Kommentar Dicke Tränen, süße Küsse

Hurra, unser Erik Zabel siegt wieder! Fans und Fernsehen jubeln. Doping, Lügen und Betrug? Schwamm drüber, der Erik hat doch geweint! Anklage war gestern, jetzt läuft die Saison wieder. Ob sauber oder nicht interessiert keine Sau.
Von Klaus Bellstedt

Wie bitte? War was? Nee, nix passiert! So als hätte es die letzte, düstere Woche in der deutschen Sport-Geschichte nie gegeben, so dreht sich das Rad also weiter. Erik Zabel, ja, genau der Zabel, der noch vor wenigen Tagen unter Tränen eine ungeheuerliche Doping-Beichte ablegte, fährt jetzt bei der Bayern-Rundfahrt - selbstverständlich weiter im Trikot seines Milram-Teams - um Siege. Und ja, er gewinnt sogar eine Etappe. Am Donnerstag sprintet Zabel als Erster über die Ziellinie. Und die Fans? Die feiern den Doping-Sünder, sogar frenetisch. Rennfahrer wie Jens Voigt ("Es ist gut, dass Erik hier fährt. Man muss auch menschlich an die Sache herangehen") klopfen ihm auf die Schulter. Rudolf Scharping - in seiner Funktion als Rad-Verbandspräsident - greift zu Gratulationszwecken gar zum Handy.

Die Radsportfans haben ihrem Idol vergeben. Damit konnte, damit musste man rechnen. Sie nehmen Zabel die Tränen ab. Weil sie glauben, dass er seit 1996 sauber ist? Ganz sicher nicht. Wenn man sich die Bilder von der Bayern-Rundfahrt genau ansieht, könnte man meinen, dass den Fans völlig wurscht ist, ob hier einer als verseuchter Zombie oder vom Doping entgifteter Athlet über die Landstraßen brettert. Beim Wort 'Doping' läuft es den Menschen schon lange nicht mehr kalt den Rücken hinunter. Bei Ben Johnson war das noch anders. Aber heute? Geschenkt! Na und, dann hat uns der Zabel eben über Jahre angelogen. Geahnt haben wir es doch schon immer. Und lasst doch bitte den armen Jan in Ruhe. Alle haben sie was eingeworfen.

Es gibt sie noch - die paar Bekloppten

Die Fernsehsender tun ihr Übriges dazu: Noch in der letzten Woche jagte eine Sondersendung bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten zum Thema Doping die nächste. Von Beckmann über Kerner bis zu Illner: Überall saßen die gleichen Gesichter und mahnten. Bei ARD und ZDF wurde sogar über den Ausstieg der Tour-de-France-Berichterstattung nachgedacht. Was für eine Heuchelei! Natürlich senden sie weiter, auch wenn sie und wir alle wissen, dass der Radsport heute schlimmer denn je verseucht ist, Dr. Fuentes lässt schön grüßen! Wieder einmal wurde die Chance verpasst, ein deutliches Zeichen zu setzen. Stattdessen wird uns zur Primetime in der heute-Sendung am Donnerstag der Etappensieg Erik Zabels auf dem Silbertablett präsentiert. Die Bayern-Rundfahrt in den Hauptnachrichten, können Sie noch folgen? Macht nichts, müssen Sie nicht.

Erik Zabel hat elf Jahre lang gelogen. Jetzt wird ihm zugejubelt wie noch nie. Selten ist einem Sportler die Rückkehr in die Normalität so leicht gemacht worden. Der Mann ist gewissermaßen resozialisiert - auch und gerade mit Hilfe des Fernsehens. Und soll ich Ihnen was sagen: Es gibt sie doch, die paar Bekloppten, die die Welt nicht mehr verstehen, dass nach Betrug und Lügen so schnell zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Ehrlich, die können einem richtig Leid tun.

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