Erstes Spiel in Deutschland Von großen Helmen, langen Schlangen und purer Freude: Die NFL kann kommen

München: Modell eines American Football Helms. Zum ersten Mal findet ein Spiel der NFL in Deutschland statt.
Die Amerikanerin Sheri Sherrell posiert neben dem Modell eines American Football Helms auf dem Odeonsplatz. Am Sonntag findet zum ersten Mal ein Spiel der NFL in Deutschland statt.
© Felix Hörhager / Picture Alliance
Erstmals kommt die NFL nach Deutschland und gastiert am Sonntag in München. Tausende Fans ziehen am Samstag durch die Stadt und demonstrieren sehr eindrücklich, was dem Fußball vor geraumer Zeit abhandengekommen ist.

Es ist Samstagmorgen, 6.50 Uhr, Gleis 14 am Hamburger Hauptbahnhof. Ungewöhnlich voll ist es für diese Uhrzeit an dem Bahnsteig, zahlreiche Passagiere warten auf den ICE Richtung Süden. Am Gleis 14 stehen Menschen mit Mützen der New York Giants, der Dallas Cowboys oder der New England Patriots. Einige tragen Trikots der Kansas City Chiefs und andere Pullover der Seattle Seahawks. Ihr Ziel der sechsstündigen Reise ist klar: München. Dort findet am Sonntag erstmals in der Geschichte der nordamerikanischen NFL ein Football-Spiel auf deutschem Boden statt.

Über München hat sich das Football-Fieber gelegt. Statt der Trikots des Bundesliga-Serienmeisters FC Bayern München ist es ein Potpourri an Jerseys aus Amerika. Auf dem Odeonsplatz stehen seit Donnerstag überdimensionale Helme der 32 Clubs der NFL, dazu gibt es noch Fotomöglichkeiten mit den Logos der Seahawks und der Tampa Bay Buccaneers um Superstar Tom Brady, die das erste Spiel in Deutschland bestreiten werden. Auch Volker Reichmann schlendert mit seinem Freund Markus Meyer über den Platz, auf der Suche nach dem Helm der Green Bay Packers – dem Lieblingsverein der beiden. Und sogar Bailey, Reichmanns Hund, trägt ein Packers-Shirt. Dass nicht die Packers, sondern zwei andere Verein in Deutschland zu Gast sind? Tut nichts zur Sache. "Man grinst einfach über beide Ohren und freut sich, dass es jetzt endlich so weit ist", so Reichmann.

Volker Reichmann, Markus Mayer und Bailey auf dem Odeonsplatz in München
Die Green Bay Packers spielen zwar dieses Jahr nicht in München, die Freude über das erste NFL-Spiel in Deutschland lassen sich Volker Reichmann (links), Markus Mayer und Bailey aber nicht nehmen.
© Max Seidenfaden

Deutschland ist der größte europäische Markt für die NFL

Die NFL hat schon vor vielen Jahren Europa als Markt entdeckt, dabei ist der erste Versuch vor Jahren schiefgegangen. Mit dem Ableger "NFL Europe" und Teams vom ganzen Kontinent versuchte die umsatzstärkste Sportliga der Welt auch in der alten Welt Fuß zu fassen – 2007 endete das Experiment mit Teams wie Frankfurt Galaxy oder dem letzten Meister, den Hamburg Sea Devils. Stattdessen vermarktete die NFL die amerikanischen Profiteams, seit Ende 2007 finden immer ein bis drei Saisonspiele in London statt. Doch in den vergangenen Jahren boomte der Sport in Deutschland. Laut Daten der NFL gibt es in Deutschland mittlerweile 3,3 Millionen "begeisterte Fans" sowie 17 Millionen Gelegenheitsfans – deutlich mehr als in Großbritannien. Dass die NFL nun auch nach Deutschland expandiert, ist beinhartes Marketing, denn das Potenzial ist riesig.

Warum der Sport auch hier boomt? "Die Stimmung ist komplett anders. Es gibt nicht Freund und Feind und ist ein völlig anderes Erlebnis", fasst Reichmann kurz zusammen und schiebt dann ein "Football ist einfach geiler als Fußball" hinterher. Das Spiel selbst wird er am Sonntag von der Couch aus verfolgen. 67.000 Zuschauer werden in der ausverkaufen Allianz Arena den Kick-Off miterleben, die Anfragen waren um ein Vielfaches höher. "Drei Millionen Tickets hätten verkauft werden können", erklärte NFL-Deutschland-Chef Alexander Steinforth kürzlich. Ein anderer Fan wird dem stern später erzählen, dass er sich noch kurzfristig eine Karte für 300 Euro auf einer legalen Ticketbörse ersteigert hat – der Normalpreis waren 110 Euro.

Fangesänge in Münchens Innenstadt

Ortswechsel, ein Sportartikelladen einen knappen Kilometer vom Odeonsplatz entfernt. Hier haben sich Hunderte Fans versammelt, die Polizei muss sie immer wieder anweisen, doch bitte die Straße freizuräumen. Hier sollen in wenigen Minuten Marquise Goodwin und Noah Fant, Wide Receiver und Tight End bei den Seahawks, Autogramme schreiben. "Möchtest du ein Autogramm haben", wird Sascha Kunze von seiner Freundin gefragt. "Nein, aber die Jungs würde ich gerne mal sehen", entgegnet der Münchener. Bereits seit 2009 verfolgt er die NFL, damals noch zu Schulzeiten. Fast jeden Sonntag flimmert ein Spiel über den Bildschirm. Denn die NFL läuft im Gegensatz zu deutschen Profi-Sportarten im Free-TV. Diese Saison überträgt noch ProSieben die Spiele, aber in der nächsten Spielzeit hält RTL die Rechte an der Übertragung. "Ich hätte nie gedacht, dass es in der Stadt so voll ist, das ist einmalig", sagt Bauer. Sie hätten schon super viele Fans gesehen, das Erlebnis müsse man einfach mitnehmen.

Dann hält ein schwarzer Van in der Straße, Goodwin und Fant steigen aus, die Fans stimmen einen Wechselgesang an. "Sea" singen die einen, "Hawks" entgegnen die anderen – der Schlachtruf wird den ganzen Nachmittag in der Innenstadt zu hören sein. Die beiden Spieler zücken ihre Handys, filmen die Kulisse für ihre Instagram-Stories und verschwinden in dem Geschäft. Anderthalb Stunden wird die Autogrammstunde dauern, dann sind die Karten aus, zahlreiche Fans haben umsonst gewartet.

Mitunter geht es chaotisch in der Stadt zu, in der die NFL fünf Brauhäuser angemietet hat: für die Anhänger der Seahawks, der Buccaneers, der Patriots, der Kansas City Chiefs und der Carolina Panthers – außer den Seahawks haben sich alle im vergangenen Jahr Marketingrechte in Deutschland gesichert. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Chiefs, Patriots oder Panthers beim zweiten Deutschland-Spiel in Frankfurt im kommenden Jahr auflaufen werden. Tausende Fans tingeln durch die Stadt, suchen nach Sehenswürdigkeiten und freuen sich mit anderen Anhängern über das Event. Vor dem Augustiner Stammhaus geht zwischendurch gar nichts mehr. Seahawks-Fans hoffen auf den Einlass in das Wirtshaus, eine Baustelle verschmälert den Gehweg. Bis zum Abend muss die Polizei anrücken und den Fußverkehr regeln – friedlich wird es aber durchgehend bleiben.

Christopher Mettken (links) und Jens Kunze bei der Party des Sea-Hawkers-Fanclubs im Schröder Bräuhaus
Auf dieses Wochenende haben sie lange hingefiebert: Christopher Mettken (links) und Jens Kunze bei der Party des Sea-Hawkers-Fanclubs im Schröder Bräuhaus.
© privat

Vorfreude bei Europas größtem NFL-Fanclub

Am Abend aber entzerrt sich das Programm, denn es ist der Moment, auf den die German Sea Hawkers seit Monaten hingearbeitet haben. Mit über 1700 Mitgliedern sind die Sea Hawkers der größte Football-Fanclub in Europa – und der braucht viel Platz. Die Tickets für den "Heimspiel"-Abend im Schneier Bräuhaus gingen weg wie warme Semmeln. 900 Fans drängen sich dicht an dicht in dem Lokal und werden immer wieder überrascht. John Schneider, der General Manager der Seahawks, lässt es sich vielleicht ob des Namens des Austragungsortes nicht nehmen, die Fans zu begrüßen. Eigentlich wollte er nur wenige Minuten bleiben, am Ende ist er über eine halbe Stunde vor Ort. Auch "Blitz", das Maskottchen des Teams aus dem Nordwesten der USA, kommt vorbei, heizt die Fans an und steht für unzählige Fotos parat. "Die Stimmung bei den London Games war euphorischer, hier halten sich die Fans noch etwas zurück", findet Jens Kunze.

Am Freitag ist er mit seiner Verlobten nach München gereist, die Tickets für das Spiel waren ein vorzeitiges Hochzeitsgeschenk von Freunden – für seine Freundin ist es das erste Live-Spiel. "Das ist einfach ein historisches Erlebnis für alle Sea Hawker, denn wir sind eine große Familie", ergänzt Kunzes Freund Christopher Mettken. Denn nicht nur Mitglieder des deutschen Fanclubs sind vor Ort, sondern auch aus Großbritannien, Florida und Alaska haben einige den weiten Weg nach München in das Wirtshaus angetreten. "Ich habe früher gerne Fußball gesehen, aber der ist einfach zu toxisch geworden. Beim Football zelebrieren die Fans den Sport, nicht die Farbe", meint Kunze. Das bestätigt sich auch beim Blick in das Bräuhaus, wo nicht nur die Farben der Seahawks vertreten sind, sondern auch die der Buccaneers, der Denver Broncos und vielen anderen Clubs.

Im ersten Stock sitzt derweil Maximilian Länge und gönnt sich eine kleine Verschnaufpause. 2014 hat er den deutschen Ableger der Sea Hawkers mit einigen Freunden in einem Burger-Restaurant in München gegründet, war bis 2018 Präsident, schrieb eine deutsche Chronik des NFL-Teams und ist mittlerweile Ansprechpartner für die Medien. "Wir können uns hier einfach kein besseres Spiel wünschen", sagt Länge. Seit Anfang der Woche ist er in der Stadt, die Stimmung sei mit der Ankunft der Seahawks am Donnerstag und der Buccaneers am Freitag deutlich gestiegen. Fünf Mal hat er bereits Spiele in Seattle gesehen, einmal war er zudem in London. "Aber das hier krönt einfach alles, das hätte ich nie für möglich gehalten." Er sieht die Vergabe des Spiels an die Seahawks auch als Belohnung der NFL. "Sie wissen, dass Seattle mit die größte Fanbase in Deutschland hat." Direkt nach Bekanntwerden der Paarung hätte nicht der Fanclub der Kontakt zum NFL-Team gesucht, sondern andersherum. "Die Seahawks haben den Kontakt zu uns gesucht, uns in die Planungen eingebunden. Das ist zeigt ein großes Vertrauen in uns", sagt Länge stolz. Auch er freut sich auf die Party in der Allianz Arena am Sonntag. Doch einen Sieg seines Lieblingsteams würde er schon gerne sehen. "Trotz aller Freundschaft geht es auch um den Einzug in die Playoffs."

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