Es sind die Augen, die man nicht mehr vergisst. Die Augen eines Berbers, grün leuchtend unter zusammengewachsenen Brauen, sie dringen einem auf den Grund der Seele.
Zidane ist ein schüchterner Mann, doch er wird um seine Wirkung wissen, und vielleicht sind deshalb seine Augen oft auf der Suche: aus Höflichkeit. Immerzu späht er nach irgendwas.
Von nahem wirkt der beste Spieler der Welt jünger als im Fernsehen, verletzlicher. Es liegt wohl daran, dass man seine Tonsur nicht sieht, die Haartracht der Mönche. Das Anrührendste an ihm aber ist sein Lächeln. Er lächelt oft. Es verwandelt sein strenges Gesicht, es steht ihm gut. Seine Mitspieler in Madrid - und in der französischen Nationalelf - nennen ihn "Zizou". Es hört sich fast zärtlich an: Sisou.
Am Dienstag gastiert er mit Real im Olympiastadion, im Achtelfinale der Champions League geht es gegen die Bayern. Für die Münchner ist es die Chance, eine bisher verkorkste Saison zu retten, für Madrid nur eine lästige Hürde auf dem Weg zum wie selbstverständlich erwarteten Einzug ins Endspiel.
Zidane schlürft sein Mineralwasser in der Cafeteria, die zum alten Vereinsgelände von Real gehört und in der die Basketballhalle untergebracht ist. Die Korbjäger tuscheln während ihres Trainings. Sie erkennen Zidane, aber sie trauen sich nicht heran. Am Ende des Gesprächs wird er aufstehen und zu ihnen hinüberschlendern. Wie läuft's bei euch?, wird er in die Runde fragen, und die Gesichter der Männer, die ihn um Haupteslänge überragen, werden leuchten.
Zidane kennt diese Reaktion.
Selbst bei dem Starensemble von Real. David Beckham etwa, auf dem Feld eine Art Zuarbeiter de luxe von Zidane, himmelt sein Idol an wie ein kleiner Junge. Ronaldo schwärmt bis heute, dass ihn Zidane überraschend besucht habe, als er vor Jahren nach einer Knieoperation in einer Pariser Klinik lag. Nur der Portugiese Luis Figo hält Distanz. Der war 2000 der erste Coup des neuen Real-Präsidenten Florentino Perez auf dem Transfermarkt - und eifersüchtig auf den Franzosen, als der nur ein Jahr später von den Fans noch begeisterter empfangen wurde. Figo hat die Herabsetzung nicht überwunden, er sucht nur selten das Gespräch. Aber auf dem Platz erkennt auch er das Genie des anderen an.
Vermutlich ist Zidanes bemerkenswerteste Fähigkeit diese: die Bewunderung, den Beschützerinstinkt und den Stolz seiner Mitspieler zu wecken. Sie machen alles für ihn, aus freien Stücken. Viele der besten Spielmacher vor ihm, Herrscher wie Di Stefano oder Netzer, wurden von ihren Mitspielern nicht mehr als geachtet, manche gefürchtet und sicher auch gehasst.
Zidane wird geliebt.
Er dirigiert seine Mitspieler nicht, und doch führt er die Mannschaft durch seine intuitive, zielstrebige, kunstvolle Art zu spielen. Er muss niemals etwas anordnen, er muss nur Zizou sein. Dafür braucht es kein überschäumendes Ego, dafür braucht es etwas viel Größeres: die Gewissheit, sich auf sich selbst verlassen zu können. "Im Leben", sagt Zidane und kratzt sich am Haarkranz, "mache ich mich ganz klein. Wichtig ist für mich, ein Großer auf dem Platz zu sein." Niemals kritisiert er andere. Lange Zeit galt diese Haltung als Mangel an Persönlichkeit, nun billigen ihm sogar seine Kritiker Profil zu.
Längst sind seine Pleiten Mitte der 90er Jahre verblasst. Im WM-Finale 98 glänzte er, auch bei der EM 2000, und Madrid schoss er gegen Bayer Leverkusen 2002 zum Titelgewinn in der Champions League. In seinen fünf Jahren bei Juventus Turin lernte er zu gewinnen; doch dort fühlte er sich vom Systemdenken erstickt. Erst bei Real blühte er auf.
Wer die Hoffnung aufgegeben hat, dass das schöne Spiel noch lebt, der muss Zidane nur beobachten. Zidane ist höchst erfinderisch bei Ballbesitz, im Lösen aus der Umzingelung. Wie Zidane das macht, das konnte kaum einer vor ihm, das schnelle Drehen, die Täuschungen, der verblüffende plötzliche Raumgewinn, das Schattenhafte seines Spiels, das luftschöpfende Aufsprengen des Korsettfußballs. Zidane versteckt den Ball unter der Sohle und stiehlt sich dann davon.
Wer ihn lange kennt, sagt, Zidane sei härter geworden, seit er bei Real Madrid ist. Im ruhmreichsten Fußballverein der Welt ist er weder der medienwirksamste noch der charismatischste der Giganten, die allesamt auf ein Gehalt von sieben Millionen Euro im Jahr geschätzt werden. Aber Zidane ist der Einzige, der wirklich unantastbar ist. Im Privaten sagt sogar Vereinspräsident Perez, dass die Zuschauer eher wegen Zidane ins Stadion gehen als wegen irgendeines anderen.
Vom Madrider Jet-Set hält er sich fern. Viel Zeit verbringt er in seinem Haus, in das er einen hochmodernen Fitnessraum hat einbauen lassen, am liebsten spielt er mit seinen drei Kindern. "Glücklicherweise haben sie ihre Mutter, die sie an ihre Hausaufgaben erinnert", sagt er lachend. Man sieht ihn niemals in Nachtclubs und auch nicht in der Regenbogenpresse. Seine Zufluchtsorte in Madrid sind Restaurants: ein Asiate, ein Italiener und ein Argentinier, wo er niemals rotes Fleisch bestellt. Glamour fühlt sich anders an. Aber so war er schon immer.
Im Zimmer des jungen Zinedine
hingen nur zwei Poster. Eines von Enzo Francescoli, dem Mann aus Uruguay, der für Olympique Marseille Ende der 80er Jahre Regie führte, und das von Djamel Zidane. Der spielte bei der WM 1982 mit Algerien, bereitete eins der beiden Tore vor, mit denen der Außenseiter aus Afrika Deutschland 2 : 1 besiegte, ein fabelhafter Linksfüßer. Er wollte so werden wie sie. So elegant wie Francescoli, so trickreich wie Djamel. Vom Olympique-Star bekam der halbwüchsige Zizou ein Trikot, das er noch heute als "mein Heiligtum" bezeichnet. Und seinen ersten Sohn taufte er Enzo.
Zinedine ist nur selten in der Heimat seines Namensvetters Djamel - und der seiner Eltern. Er wuchs in Castellane auf, dem Problemviertel von Marseille, wo er 1972 geboren wurde. Es gibt dort viel Beton, schäbigen Beton. Und wenig Bäume, sehr wenig. Dafür viele "beurs", in Frankreich geborene Kinder maghrebinischer Einwanderer, ungeliebte Abkömmlinge aus den ehemaligen Kolonien in Nordafrika. Die Leute hier nennen Zidane "Yazid" wie in seiner Kindheit. Noch immer telefoniert er fast täglich mit Vater Smail. "Mon Papa" nennt er ihn voller Demut und Respekt.
Dieser Papa sammelt noch immer alle Presseartikel über seinen Sohn und ruft ihn bei der geringsten Entgleisung zur Ordnung. "Sein Urteil ist ausschlaggebend", erzählt Zinedine. Und voller Zärtlichkeit fügt er hinzu: "Ich hatte die beste Erziehung der Welt. Ich habe nicht viel gehabt, aber fürs Herz habe ich alles bekommen."
Smail, ein Fabrikarbeiter mit einem Lohn nur knapp über der Armutsgrenze, wusste oft nicht, wie er Frau und fünf Kinder ernähren sollte und nahm daher noch eine Anstellung als Nachtwächter an. Seinen Kindern predigte er die Schule der Minderheiten - nicht auffallen, und wenn, dann durch Leistung. Die Dreifaltigkeit im Hause Zidane lautete: arbeite hart, bleib anständig, respektiere deine Mitmenschen. Seine Erziehung ist für Zidane die einzige Erklärung, warum er das geworden ist, was er heute ist, als Mensch, als Fußballer. Es klingt nicht aufregend genug für den aufregendsten Spieler unserer Zeit. Aber es ist wohl die Wahrheit. Dahinter steckt keine Vermarktungsstrategie wie beim inszenierten Lifestyle der Beckhams.
Noch heute, wenn seine Eltern ihn in Madrid besuchen, übernehmen sie das Kommando. Seine Mutter ist die Herrin im Haus. "Es hat überhaupt keinen Sinn, ihr zu sagen, sie solle sich ausruhen, sie nimmt die Küche in Besitz", erzählt er. "Sie bereitet uns das Essen zu, das ich in Marseille bekam, als ich klein war. Die Rezepte hat sie von ihrer Mutter, die sie wiederum von ihrer eigenen Mutter hatte. Mir ist es auch wichtig, dass meine Kinder all das kennen lernen." Die beiden großen Söhne gehen auf das französische Gymnasium in Madrid, wo sie unter dem Mädchennamen ihrer Mutter, einer in Frankreich aufgewachsenen Spanierin, angemeldet sind. Zinedine bringt sie fast täglich hin und holt sie wieder ab. Er ist der einzige Vater, der mit seinem Wagen auf das Schulgelände fahren darf.
Als Junge wechselte er selbst mit 13 Jahren von Castellane ins Internat nach Cannes, wo auch Johan Micoud, die 10 von Werder Bremen, ausgebildet wurde. Zinedine heulte sich nachts die Augen aus, weil ihn ein nie vermutetes Heimweh erfasste. Er trainierte wie besessen, damit er abends so müde war, dass er nicht mehr so viel an zu Hause denken konnte. Aber auf dem Platz machte Zinedine allen etwas vor. Wurde er jedoch mit bösen Fouls gestoppt, erinnerte er sich an die Regeln der Straße: Wer geschlagen wird, schlägt zurück. Platzverweise häuften sich.
In einem internen Bericht aus jener Zeit heißt es, "wegen seiner impulsiven Art wird er es zu nichts bringen". Guy Lacombe, der damalige Internatsleiter, redete ihm ins Gewissen: "Wenn du den Rächer der Gerechten spielen willst, dann wirst du dir den Fußball für immer von draußen anschauen." Lacombe riet ihm, nach jedem Training die Umkleidekabine zu putzen, wenn er sich abreagieren wolle. Am nächsten Tag verließen alle nach der Einheit die Kabine. Nur Zinedine nicht. Er packte sich aus einer Kammer Eimer und Scheuertuch und wienerte die Duschen. Einen Monat lang verordnete er sich diese Lektion.
Er hat diese Schwäche, vielleicht seine einzige, trotzdem bis heute nicht ablegen können. Seine Gefühle stauen sich an, bis sie unkontrolliert ausbrechen, und wenn ihn jemand nur lange genug piesackt, sieht er Rot. Im spanischen Pokal flog er gerade wieder wegen einer Ohrfeige vom Platz, und bei der WM 1998 kostete ihn sein Jähzorn die halbe Vorrunde.
Im Finale aber schoss er
damals Frankreich zum ersten WM-Titel. Ausgerechnet ein "beur" machte die Grande Nation glücklich. Millionen Menschen feierten, Zidane wurde Liebling des Volks. Das ist er noch heute, wie eine Umfrage der Zeitschrift "Le Journal du Dimanche" ergab, und das in einem Land, das bei den Regionalwahlen im März einen weiteren Rechtsruck befürchtet. Zidane verweigert sich aller Angebote, seine enorme Popularität für die Integration der Einwanderer einzusetzen. "Ich betreibe Sport, keine Politik", sagt er. "Das einzige Vorbild, das ich sein will, ist das auf dem Platz."
Nur einmal bezog er gesellschaftlich Stellung: im Jahre 2002, als Jean-Marie Le Pen, Führer der Front National, die zweite Runde bei den Präsidentschaftswahlen gegen Jacques Chirac erreichte, und Zidane seine Abscheu über die rechtsradikalen Ansichten von Le Pen zum Ausdruck brachte. Aus Bürgerpflicht, wie er sorgsam unterstreicht, nicht weil er Mohammedaner sei. Zidane rutscht auf seinem Stuhl hin und her, er mag dazu nichts mehr sagen. Auch, weil er gehemmt ist. Seiner Ansicht nach fehlt es ihm an Allgemeinbildung; mitunter hat er das Gefühl, von den französischen Intellektuellen eher toleriert als bewundert zu werden. Er ist klug genug, das zu erkennen. "Einfachheit ist der Gipfel der Intelligenz", sagt Zidane. Er lächelt.
Nach dem Training bleibt Zidane am Eingang des Sportzentrums stehen und wartet auf Malik. Auf seinen besten Freund, mit dem er in Castellane aufgewachsen ist, der mit ihm in Turin eine Zeit lang wohnte und nun jede freie Minute in Madrid verbringt. Wenn Malik zu Hause ist, zurück in Marseille, steuert er einen Lkw, der Morgen für Morgen die Mülltonnen leert.