Für Deutschlands Handballer ist Stefan Kretzschmar ein Segen. Er ist eine echte Torfabrik, keine Frage. Viel wichtiger ist jedoch seine Funktion als Zuschauer- und Medien-Magnet. Kaum ist das Spiel vorbei, schleppt "Kretzsche" eine ganze Horde von Fans und Journalisten mit sich herum. Das bringt Zeit und Ruhe für den Rest des Teams. Vor allem für junge Spieler der ideale Puffer.
Ab nach links
Anhänger und Fernsehteams werden in Zukunft umdenken müssen. Führte sie der Weg in der Vergangenheit nach links zu Stefan Kretzschmar, wird während der Handball-EM die gegenüberliegende Spielfeld-Seite immer wichtiger werden. Dort hat sich in den letzten Jahren einer festgesetzt, dem Experten ein ganz großes Vermarktungspotenzial bescheinigen. Ganz davon zu schweigen, dass er einer der besten Rechtsaußen-Spieler ist, die sich weltweit im Handball finden lassen: Florian Kehrmann.
Im Schatten des übermächtigen Handball-Punks hat sich Kehrmann vom Talent zur Spielerpersönlichkeit entwickelt. Sowohl bei seinem Verein TBV Lemgo als auch in der Nationalmannschaft.
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Florian Kehrmanns Homepage
"Ranschmeißen werde ich mich an keinen!"
In Slovenien muss Kretzschmar verletzt zuschauen und darauf hoffen, dass unter anderem Florian Kehrmann die entstandene Lücke füllen kann. Der 26-Jährige fühlte sich im Hintergrund bislang nicht unwohl, ist sich allerdings im Klaren darüber, dass das nicht so bleiben konnte. "Das wird mehr in Zukunft", orakelte er schon während der WM 2003 und meinte damit den Druck von Öffentlichkeit und Medien. "Aber ranschmeißen werde ich mich an keinen".
Perfektionist
Ein weichgespülter Kretzschmar, könnte man meinen. Nicht ganz so markige Sprüche, ein paar kleine Tatoos und modische, aber nicht zu auffällige Frisuren. Perfekt zu vermarkten und mit wenig Ecken und Kanten. Von wegen. Kehrmann ist ein Perfektionist, der an seiner Handballer-Karriere ebenso verbissen arbeitet wie Altergenossen an akademischen Titeln.
"Wenn man ganz nach oben möchte, muss man halt mehr tun als die anderen", musste Kehrmann schon als kleiner Steppke erkennen. Zwar wurde er als Sechsjähriger mit der HG Büttgen Niederrheinmeister, an eine Laufbahn als Berufs-Handballer war damals allerdings noch nicht zu denken. Der kleine Florian fand Gefallen an diversen Sportarten. Ski und Snowboard fährt er bis heute leidenschaftlich gerne, Fußball und Tennis spielte er im Verein und natürlich unter Wettkampfbedingungen.
Sondertraining in der Muckibude
Echte Erfolge wollten sich allerdings nur im Handball einstellen. 1993 stand er im Aufgebot der Jugendnationalmannschaft, 1994 wechselte er zum TUSEM Essen und kam unter den Fittichen von Trainer Bob Hanning als A-Jugendlicher locker auf fünf Trainingseinheiten im Verein. Das reichte, um sich im Team zu etablieren. Kehrmann jedoch wollte mehr. So begab er sich in die Hände eines privaten Trainers und schwitzte unter dessen Anleitung mindestens an zwei Abenden pro Woche in der Muckibude. Das Ergebnis kann sich bis heute sehen lassen. Bei einer Körpergröße von 1,86 Meter kommt die Nummer 19 des DHB-Teams auf ein Kampfgewicht von 85 Kilo. Das seine Waden so dick sind wie die Oberschenkel eines normalen Menschen, spricht für enorme Schnellkraft und ausgeprägte Sprungkraft.
Tugenden, wie geschaffen für einen erfolgreichen Außenspieler. Die Männer an der Ecke führen in den Angriffbemühungen der zentralen Rückraumspieler oft ein tristes Dasein und müssen lange auf ihre Chance warten. Um so wichtiger, dass die wenigen Würfe sitzen. Bei Kehrmann sitzt fast alles. Er springt höher und weiter als die meisten Abwehrspieler und behält auch dann die Übersicht, wenn er von seinen Gegenspielern unfair abgedrängt wird. "Aber das ist besser als auf der Kreisläuferposition", findet Kehrmann. "Da kriegt man ja immer voll auf die Fresse".