Goldmedaillengewinner 23 chinesische Top-Schwimmer unter Doping-Verdacht – doch die Ermittler schauten weg

Die chinesische Mittelstreckenschwimmerin Zhang Yufei ist eine von 23 Sportlern aus China, bei denen 2021 ein Dopingtest positiv ausfiel. Im folgenden Jahr wurde sie Doppel-Olympiasiegerin
Die chinesische Mittelstreckenschwimmerin Zhang Yufei ist eine von 23 Sportlern aus China, bei denen 2021 ein Dopingtest positiv ausfiel. Im folgenden Jahr wurde sie Doppel-Olympiasiegerin
© David Balogh / Getty Images
Wenige Monate vor Beginn der olympischen Spiele bahnt sich ein neuer Dopingskandal an. 2021 sollen mehrere chinesische Sportler des Dopings überführt worden sein, die Welt-Anti-Doping-Agentur vertraute jedoch auf einen staatlichen Bericht. Doch dieser wirft Fragen auf.

In rund drei Monaten starten die Schwimmwettbewerbe bei den olympischen Sommerspielen in Paris, doch nun braut sich ein Sturm zusammen. Die Hauptakteure dabei: die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und Chinas Ministerium für Öffentliche Sicherheit.

Wie die "New York Times" und die "ARD" berichten, sollen gleich mehrere Top-Schwimmer aus China in einen Dopingskandal verwickelt sein. Dabei berufen sich NYT und die ARD auf einen Bericht der chinesischen Anti-Doping-Agentur Chinada, der ihnen im vergangenen Jahr zugespielt wurde. Demnach sollen bei einem nationalen Wettkampf in China Anfang 2021 insgesamt 23 Schwimmer und Schwimmerinnen positiv getestet worden sein. Bei dem Wettkampf in Shijiazhuang soll das verbotene Herzmittel Trimetazidin gefunden worden sein, eben jenes Mittel, das auch beim russischen Eislauftalent Kamila Walijewa bei den Winterspielen 2022 nachgewiesen wurde. Während Walijewa im Januar diesen Jahres mit einer vierjährigen Sperre bestraft wurde, passierte bei den chinesischen Athlet*innen nichts. 

Brisant dabei: Gleich mehrere der betroffenen Athleten und Athletinnen gewannen bei den Sommerspielen in Tokio 2021 Medaillen, darunter die Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei sowie Yang Junxuan, die mit der Staffel zwei Medaillen gewann. Ebenfalls betroffen ist Qin Haiyang, der Weltschwimmer des Jahres 2023, der bei der WM in Fukuoka nicht nur einen Weltrekord über 200 Meter Brust aufstellte, sondern als erster männlicher Schwimmer überhaupt alle drei Brust-Wettbewerbe gewann. Qin und Zhang gelten in China als Superstars und hegen laut ARD als Mitglieder des Nationalen Volkskongresses auch politische Ambitionen.

Doping in China: erstaunliche Parallelen zum Fall Walijewa

Dem von China vorgelegten Bericht zufolge seien die positiven Proben durch Kontamination zustande gekommen. In einer Hotelküche in Shijiazhuang sei für sämtliche betroffenen Athleten Essen gekocht worden. Aus dem Report gehe hervor, dass mehr als zwei Monate später Ermittler die Küche inspiziert und dabei Spuren von Trimetazidin im Dunstabzug, an Gewürzcontainern sowie im Abfluss gefunden hätten. Wie das Herzmittel in die Küche gekommen sein könnte, lässt der Bericht offen. Jedoch, so folgert der Bericht, sei das Dopingmittel ohne das Wissen der Athletinnen und Athleten in deren Körper gelangt. Ähnlich argumentierte auch Eiskunstläuferin Walijewa, die sich ebenfalls auf kontaminiertes Essen in ihrer Begründung berief.

Die chinesische Anti-Doping-Agentur erklärte, dass "keine Anti-Doping-Verstöße" vorgelegen hätten und somit kein Handlungsbedarf bestanden habe. Die Wada akzeptierte diese Fassung anstandslos. Sie habe keine Grundlage gesehen, die "Erklärungen der Kontamination anzufechten", erklärte ein Sprecher gegenüber der ARD. Der Welt-Schwimmverband teilte lediglich mit, dass die Vorfälle "sorgfältig und professionell" geprüft worden seien. 

Zwar wurde der Verstoß in das Meldesystem der Wada eingegeben, weil jedoch kein Regelverstoß gemeldet und eine interne Untersuchung eingeleitet wurde, vermied der chinesische Schwimmverband eine vorläufige Sperre ihrer Sportler*innen. Zumal der Eintrag erst zweieinhalb Monate nach dem Vergehen im System erfolgt sein soll. Auch die Untersuchungen selbst geben Fragen auf. So wird laut ARD und "New York Times" zwar die Chinada als Verfasser des Berichts angegeben, die Untersuchungen aber leitetet nicht etwa die Anti-Doping-Agentur, sondern das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, einem verlängerten Arm des chinesischen Machtapparats. 

Experten widersprechen dem Untersuchungsbericht

Dem Bericht widersprechen jedoch Experten. Gegenüber der ARD erklärt der forensische Toxikologe und Pharmazeut Fritz Sörgel, dass die vom chinesischen Labor gefundenen Konzentrationen nur so entstanden sein könnten, wenn "das Dopingmittel schon Wochen vorher verabreicht wurde." Gegenüber der "New York Times" sagten fünf Experten, dass ein geringer nachgewiesener Wert Trimetazidin nicht wie im Bericht angegeben darauf hindeute, dass die Sportler*innen unabsichtlich gedopt worden seien. Demnach bestehe auch die Möglichkeit, dass sie am Ende eines Doping-Zyklus seien. Travis T. Tygart, Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur, sprach gegenüber der "New York Times" von einem "Stich in den Rücken aller sauberer Athleten" und der Fall rieche "nach Vertuschung auf den höchsten Ebenen der Welt-Anti-Doping-Agentur". Tygart, der einst auch Lance Armstrong des Dopings überführte, wirft bereits seit Jahren China systematisches Doping im Schwimmverband vor. 

Auch David Howman, ehemaliger Direktor bei der Wada, kann nicht nachvollziehen, warum die Anti-Doping-Agentur keine eigene Untersuchung eingeleitet habe. Der Bericht aus China sei "schockierend", so Howmann gegenüber der New York Times. Der Wada hätte auffallen müssen, dass es 2021 einen massiven Anstieg bei Dopingfällen mit Trimetazidin gegeben habe. 2020 gab es laut der US-Zeitung nur drei Fälle, im Folgejahr wurden jedoch 37 registriert. Wichtige Prozesse, die nach der Entdeckung der positiven Tests hätten eingehalten werden müssen, seien offenbar nicht durchgeführt worden, beklagt Howman. "Mir zeigt es, dass es vielleicht eine Art Programm gab, um die Schwimmer auf die Olympischen Spiele in Tokio 'vorzubereiten'".

Entgegen der laut "New York Times" im Untersuchungsbericht aufgeworfenen Behauptung, dass Trimetazidin eine unbekanntes Dopingmittel im Schwimmsport ist, gab es bereits einen weiteren bekannten Fall – ebenfalls aus China. Sun Yang, 2012 der erste chinesische Olympiasieger in einem Schwimmwettbewerb, wurde 2014 wegen der Verwendung des Medikaments für drei Monate gesperrt. Es war der Startschuss für die Erfolgsgeschichte Chinas im Schwimmbecken. Bei der WM im Fukoka 2023 holte China 40 Medaillen, nur vier weniger als die Schwimmnation USA. Mit insgesamt 20 Goldmedaillen hängte China die USA (sieben) und Australien (15) deutlich ab.

Nicht mehr mit dabei war zu diesem Zeitpunkt Yang, dreifacher Goldmedaillengewinner und elffacher Weltmeister. Er geriet 2018 in die Schlagzeilen, als er gemeinsam mit einem Wachmann kurz nach einem Dopingtest seine Blutprobe zerstörte. Zwar sprach der Schwimm-Weltverband Yang Anfang 2019 frei, dagegen legte die Wada jedoch Beschwerde beim Internationalen Sportgerichtshof ein, der im Juni 2021 den Schwimmer rückwirkend für vier Jahre und drei Monate sperrte. Diese läuft im Juni 2024 aus, einen Monat bevor die Schwimmer bei den Spielen in Paris ins Becken gehen.

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