In seine Mission als deutscher Hoffnungsträger bei der Vierschanzentournee startete Philipp Raimund mit eigener Kopf-Frei-Strategie. "Ich habe soziale Medien an Weihnachten diesmal komplett ignoriert", sagt der derzeit beste deutsche Skispringer und ergänzt mit einem Grinsen: "Das hat mir persönlich gutgetan, würde ich den anderen auch empfehlen."
Kein Skisprung-Beitrag bei Instagram, möglichst nicht mit dem Druck konfrontiert werden. Stattdessen Golf spielen, weihnachtliche Ablenkung mit der Familie. Rummel und Ablenkung kommen noch früh genug. Beim Auftakt des großen Schanzenspektakels an diesem Montag (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) werden sich die Blicke der deutschen Fans vor allem auf Raimund richten.
Nicht Olympiasieger Andreas Wellinger, Karl Geiger oder wie im Vorjahr Sprung-Oldie Pius Paschke haben aus dem deutschen Team die größten Chancen, sondern der 25-Jährige, der bisher die Saison seines Lebens springt. Wer ist dieser Philipp Raimund?
Hannawald: "Erfrischend, ihn vor dem Mikrofon zu haben"
"Er ist ein bisschen anders", sagt Bundestrainer Stefan Horngacher und schiebt direkt hinterher: "im positiven Sinne." Spätestens nach dem Karriereende von "Sieg-oder-Sarg"-Springer Markus Eisenbichler ist der gebürtige Schwabe der extrovertierteste seiner Athleten.
"Es ist erfrischend, ihn vor dem Mikrofon zu haben. Irgendwas kommt bei ihm und seinen Interviews immer ums Eck", sagt Sven Hannawald, der 2002 als bis dato letzter Deutscher die Tournee gewann, der Deutschen Presse-Agentur.
Seine unbedarfte, manchmal fast schon freche und emotionale Art tat Raimund zu Beginn seiner Karriere nicht nur gut. "Ich bin sehr locker. Es kommt einem manchmal vielleicht auch so vor, als wäre mir relativ viel egal - was vielleicht auch so ist", sagt Raimund selbst. Das sei per se zwar nicht schlecht, könne aber auch zum Verdacht führen: "Vielleicht nimmt er es nicht so ernst, wie man eigentlich sollte."
Eisenbichler über Raimund: "Jugendlichen Leichtsinn" abgelegt
Hört man seinen Wegbegleitern zu, merkt man schnell, wie sich Raimund diesbezüglich und auch sonst in ihren Augen entwickelt hat. Sein Ex-Kollege habe "seinen jugendlichen Leichtsinn ein bisschen abgelegt", sagt zum Beispiel Eisenbichler in einer Eurosport-Medienrunde. "Er hat einfach dazugelernt diese Saison, dass er hart, strukturiert und fokussiert arbeiten muss."
Und Coach Horngacher erklärt: "Am Anfang war seine Euphorie unglaublich willkürlich. Da haben wir auch versucht, ihn einzufangen." Der 56-Jährige, der am Ende der Saison als Bundestrainer aufhört, ergänzt: "Mittlerweile haben wir ein ganz gutes Konzept gefunden, wie man miteinander umgeht. Das funktioniert jetzt gut."
Regeländerungen kommen Raimund entgegen
An Raimunds Talent habe er ohnehin nie einen Zweifel gehabt. "Er hat Fähigkeiten, die nicht viel Sportler haben im Skispringen", sagt er. Dynamik ist so eine Fähigkeit. Sprungkraft ist eine andere. Nach den infolge des Manipulationsskandals um norwegische Springer geänderten Regeln für die Sprunganzüge kommt dieser nun eine höhere Bedeutung zu.
"Er ist ein cleverer Sportler. Er hat sich Hilfe geholt in allen Richtungen", sagt Horngacher. So hat Raimund auch mental an sich gearbeitet. Die Höhenangst, die ihm noch in der vergangenen Saison Probleme bereitete, sei kein Thema mehr, erklärt der Sportler selbst.
Viermal schaffte es Raimund in dieser Saison schon auf das Podest. Im Gesamtweltcup liegt er auf Rang vier. Dass er deshalb der aktuell gefragteste DSV-Adler ist, daran muss er sich noch gewöhnen. Als Teamkollege Karl Geiger ihn bei einer Medienrunde vor dem Tournee-Start in die Mitte zwischen sich und Horngacher sitzen will, protestiert Raimund zunächst. "Ich will aber nicht in der Mitte sitzen", sagt er und nimmt dann doch dort Platz.
Topfavoriten kommen aus Slowenien und Japan
Raimund geht genau wie sein ebenfalls zuletzt starker Mannschaftskamerad Felix Hoffmann in der Rolle des Jägers in den Wettkampf um den goldenen Adler. Topfavoriten sind der Slowene Domen Prevc und der japanische Tournee-Experte Ryoyu Kobayashi.
Sobald die beiden Fehler machen, will Raimund da sein. Den ersten Weltcup-Sieg im Einzel ausgerechnet vor Zehntausenden Fans bei der Tournee feiern - das wäre doch was.
Helfen könnte ihm dabei seine ihm eigene Lockerheit. "Es sind für mich vier Einzel-Wettkämpfe", betont er. "Ich sehe die Tournee nicht als das Ding der Welt. Ich sage jetzt nicht: Wenn ich die Tournee gewinne, werde ich der nächste Papst."