Epke Zonderland ging als Top-Favorit ins olympische Reck-Finale. Der Niederländer und London-Olympiasieger hatte seinen Auftritt direkt nach Fabian Hambüchen, der als Erster gestartet war. Zonderland war die Anspannung anzusehen, und sie hatte einen Grund: Der 30-Jährige war nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte, er hatte eine schmerzhafte Verletzung an der Hand. Zonderland legte vor 11.000 Zuschauern zunächst eine souveräne Flugshow hin, doch dann passierte es: Nach einem Sprung bekam er die Stange nicht mehr zu fassen und stürzte. In vollem Tempo knallte der Niederländer bäuchlings auf den Boden - und blieb zunächst regungslos liegen (Hier sehen Sie das Video, Szene ab Min. 00:50).
Vielen Zuschauer in der Olympic Arena und auch vor den Fernsehern dürfte kurzzeitig das Blut in den Adern gefroren sein. Der Sturz sah so dramatisch aus, dass es unmöglich erschien, dass sich der Niederländer dabei nicht ernsthaft verletzt hatte. Auch der ARD-Kommentator war schockiert. "Das sah böse aus", sagte er immer wieder.
Hambüchen: "Sturz sah gefährlich aus"
Umso mehr Erleichterung, als Zonderland kurz darauf wieder aufstand - und sogar weiterturnte. Eine Medaille war nicht mehr drin, aber vielleicht muss Zonderland einfach froh sein, dass ihm nichts passiert ist. "Es tut mir leid für Epke, zumal der Sturz gefährlich aussah", sagte Fabian Hambüchen über seinen Konkurrenten. Im Interview nach dem Wettkampf sagte Zonderland, der Sturz habe weh getan. "Jetzt geht es mir okay, aber morgen werde ich wahrscheinlich ein bisschen leiden."
Auch Zonderland wird wissen: Er hatte großes Glück. Es hätte auch anders kommen können. Die Gefahr, der Hochleistungsturner ausgesetzt sind, ist allgemein bekannt. Es sind schwerste Übungen, die auf diesem Niveau durchgeführt werden. Eine falsche Bewegung - und der Turner stürzt. Oft sind es nur Bruchteile einer Sekunde, die in solchen Momenten entscheidend sind. Wenn die Sportler auf der Matte aufschlagen, können sie unversehrt bleiben, so wie Epke Zonderland. Doch es können auch irreparable Schäden entstehen. Die Turner können sich auch die Halswirbel brechen - und im schlimmsten Fall querschnittsgelähmt bleiben.
So ist es etwa der 19 Jahre alten Profi-Turnerin Elisa Chirino aus Berlin passiert. Sie stürzte im Training vom Stufenbarren und brach sich den vierten und fünften Halswirbel. Seitdem sitzt sie im Rollstuhl. Ihr großes Ziel war Rio 2016 - ein Traum, der für immer zerplatzte. Vielen in Erinnerung geblieben sein dürfte auch noch der schwere Unfall von Olympia-Turner Ronny Ziesmer, der mittlerweile mehr als zehn Jahre zurückliegt. Im Training fiel der deutsche Turn-Mehrkampf-Meister auf den Kopf. Auch Ziesmer ist seitdem Tetraplegiker.
Das Risiko ist ständiger Begleiter der Profi-Turner. Die Sportler wissen das - und können die Gefahr lediglich eindämmen: Durch vollste Konzentration und Berücksichtigung der eigenen Grenzen.