Ein Sieg, zehn Niederlagen - der Saisonstart der Nürnberg Ice Tigers kann mit Fug und Recht als desolat bezeichnet werden.
Sky-Moderator Michael Leopold machte nach dem 1:5 bei den Augsburger Panthern Nürnberg-Trainer Peter Draisaitl mit dem legendären Ausspruch des ehemaligen Fußball-Nationalspielers Andy Brehme bekannt: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß", und fragte, ob dieser Sinnspruch nicht auf die aktuelle Lage der Ice Tigers aus dem Frankenland passe.
"Heute war es extrem"
Angesichts der deprimierenden Niederlage in Augsburg blieb Draisaitl nichts anderes übrig als ergeben zu nicken. Seine Worte zu Erklärung der Nürnberger Situation wählte der 45-jährige Eishockey-Coach dann etwas weniger deftig als Kicker-Weltmeister Brehme: "Heute wars extrem. Zwei Eigentore gleich zu Beginn eigentlich war das dritte ja auch so gut wie eins damit war die Spielplanung total über den Haufen geworfen. Der Rest des Spiels war nur noch reine Improvisation. Einige tun sich bei uns mit der Situation sehr schwer."
Die Situation - Das ist der Umstand, dass die Ice Tigers zehn der bisherigen elf Spiele verloren haben und mit einem Rückstand von fünf Zählern auf den Vorletzten Straubing einsam das Tabellenende "zieren". Vier erzielte Punkte aus elf Spielen, mit nur 15 geschossenen Toren ein geradezu mickriger Tor-Durchschnitt von 1,36 pro Spiel. An einen so schwachen Saisonstart einer Mannschaft können sich selbst eingefleischte Eishockey-Kenner nicht erinnern.
Bei vielen DEL-Fans mag dies Erinnerungen an die Füchse Duisburg wecken, die jahrelang Schlusslicht und Prügelknabe der Liga waren. Doch selbst die vermeintlich schlechteste DEL-Mannschaft aller Zeiten ist nicht so kläglich in eine Saison gestartet. In ihrer schwächsten Spielzeit 2007 hatten die Füchse nach elf Spielen immerhin einen Zähler mehr auf der Uhr als die Ice Tigers heute, in den übrigen Jahren der Liga-Zugehörigkeit (2005 2009) teilweise gar das Doppelte.
Die Vergangenheit verheißt nichts Gutes
In der Tat: Nie zuvor ist eine Mannschaft seit Einführung der Vier-Spiele-Hauptrunde so schwach gestartet. Erst einmal hat der Tabellenletzte vom 11. Spieltag noch den Sprung in die Endrunde geschafft. Dieses Kunststück brachten die Kölner Haie im Vorjahr zu Stande. Doch selbst der KEC hatte nach elf Partien schon elf Zähler auf dem Konto fast dreimal so viele wie die Nürnberger.
Der Blick in die Vergangenheit verheißt nichts Gutes für die Ice Tigers. Auf den Klub kommt offensichtlich eine Saison ganz tief im Tabellenkeller zu. Die Duisburger hatten 2007 am Ende der Saison mickrige 42 Punkte zu verbuchen und verpassten damit den ersten Pre-Playoffplatz um 38 Zähler. Dass die Füchse so untergehen würden, mutmaßten damals selbst Fans und Verantwortliche des Klubs. In Nürnberg dagegen ist die Playoff-Teilnahme das Ziel und der Schock somit umso größer.
Einsetzende Ratlosigkeit
Trainer Draisaitl, der seinen geschassten Vorgänger Andreas Brockmann nach drei Spielen ersetzte, scheint mittlerweile immer ratloser zu werden. Zunächst übte sich der ehemalige Nationalspieler in Zweckoptimismus: "Wir sind noch nie dominiert worden", sagte Draisaitl da und das, obwohl die Mannschaft fünf Saison-Niederlagen mit drei oder mehr Treffern Differenz verloren hatte.
Nach dem Spiel gegen Augsburg spricht der Eishockey-Lehrer nun von einem "herben Rückschlag" und sagt: "Es kommt immer auf die Spieler an, die man zur Verfügung hat." Zwar meint Draisaitl, "seine Jungs" hätten genügend Qualität um in der DEL zu bestehen, doch teilt diese Meinung mittlerweile nicht mehr jeder. Auf dem Papier lesen sich die Namen der Nürnberger Spieler sicherlich gar nicht so schlecht, doch die meisten Akteure haben ihren Zenit längst überschritten.
Die Zugänge der Ice Tigers waren im Schnitt fast 33 Jahre alt, so alt wie bei keinem anderen Klub der Liga. Viele Spieler der älteren Garde gehören mitnichten zu den beweglichsten und agilsten ihrer Zunft. Sky-Experte Harald Birk dazu trocken: "Die werden im Alter ja auch nicht besser." Das unterscheidet die Nürnberger auch von Ingolstadt und Iserlohn, deren Mannschaften zwar im Schnitt einen Tick älter sind, wo die Verantwortlichen aber dennoch mehr Wert auf die schlittschuhläuferischen Fähigkeiten gesetzt haben.
Funk verteidigt Transferpolitik
Kritik an der Transferpolitik will Manager Lorenz Funk Jr. nicht durchgehen lassen. Das sähe er nicht, so Funk. "Wir stehen zu allen Spielern. Es ist nicht die Situation, um auf Einzelne drauf zu hauen." Dabei richtet sich die Kritik nicht auf den einen oder anderen Spieler, sondern vielmehr auf die Zusammensetzung des gesamten Kaders. Viele der Profis würden in anderen Mannschaften womöglich gar eine gute Figur abgeben, aber ganz offensichtlich nicht in dieser Konstellation.
Verteidiger Rob Leask, mit 40 Lenzen der Eis-Opa der Liga, urteilt: "So etwas habe ich noch nie erlebt." Sein Wort in solchen Fragen hat Gewicht, denn in Hamburg war Leask (seit 2010 in Nürnberg) zuvor bei einem der größten Krisen-Klubs der vergangenen Jahre beschäftigt.
Einen Hauch von Resignation lässt sich nach dem Spiel gegen Augsburg bei Leasks Kollege Björn Barta (31) raushören: "Das ist brutal. Wir sitzen vor dem Spiel in der Kabine, die Stimmung ist gut und dann das." Dass Barta im Spiel gegen den bayerischen Rivalen zu den Besten gehörte, war bezeichnend. Eigentlich sind für diesen Part andere Spieler vorgesehen, die im bisherigen Saisonverlauf aber kollektiv abgetaucht sind.
Weit vom Niveau entfernt
Ob die "Alteingesssenen" Rob Leask (40), die Leeb-Brüder Greg (34) und Brad (32), Eric Chouinard (31) und TJ Kemp (30) oder die Neuzugänge Jan Benda (39), Sven Butenschön (35), Paul Traynor (34), Shane Joseph (30) und Rückkehrer Jamie Pollock (32) die vermeintlichen Leistungsträger sind momentan jedenfalls weit von dem Niveau entfernt, das für Erfolge in Deutschlands höchster Eishockey-Liga vonnöten wäre.
Die Jungen im Kader wie zum Beispiel der 21-jährige Tim Schüle oder der ein Jahr ältere Alexander Oblinger sind noch lange nicht in der Lage, ein Spiel aus dem Feuer reißen zu können. Und Torhüter Patrick Ehelechner (27) ist von seinen Vorderleuten ein ums andere Mal im Stich gelassen ohnehin die "ärmste Sau" auf dem Eis.
Um noch einmal zu dem eingangs erwähnten sinnigen Brehme-Spruch zurück zu kommen: Dass etwas von dem, das der gute Andy seinerzeit an seinen Füßen entdeckt haben wollte, an den Schlägern der Ice Tigers klebt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber auch wenn die wahren Gründe tiefer liegen Peter Draisaitl ist sich ganz sicher: "Ich kriegs hin!"
Daniel Pietzker