stern-Chefredakteur "Für Sportstars liegt der größte Kampf manchmal jenseits der Arena" – Gregor Peter Schmitz über den neuen stern

Cover vom stern 48/23
Im aktuellen stern geht sind die beiden Sportler Jan Ullrichs und Alexander Zverev im Fokus
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Im neuen stern rücken zwei Sportstars in den Fokus: Jan Ullrich erzählt von Drogenexzessen und seinem Totalabsturz, Alexander Zverev sieht sich mit Vorwürfen der häuslichen Gewalt konfrontiert. Chefredakteur Gregor Peter Schmitz ordnet beide Fälle ein.

Eines meiner Lieblingsbücher ist "Der Sportreporter" von Richard Ford. Es geht darin vordergründig um einen eher nervigen Reporter und seine ewige Suche nach sich selbst. Es geht auch um seine Bewunderung für Athleten, die es schaffen, alles auszublenden, was nichts zu tun hat mit ihrem Sport, und die diesen selbstverständlich als die allerwichtigste Sache in der Welt ansehen. Ich musste an Fords Roman bei der Lektüre dieser stern-Ausgabe denken, in der es gleich zweimal um außergewöhnliche Athleten geht, die absolute Sport-Leidenschaft vorleben oder vorgelebt haben, sich aber mit dem Leben außerhalb des Sports schwertun. In der Recherche meiner Kollegen David Holzapfel und Johannes Röhrig über Gewaltvorwürfe gegen Tennisstar Alexander Zverev, den erfolgreichsten deutschen Spieler seit Boris Becker, findet sich diese Szene:

Bereits als kleines Kind war Zverev auf Tennisplätzen unterwegs. Und wer ihm zusah, merkte schnell: Dieser Junge hat außergewöhnliches Talent – und einen noch außergewöhnlicheren Ehrgeiz. Der ehemalige Tennisprofi Dominik Meffert erinnert sich an ein Training für die Australian Open vor vielen Jahren. Mit seinem Coach habe er gerade Aufschläge geübt, als der damals zehnjährige Alexander Zverev auf den Platz gekommen sei. Er habe gefragt, ob er die Aufschläge einmal zurückspielen dürfe. Meffert, ein gestandener Profi von fast zwei Meter Größe, willigte ein. Zverev habe natürlich keinen Ball retournieren können. "Nach dem zehnten Versuch hat er sich heulend auf den Boden geworfen und mit den Fäusten auf den Boden getrommelt." Er habe nicht akzeptieren können, dass ein 26-Jähriger besser spiele als ein Zehnjähriger. Meffert sagt: "Der war damals schon anders. Aber die guten Spieler sind alle anders."

Jan Ullrich berichtet erstmals von seinem Absturz

Und im Titelgespräch, das Christian Ewers und Joachim Rienhardt mit Jan Ullrich, dem einzigen deutschen Gewinner der Tour de France, führen konnten, steht diese Erinnerung des einstigen Rad-Champions: "Wenn du bei 40 Grad in den Pyrenäen oder den Alpen in einer Fünf-Mann-Spitzengruppe fährst, und du bist der Einzige, der noch einen Helm aufhat – dann macht dich allein dieses kleine Detail verrückt. Du sagst dir: Du schleppst die 300 Gramm vom Helm mit dir rum und die anderen nicht. Da schmeißt du den Helm automatisch weg."

Ullrich ist nach seinem Tour-Aus regelrecht abgestürzt, zwei Flaschen Whiskey am Tag, Kokain, bis zu 800 Zigaretten, vielleicht auch um sein anhaltendes Schweigen zu den omnipräsenten Dopingvorwürfen auszuhalten. Mit dem Schweigen ist es nun vorbei, Ullrich spricht zum ersten Mal aus, dass er gedopt habe: "Damals fühlte sich das alles völlig normal an. Allgemein überwog die Einstellung: Wenn man das nicht macht – wie will man dann in einem Rennen bestehen? Dann fährst du im Peloton und weißt, du bist wahrscheinlich einer derjenigen, die nichts drin haben, und deswegen hast du auch null Chancen."

Ullrich will ein neues Leben anfangen, nachdem er Himmel und Hölle erlebt hat. Ob Zverev die Vorwürfe aus seinem Privatleben sportlich überstehen wird, ist noch nicht ausgemacht, es gilt die Unschuldsvermutung. Und doch lernen wir: Für Sportstars liegt der größte Kampf manchmal jenseits der Arena.

Neue stern-Stunde bald wieder auf stern.de und bei ntv

Unsere neue Veranstaltungsreihe stern-Stunde geht weiter. Diesmal begrüßen wir die Sicherheitsexpertin Claudia Major und den Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Wir wollen mit ihnen über unsere Welt im Umbruch diskutieren und darüber, wie der Krieg im Nahen Osten und der in der Ukraine die Werte und Normen unserer Gesellschaft herausfordern. Welche Handlungsoptionen haben wir, was muss sich dringend ändern, wie gelingt ein Neustart – für die Welt, aber auch für uns ganz persönlich? Sind Sie neugierig geworden? Wir übertragen die stern-Stunde am 27. November ab 18.30 Uhr live auf stern.de und bei ntv.

Update: Das Verfahren wurde mittlerweile eingestellt. Alexander Zverev gilt damit weiterhin als unschuldig.

Erschienen in stern 48/23

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