Olympia-Doodle "Tischtennis" Schnelle Bälle und die ganz große Politik

  • von Jens Wiesner
Timo Boll ist raus, aber noch haben die Deutschen eine Chance auf olympisches Gold. Im Tischtennis-Halbfinale trifft Dimitrij Ovtcharov auf Zhang Jike. Kann er die Vormacht der Chinesen brechen?

Was auch immer passiert, verlier' niemals den Ball aus deinen Augen!" Forrest Gump brauchte nur diesen einen Ratschlag - und verließ selbst gegen Topspieler aus China siegreich den Platz an der Platte. Im echten Leben braucht es dagegen mehr, um gegen die Chinesen zu bestehen. Schließlich hat das Volk aus dem Reich der Mitte jahrhundertelanges Training in der schnellsten Rückschlagsportart der Welt. Kein Wunder also, dass bei den Olympischen Spielen 2008 alle Goldmedaillen an chinesische Wettstreiter gingen und auch der aktuelle Weltmeister Zhang Jike aus China stammt. Eine harte Nuss für den deutschen Dimitrij Ovtcharov, der an diesem Donnerstag im Halbfinale gegen Zhang antritt.

In seiner modernen Form stammt Tischtennis allerdings aus England. Dort entsprang das Spiel dem Gebot der Not: Weil es auf der Insel so häufig regnete, verlagerten manch wasserscheue Adelige Ende des 19. Jahrhunderts das beliebte Tennisspiel vom Rasen in die eigene Wohnung. Professionelle Ausrüstung gab es zu jenen Zeiten nicht. Wie noch heute Schüler auf zahllosen Pausenhöfen Deutschlands behalfen sich die Spieler mit Materialien, die griffbereit lagen: eine Schnur als Netz, Bücher und Bratpfannen als Schläger, eingeschlagen wurde auf Champagnerkorken oder Golfbälle. Bei einer Reise in die USA entdeckte der Tischtennisenthusiast James Gibb dann 1901 die bis heute gebräuchlichen Zelluloid-Bälle.

Nannte man das Spiel anfangs schlicht "Raum-Tennis", etablierte sich schon bald der Name "Ping Pong" - wegen der Geräusche, die beim Zusammenprall des hohlen Balls mit dem Schläger entstehen. So würde das Spiel wohl noch heute heißen, hätte sich ein findiger Geschäftsmann, John Jacques de Croydon, den Namen nicht markenrechtlich sichern lassen.

Kleines Spiel, große Wirkung

Dass Tischtennis einmal weltpolitische Bedeutung erlangen sollte, hätte sich Croydon wohl in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Es beginnt mit einer Zufallsbegegnung während der Weltmeisterschaft 1971 in Japan: Der amerikanische Tischtennisnationalspieler und Hippie Glenn Cowan will eigentlich nur einen Bus zum Austragungsort nehmen und findet sich plötzlich inmitten der chinesischen Nationalmannschaft wieder. Politisch herrscht in jenen Tagen Eiszeit zwischen beiden Ländern - und so versuchen die überraschten Chinesen erst einmal, den seltsamen Typen mit langen Haaren und Schlapphut zu ignorieren.

Alle, bis auf einen: Der chinesische Einzel-Weltmeister Chuang Tse-tung lässt Politik Politik sein, plauscht mit dem Amerikaner und überreicht ihm ein Bild aus Seide. Der Beschenkte nimmt es gerührt an und revanchiert sich während des Wettkampfes mit einem T-Shirt mit Peacezeichen-Aufdruck. Die Bilder von Cowan und Zedong gehen um die Welt. "USA und China nähern sich an", titelt die Presse. Und plötzlich steht eine Einladung des US-Teams zu Freundschaftsspielen nach China im Raum. Der chinesische Teamchef fühlt sich mit der brisanten Thematik überfordert - und fragt im Außenministerium um Rat. Dort leitet man die Bitte nach ganz oben weiter, an Mao Tse-Tung persönlich. Und der Große Vorsitzende der Kommunistischen Partei akzeptiert. Die Begegnung zwischen Chuang Tse-Tung und Cowan sei so natürlich, das Treffen von der Geschichte gewollt, soll Mao die Begebenheit kommentiert haben - wie Chuang Tse-Tung später zu berichten weiß.

Das 15-köpfige Tischtennisteam um Cowan wird zur ersten US-amerikanischen Gruppe seit 1949, die China einen Besuch abstattet. Eine Begegnung mit Folgen: Kurz danach fliegt Henry Kissinger, zu jener Zeit Nationaler Sicherheitsberater der USA, nach China. Im Februar 1972 folgt Richard Nixon - und besucht damit als erster amerikanischer Präsident China seit der Machtübernahme der Kommunisten. Als "Ping-Pong-Diplomatie" wird diese Episode des Kalten Krieges schließlich in den Geschichtsbüchern landen.

Seit 1988 olympische Sportart

Olympische Sportart wurde Tischtennis übrigens erst 1988 anlässlich der Olympischen Sommerspiele im südkoreanischen Seoul. Noch bis 2004 maßen sich Männer und Frauen in Einzel- und Doppelspielen, erst seit 2008 werden anstelle von Doppeln Teammatches ausgetragen.

Ob heute allerdings schon die Goldmedaille vergeben werden kann, ist keineswegs sicher: 1985 brauchten die Baden-Württemberger Tischtennisspieler Uwe Geiger und Thomas Opiol immerhin 168 Stunden, um ihr Spiel zu Ende zu bringen.

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