Reaktionen auf Doping-Geständnis Früherer Ullrich-Trainer Becker: "Jan hat mich in den ganzen Jahren belogen"

Jan Ullrich
Im stern hat Jan Ullrich (hier eine Aufnahme von 2005 bei der Tour de France) eine Lebensbeichte abgelegt. Wie reagiert die Radwelt auf die Bekenntnisse des gefallenen Helden?
© Gero Breloer / DPA
Jan Ullrich hat im stern eine Lebensbeichte abgelegt. Viele Wegbegleiter freuen sich, dass der Radsportstar reinen Tisch gemacht hat. Mancher fühlt sich hintergangen.

Jörg Jaksche, ehemaliger Radprofi, in den Jahren 1999 und 2000 Team-Kollege von Jan Ullrich:

"Vielleicht hat Jan es sich in der Vergangenheit manches Mal zu einfach gemacht. Zu oft war er fremdbestimmt und konnte sich in manchen Bereichen nicht entwickeln. Aber er ist ein guter Mensch. Er hat viel durchgemacht und gelitten – und war auch nicht immer gut beraten. Das Karriereende kam sehr abrupt für ihn und es war sicher schwer, eine neue Aufgabe im Leben zu finden. Ich bin froh, dass es ihm wieder gut geht. Indem er nun spricht, befreit er sich nicht nur vom Ballast auf seiner Seele, sondern übernimmt auch Verantwortung. Es würde mich freuen, wenn er hier weitermacht und neu durchstartet, sich eventuell fortbildet und eine Beschäftigung und Aufgaben findet, aus denen er Bestätigung und Freude zieht. Das kann sicher auch außerhalb der Radsportwelt sein."

Herbert Watterott, langjähriger Radsport-Reporter der ARD, hat von 41 Auflagen der Tour de France berichtet und die komplette Ära Ullrich begleitet:

"Es ist ein überfälliges Doping-Geständnis von Jan Ullrich. Eines, das ich mir früher gewünscht hätte. Aber hier gilt: Besser spät als nie. Wie im stern-Interview zu lesen ist, hatten Anwälte Ullrich den Rat gegeben, zu schweigen. Er hat sich dann hinter dem Satz versteckt: ‚Ich habe niemanden betrogen.‘ Wahrscheinlich hat er damit sogar Recht gehabt, denn gedopt haben viele damals in den 90er-Jahren und danach. Es ist dennoch richtig, dass Ullrich jetzt klare Worte gefunden hat." 

Der wurde zerstört von den Medien!

Peter Sager, Radsport-Trainer aus Rostock, erkannte das Talent des damals neun Jahre alten Ullrich und trainierte ihn bis zum 14. Lebensjahr:

"Ich finde toll, dass Jan sich jetzt so sehr geöffnet hat. Er macht auf mich den Eindruck, als hätte er sich selbst einen Klotz von der Seele genommen. Was hatte der Junge auch leiden müssen in den Jahren zuvor? Der wurde zerstört von den Medien! Der war der Sündenbock der Nation. Als ob er der einzige gedopte Radrennfahrer gewesen wäre auf der Welt. Jan hat das alles ertragen müssen, er hat das in sich hineingefressen und das hat ihn unheimlich viel Kraft und Lebensfreude gekostet. Damit ist jetzt endlich Schluss. Ich freue mich für ihn." 

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Peter Becker, Radsport-Trainer aus Berlin, betreute Ullrich von 1987 bis 2003:

"Ich habe von Jans Dopingbeichte gelesen und ich muss sagen: Ich bin sauer ohne Ende. Jan hat mich in den ganzen Jahren belogen. Der hat zu mir immer gesagt: ‚Trainer, mach Dir keine Gedanken, ich tu sowas nicht. Ich will nicht krank werden, ich bin sauber.‘ Und ich habe gesagt: ‚Jan, in dem Moment, wo ich erfahre, dass du verbotene Sachen nimmst, trennen sich unsere Wege. Es geht nicht nur um Deine Karriere, sondern auch um meine. Ich habe einen Ruf zu verlieren.‘ Ich bin in diesem Punkt immer streng gewesen. Jeder meiner Nachwuchsfahrer wusste das. Es galt die Regel: Keine Aspirin, ohne dass das ein Arzt erlaubt oder ich davon weiß. Nicht mal eine Tablette Aspirin! Wer das trotzdem macht, kriegt was hinter die Löffel und fliegt raus. Bei Jan habe ich ein seltsames Gefühl bekommen, als er sich plötzlich von diesem komischen Belgier betreuen ließ (Rudy Pevenage, ehem. Sportlicher Leiter beim Team Telekom und Vertrauter von Jan Ullrich; brachte Ullrich mit dem Doping-Arzt Eufemiano Fuentes in Kontakt, Anm. der Red.). Der Belgier hat mich dann auch rausgedrängt aus dem Trainerstab. Ab diesem Moment war ich skeptisch, ob Jan wirklich sauber ist. Da hatte ich Zweifel. Jetzt, nach dem Interview, habe ich die Gewissheit, dass da krumme Sachen gelaufen sind. Ich bin enttäuscht von Jan."

Jan wollte niemanden reinreißen. Er dachte immer schon sehr sozial.

Guido Eichelbeck, fuhr als Radprofi Rennen mit Jan Ullrich, wurde sein Trainer und später VIP-Betreuer beim Team Telekom und Team T-Mobile:

"Ich kenne Jan, seit er 18 Jahre alt ist. Er war immer ein Gentleman, immer ein feiner Kerl, ein Mensch mit großem Herzen und viel Charme. In seiner schwersten Phase habe ich versucht, ihm zu helfen, aber ich konnte nichts ausrichten. Ich freue mich enorm, dass Jan wieder ganz bei sich selbst ist und habe großen Respekt, dass er es geschafft hat. Das geht nur mit einem enormen Willen, der ihn schon als Sportler ausgezeichnet hat. Jetzt hat er die Chance, wieder durchzustarten. Dazu wünsche ich ihm viel Glück. Er hat es verdient."

Frank Wörndl, ehemaliger Ski-Weltmeister im Slalom und Freund von Jan Ullrich:

"Meine Freude ist riesig, dass Jan sich von dem Ballast endlich befreit hat. Ich weiß, wie er sich gequält hat damit. Aber er wollte zum Thema Doping lange nichts sagen, weil das etlichen Menschen den Arbeitsplatz gekostet und Familien zerstört hätte. Jan wollte niemanden reinreißen. Er dachte immer schon sehr sozial. Aber Probleme muss man rauslassen, darüber reden. Jan hat das nun gemacht, und es hat ihm gut getan. Er macht auf mich einen stabilen Eindruck und ich glaube, dass das auch so bleibt. Ich könnte mir vorstellen, dass er künftig als Motivationscoach gefragt sein wird, weil er so ein extremes Leben gelebt hat. Als Sieger der Tour de France war er ein Superstar, dem die Welt zu Füßen lag. Dann ist er so tief gefallen wie es tiefer kaum geht. Jetzt ist er wieder aufgestanden. Er hat einen riesigen Erfahrungsschatz, den er weitergeben kann. Damit kann er vielen Menschen helfen."

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