer auch. Daher empfinde ich es als großes Lob, dass er mir auch diese Position zutraut. Wenn man schon bei der Nationalmannschaft dabei ist, würde man gern auf vielen Positionen spielen - natürlich auch rechts.

Also da, wo Thomas Müller schon spielt. Den könnten Sie in Durban vertreten. Hat der Trainer sich schon entschieden?
Noch hat er nicht mit mir darüber gesprochen. Ich weiß auch nicht, was er jetzt denkt. Bisher bin ich mehr aus dem zentralen Mittelfeld gekommen, während Piotr Trochowski immer auf rechts eingesetzt wurde, wenn er für Müller gekommen ist.

Bundestrainer Löw wird nachgesagt, er würde immer die passende Ansprache finden - auch für Spieler, die eingewechselt werden. Wie erleben Sie ihn?
Er vermittelt einem schon das Gefühl, dass man unbekümmert aufspielen und an seine eigenen Stärken glauben soll. Und bislang haben alle bewiesen, welche Stärken sie haben. Wenn wir das weiter so machen, brauchen wir uns vor keinem zu verstecken.

Auch vor Spanien nicht?
Nein, obwohl das nach wie vor die beste Mannschaft der Welt ist. Die haben vor allem vorne lauter Weltklassespieler, die meisten spielen auch noch im selben Verein. Daher müssen wir versuchen, so aufzutreten wie in den letzten beiden Spielen.

Hat Spanien Sie in diesem Turnier überzeugt?
Klar, sie haben jetzt noch keine Mannschaft souverän weggeschossen. Aber sie haben sich durchgesetzt, weil sie von allen Mannschaften hier das größte fußballerische Potential haben. Selbst in ihrem verloren gegangenen Auftaktspiel gegen die Schweiz hatten sie ja um die 70 Prozent Ballbesitz.

Was muss man gegen Spanien machen?
Wir müssen aggressiv sein wie gegen England und Argentinien, um dann aus der Defensive wieder schnell nach vorne zu spielen.

Haben die deutschen Spieler das schon in ihrer Ausbildung mit auf den Weg bekommen?
Während meiner Ausbildung in Rostock wurde da schon drauf geachtet - und darauf, beidfüßig schießen zu können. Das sehe ich noch heute als große Stärke von mir. Heutzutage hat man nicht mehr die Zeit, den Ball vom einen auf den anderen Fuß zu legen. Wenn es dann egal ist, ob man mit links oder rechts schießt, ist das natürlich von Vorteil.

Fiebern Freunde oder Familie mit ihnen vor Ort mit?
Nicht mehr. Meine Freundin Jessica war beim zweiten und dritten Gruppenspiel hier, aber sie ist jetzt wieder zu Hause. Und mein Bruder Felix hat gerade mit dem Training bei Werder Bremen begonnen - der kann jetzt auch nicht.

In den vergangenen 20 Jahren haben Spieler aus Ostdeutschland die Nationalmannschaft maßgeblich mitgeprägt. Jetzt sind Sie der einzige im Team, der von dort kommt. Spielt das für Sie eine Rolle?
Es spielt keine große Rolle. Mir ist zwar bewusst, dass ich nach dem Ausfall von Michael Ballack und René Adler der einzige bin.

Aber denken Sie daran, wann ich geboren bin - nach der Wende. Nein, meine Herkunft bewegt mich nicht sonderlich.

Kein gesteigertes Interesse etwa an dem, was mit Red Bull gerade in Leipzig passiert und dass da mal wieder Nationalspieler herkommen könnten?
Wenn überhaupt, dann interessiere ich mich noch für Hansa Rostock, meinen Heimatverein.

P.S.: Sollte Toni Kroos gegen Spanien von Beginn an spielen? Diskutieren Sie das Thema auf Fankurve 2010 der Facebook-Fußballfanseite von stern.de.

Toni Kroos

Oliver Hurst-Pool/Getty Images Toni Kroos wurde am 4. November 1990 im mecklenburgischen Greifswald geboren. In der Jugend begann er mit dem Fußballspielen beim Greiswalder SC, wo er von 1997 an kickte. Zwischen 2002 und 2006 spielte Kroos bei Hansa Rostock, dann war er zwei Jahre lang in Jugend des FC Bayern München. Bei den Bayern begann 2007 auch seine Profikarriere. Eine starke Saison spielte Kroos als Leihgabe bei Bayer Leverkusen in der Spielzeit 2009/2010. Ab der kommenden Saison kehrt er nach Bayern zurück. Toni Kroos bestritt bis jetzt sechs A-Länderspiele für die DFB-Elf.

Klaus Bellstedt

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