Früher wurde neuen Spielern beim FC Bayern quasi zeitgleich mit der Unterschrift unter einen neuen Vertrag eine Impfung verabreicht. Der Impfstoff bestand aus der Mia-san-mia-Substanz. Mit der Spritze wurde den Neulingen das Selbstverständnis des FC Bayern eingepflanzt. Gegen Niederlagen war man ab sofort immun. Das nach außen verkörperte FC Bayern-Lebensgefühl löste beim Gegner Angst und Schrecken aus. Das war einmal.
Wissen Sie noch, wann der FC Bayern zuletzt Tabellenführer war? Am 17. Mai 2008. Es folgte die unrühmliche Ära Jürgen Klinsmann, und jeder Bayer dachte, es könnte nicht schlimmer kommen. Mit Schimpf und Schande haben sie Klinsmann vom Hof gejagt, Trainer-Oldie Jupp Heynckes reinstalliert und am Ende der letzten Saison mit Ach und Krach noch Platz zwei erreicht. Mit Louis van Gaal sollte alles besser werden. Eine neue Ära wollten sie mit dem Holländer einläuten. Knapp zwei Monate ist der neue Trainer jetzt im Amt - und der Club befindet sich in einer der schwersten Krisen seiner Geschichte.
Es ist noch zu früh, über den Coach den Stab zu brechen. Was Louis van Gaal zu leisten im Stande ist, wird man vielleicht im Spätherbst erkennen. Im Moment kann van Gaal nur reagieren. Er kann einem fast Leid tun, weil er wie ein Feuerwehrmann überall Brände löschen muss. Eingebrockt haben ihm dieses Dilemma vor allem andere: die Herren aus der Bayern-Führung. Nach drei Spieltagen in der Fußball-Bundesliga und nur zwei eingesammelten Punkten zeigt sich, dass die vorhandene Qualität der Münchener nicht ausreichen wird, um ganz oben mitzuspielen - geschweige denn einen Titel zu holen.
Das haben längst auch die Treuesten der Treuen, die Fans, erkannt. Im Internet kursieren bereits Protestbriefe von Fans gegen die Bayern-Führung. In ihnen ist unter anderem von einem "inkompetenten Vorstand" und "katastrophaler Kaderplanung" die Rede. stern.de zeigt auf, wo Rummenigge, Hoeneß und Co. am schlimmsten gepfuscht haben:
Torwartposition
Besonders auf dieser Position wurde verpasst, nachzubessern. Es mutet beinahe fahrlässig an, dass man jetzt schon seit über einem Jahr an den beiden Keepern Rensing und Butt festhält. Beide verfügen einfach nicht über herausragende Qualitäten. Butt (35) hat seinen Zenit überschritten und wurde als Ersatztorwart verpflichtet. Rensing ist zwar talentiert, bekommt aber regelmäßig das große Flattern, wie beim 0:1 in Mainz. Warum die Bayern-Bosse in der Sommerpause keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, einen der Top-Torhüter der Bundesliga zu verpflichten, bleibt ein großes Rätsel. Deutschlands Nummer Eins, Robert Enke, wurde den Bayern von Hannover 96 indirekt sogar angeboten. Allein, es passierte nichts. Rensing und Butt, mit diesem Duo würde man sich schon irgendwie durchmogeln. Das nennt man wohl eine verklärte Sicht der Dinge.
Abwehr
Sowohl Innenverteidigung als auch Außenpositionen sind nicht optimal besetzt. Mit Lucio wurde der Kopf der Defensive (auch auf Wunsch von van Gaal) aus München vergrault. Adäquater Ersatz wurde nicht verpflichtet. Wie sehr Lucio fehlt, sieht man jetzt. Dass Daniel van Buyten als Innenverteidiger nichts taugt, hat sogar Jürgen Klinsmann schon erkannt. Plötzlich ist der Belgier der Abwehrchef. Sicher, Holger Badstuber mag hoch veranlagt sein. Aber ist ein 20-jähriger Grünschnabel wirklich schon soweit, um diese Schlüsselposition in der Innenverteidigung einzunehmen? Zweifel bleiben.
Blickt man nach rechts, sieht man Philipp Lahm, eigentlich ein ausgewiesener Spezialist für die linke Seite. Dass sich Lahm dort nicht wohl fühlt, beweist er Woche für Woche eindrucksvoll. Auch die Baustelle "rechte Seite" wurde nicht erst gestern eröffnet. Schon letzte Saison wurde schnell klar, dass weder Lell noch Oddo internationalen Ansprüchen gerecht werden würden. Gehandelt wurde nicht. Und anstelle von Srna oder Bosingwa auf rechts kamen für die linke Seite zwei Mitläufer aus der holländischen Ehrendivision, Braafheid und Pranjic. Die beiden spielten zuletzt bei Enschede und Heerenveen. Nach großer weiter Fußballwelt klang das schon bei der Verpflichtung der beiden nicht.
Mittelfeld
Den Kopf schütteln muss man über die Entscheidung der Bosse, Ze Roberto ziehen zu lassen. Den Bayern war der Brasilianer zu alt. Sie wollten ihn mit einem Ein-Jahres-Vertrag abspeisen. Der Super-Techniker mit dem glänzenden Auge unterschrieb für zwei Jahre beim HSV. Fit wie eh und je macht der 35-Jährige die Hamburger jetzt zum Titel-Kandidaten. In Sachen Franck Ribéry haben die Verantwortlichen möglicherweise auch falsch gehandelt. Dass sich der Franzose nicht wohl in München fühlt, ist nicht erst seit dieser Saison bekannt. 80 Millionen Euro soll Real Madrid für Ribéry geboten haben. Ob das nun den Tatsachen entspricht oder nicht sei dahingestellt. Bekannt ist, dass aus dem Transfer nichts wurde, weil die Bayern noch mehr Geld für Ribéry (warum eigentlich?) forderten und Real sich aus der Angelegenheit zurückzog.
Die Sturheit von Uli Hoeneß muss jetzt Louis van Gaal ausbaden: Der kleine Franzose spielt die beleidigte Leberwurst, wirkt lustlos und uninspiriert. Dazu kommt, dass der stolze Holländer neben sich sowieso niemanden und unter sich nur Gleiche duldet. Ribéry sticht mit seiner Extraklasse aber heraus aus dem Bayern-Ensemble. So ist längst ein Machtkampf zwischen den beiden ausgebrochen, der den Erfolg auch weiterhin gefährden wird. Franck Ribéry ist in München ein Problemfall, ihn ziehen zulassen, wäre eine kluge Entscheidung gewesen.
In einem offenen Brief des "Transfermarkt-Bayern-Forums", den "Bild.de" abgedruckt hat, heißt es: "Wir denken nicht, dass man sich dafür schämen muss, dass man Spieler kauft, die bei Real Madrid keine Rolle mehr spielen, uns aber deutlich verstärken könnten. Uns würde es eher stolz machen, wenn Spieler wie Sneijder, van der Vaart oder Robben unser Trikot überziehen würden." Hinter diesem bemerkenswerten Statement der Fans verbirgt sich ein weiterer Vorwurf an die Bayern-Bosse, nämlich der, dass allein Stolz notwendige Transfers verhindert haben könnte. Auch die Fans haben den Fehler im System erkannt: Die Probleme der Bayern sind fast ausnahmslos hausgemacht. Und nicht nur die Stimme des Volkes fragt sich, warum beim FC Bayern München nicht schon längst gehandelt wurde. Jetzt ist es dafür fast schon zu spät.