Rugby-WM Verstärkter Blutfluss durch Textil-Doping

  • von Tim Farin
Bei der am Freitag beginnenden Rugby-WM in Frankreich setzen fünf Teams auf Spezial-Trikots, die mit elektrischen Impulsen angeblich die Leistung steigern sollen. Das Textil-Doping wurde ürsprünglich von Nazi-Wissenschaftlern entwickelt, die Kampfpiloten länger wach halten wollten.

Im traditionsreichen Kampf der muskelbepackten Männer könnten elektrische Ladungen erstmals den feinen Unterschied zwischen Triumph und Trauer ausmachen: Vor der heute in Paris beginnenden Rugby-Weltmeisterschaft haben die Trikots einiger Mannschaften für heftige Diskussionen gesorgt. Widersacher hatten gar den Verdacht, bei den High-Tech-Jerseys könnte es sich um Doping handeln.

Ausgelöst hat den Wirbel die neuseeländische Sportbekleidungsfirma Canterbury of New Zealand, welche ihre Teams für das sechswöchige Turnier in Frankreich, Wales und Schottland mit so genannten "bionischen" Trikots ausgestattet hat. Die Teams aus Südafrika, Australien, Irland, Schottland und Japan starten in den hauteng anliegenden Kunstfaser-Shirts - bis auf Japan allesamt mit guten Chancen ausgestattet, den Titelträger von 2003, England, vom Sockel zu stoßen. Der 110 Kilogramm schwere südafrikanische Spieler Victor Matfield erwartet jede Menge von seinem neuen Oberteil: "Ich vermute, dass der Leistungsvorteil sich als unverzichtbar herausstellen wird, wenn wir in einem Schlüsselspiel auf einen ähnlich starken Gegner treffen."

Elektrische Bestrahlung für Wehrmachtspiloten

Die Story zu den Hemden klingt atemberaubend: Die Textilien basieren auf der Forschung von Nazi-Wissenschaftlern, die im Zweiten Weltkrieg mit der "Ionisierung" experimentierten. Die Forscher entdeckten damals, dass negative elektrische Bestrahlung von Luftwaffen-Piloten helfen konnte, die Crews im Einsatz wach und alarmiert zu halten. Damals indes nutzten sie für die "Ionisierung" spezielle Kammern. Die Technologie verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in die Forschung der Sowjetunion, wo sie erstmals im Sport eingesetzt wurde.

Canterbury gibt nun an, als erster Sportartikelhersteller auf dieser Forschung basierende Textilien herzustellen. Der eng anliegende Stoff ist auf der Oberfläche mit einer Schicht besetzt, die bei Hautkontakt Elektronen in die menschliche Haut freisetzt. Nach Angaben des Herstellers führt dies zu einem verstärkten Blutfluss. Die Folge dieses Tunings: Mehr Sauerstoff gelange in die Muskeln und steigere die Leistung, Abfallprodukte wie Laktat würden schneller abtransportiert, die Erholung werde beschleunigt – behauptet der Hersteller. Für die Rugby-Spieler sind das gewichtige Argumente: "Wir haben die Ionisierung nach dem Training bereits mit Masken genutzt, um den Sauerstofffluss zu verbessern und die Erholung zu beschleunigen", sagt Australiens Spieler Stephen Larkham, "aber nun haben wir sie in unseren Jerseys – es fühlt sich besser an, wenn man sie trägt."

In der Wissenschaft streitet man nun, ob die vom Hersteller behauptete Leistungssteigerung tatsächlich messbar sei. Die auf Sportartikel spezialisierte Universität Loughborough in England fand in einer Doppelblindstudie heraus, dass Athleten beim Tragen dieser Kleidung Leistungssteigerungen von 2,7 Prozent erlebten. "Schon jetzt ist deutlich, dass diese Kleidung das Potenzial hat, einen wertvollen Beitrag zur Leistungssteigerung von Athleten sowohl beim Training als auch im Wettkampf zu leisten", analysiert Professor Mike Caine. Widerspruch dagegen meldet der Forscher Paul Hogg vom Queen Mary College der Universität London: "Dies könnte ein Teil der Pseudo-Wissenschaft sein", denn man wisse nicht, was die elektromagnetische Beschichtung des Materials im Körper genau verursache.

Wada sieht kein Doping

Allerdings vermutete der Rugby-Verband IRB bereits unsportliche Vorteile für die von Canterbury ausgestatteten Teams. Also wandte man sich an die Welt-Antidopingbehörde Wada. Doch die Fahnder gaben den Textilien eine Unbedenklichkeits-Bescheinigung für das Turnier. Richard Bryant von der Firma Canterbury wehrt sich gegen Doping-Unterstellungen: "Nichts wird in den Körper eingeführt oder geschluckt."

Das erste Mal im WM-Einsatz getestet wird das High-Tech-Textil morgen, wenn die australische Auswahl um 15.45 Uhr in Lyon auf das japanische Team trifft. Auch deutsche Fernsehzuschauer können die Entwicklung studieren, das DSF überträgt am Sonntag um 15.55 Uhr das Match zwischen Südafrika und Samoa.

In Neuseeland diskutiert man derweil bereits über den mangelnden Patriotismus der Rugby-Ausstatter von Canterbury. Die Firma war nämlich ursprünglich gegründet worden, um das neuseeländische Nationalteam, die "All Blacks", auszustatten. Die spielen allerdings heutzutage in Trikots von Adidas. Nun beliefert eine Firma aus dem eigenen Land fünf Konkurrenten mit leistungssteigerndem Material. "Sind wir damit illoyal?", fragte sich Canterbury-Vertreter Bryant kürzlich selbst. Er sah sich beruhigt, weil die Neuseeländer meistens mehr als 2,7 Prozent besser seien als ihre Konkurrenz: "Unsere Teams werden zwar ihre Leistung steigern können, aber wer weiß, auf welchem Niveau die "All Blacks" inzwischen sind?"

PRODUKTE & TIPPS