Auf Madeleine Bohms Unterarm prangt ein menschliches Herz, daraus wachsen zart gestochene Blümchen. „Das Tattoo steht für meine Liebe zur Medizin“, sagt die 30-jährige Pflegefachfrau. Es erinnere sie daran, dass die Arbeit in der Klinik ihr Traumberuf ist. Gerade besucht sie auf der Intensivstation einen älteren Patienten, der künstlich beatmet wird. Verunglückte Motorradfahrer liegen hier, Landwirte und Winzer nach Arbeitsunfällen, Menschen, die schwer gestürzt sind. Manche können die Station nach Stunden verlassen, andere bleiben wochenlang. „Ursprünglich wollte ich Ärztin werden“, sagt Bohm. Sie lächelt, wenn sie daran zurückdenkt, wie sie als Kind mit ihrem Vater Stunden auf der Wache verbrachte. Er war im Rettungsdienst. „Ein sinnstiftender Beruf, etwas anderes kam für mich gar nicht infrage.“
„Ich mag auch mal fünf Minuten zuhören, mir einen Moment nehmen zum Trösten.“
Doch schon im ersten Praktikum in einem Krankenhaus stellte sie ernüchtert fest, „dass die Ärztinnen und Ärzte wahnsinnig wenig Zeit hatten“, sagt sie. „Die Pflege hingegen ist viel näher am Patienten. Wir sind die, die die ganze Zeit am Bett sind, die Menschen und Angehörige betreuen und begleiten.“ Das entsprach viel mehr dem, was sie sich wünschte: „Ich mag auch mal fünf Minuten zuhören, mir einen Moment nehmen zum Trösten.“ Trotz dichter Arbeitstage und Druck findet sie diese Zeit auf der Intensivstation. „Ja, Schichtarbeit ist oft anstrengend. Ja, der Job bleibt gemessen an der geleisteten Arbeit und den Ansprüchen unterbezahlt, auch wenn wir hier nach einem vergleichsweise guten Tarifvertrag vergütet werden“, sagt sie.
Madeleine Bohm zog für ihre Ausbildung aus Rheinland-Pfalz nach Freiburg im Breisgau. Was sie lockte, war nicht nur die lebendige Studentenstadt mit dem Schwarzwald vor der Tür. Es war vor allem das Uniklinikum; mit mehr als 15 000 Beschäftigten ist es der größte Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb in Südbaden. Gut 4300 Pflegekräfte versorgen hier pro Jahr etwa 90 000 Patientinnen und Patienten stationär und rund 900 000 ambulant.
Auf dem Gelände tönt Baulärm, eine neue Kinderklinik soll 2024 eingeweiht werden. Über dem Landeplatz kreist ein Helikopter. 130 Pflegekräfte arbeiten auf der Medizinischen und der Anästhesiologischen Intensivstation, die jeweils 14 Behandlungsplätze haben. Auf den insgesamt neun Intensivstationen der Uniklinik betreut eine Pflegekraft nie mehr als zwei Patienten. Silvia Kopp ist die pflegerische Leiterin, eine zupackende Frau mit dunklem Haar. 1987 hat sie ihre Ausbildung in Freiburg begonnen, ist seitdem am Uniklinikum geblieben. „Auf 60 offene Stellen kamen damals 1500 Bewerbungen“, erinnert sie sich. Mehr als 50 Bewerbungen habe sie selbst geschrieben.

Arbeitgeber werben um Personal
Die Zeiten haben sich längst geändert. Heute sind es die Arbeitgeber, die um Personal werben. Der Mangel an fähigem Pflegepersonal führt in Deutschland dazu, dass in zahlreichen Kliniken viele Betten dauerhaft leer bleiben müssen, obwohl sie eigentlich dringend benötigt würden. In Freiburg hat die Leitung des Klinikums rechtzeitig reagiert; zwar kennt man auch hier das Problem der gesperrten Betten, aber es kommt vergleichsweise selten vor. Das Krankenhaus wirbt nun nicht nur mit einer überdurchschnittlichen Vergütung, flexiblen Arbeitszeiten, Jobtickets, einem Fitnessangebot und Personalunterkünften, sondern vor allem: mit Entwicklungschancen. Damit zählt die Uniklinik zu den vorbildlichen Arbeitgebern in der Pflege, wie eine Studie des MINQ-Instituts für den stern ergab.
In Freiburg wurde 2017 die Führung der Stationen umgestaltet: Jetzt kümmert sich die pflegerische Leitung um die Mitarbeiterführung und Abläufe, eine pflegefachliche Leitung übersetzt wissenschaftliche Erkenntnisse in Maßnahmen am Krankenbett, und die pflegepädagogische Leitung koordiniert die Nachwuchsförderung, Aus- und Fortbildung. So können sich die einen auf die Pflege konzentrieren, während andere die Auszubildenden anleiten und neue Pflegekräfte einarbeiten. Die Führungsjobs sind begehrt.
Madeleine Bohm ist eine der ersten Absolventinnen eines neuen Modells, das derzeit erprobt wird: „3+1“. Es ermöglicht, direkt an die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann die einjährige Weiterbildung in der Intensivpflege anzuschließen.
„Respekt, dass du diese Arbeit machst, ich könnte das nicht.“
Oft hört sie von Freunden den Satz: „Respekt, dass du diese Arbeit machst, ich könnte das nicht.“ Bohm glaubt, viele verbinden Pflege vor allem mit wenig anerkannter, aber harter Arbeit, die kaum Entwicklungschancen mit sich bringt. Aus ihrer Sicht ist die Arbeitsrealität – mit all den anspruchsvollen Anforderungen – eine andere. „Ich würde mir wünschen, dass gesehen wird, wie komplex dieser Beruf ist und was wir wirklich leisten.“
An der Medikamentenanrichte der Intensivstation zieht Bohms Kollegin Salome Stange Zuckerlösung in eine Spritze. Nach dem Abitur begann sie zunächst eine Kochlehre, arbeitete in einer Tierarztpraxis und im Pflegeheim, begann dann, in Freiburg Pharmazie zu studieren, landete im Rettungsdienst. Erst nach diesen Umwegen begann sie ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau und studierte parallel dazu Pflegewissenschaften. Wie Madeleine Bohm will sie nah an den Patientinnen und Patienten arbeiten – und zugleich wissenschaftlich tätig sein. „In der Ausbildung war ich schon Wochen vor dem ersten Praxiseinsatz auf der Intensivstation nervös“, erzählt die 28-Jährige. Doch das Team vor Ort gab ihr Sicherheit. „Ich habe mich aufgehoben und betreut gefühlt.“ Nach ihrem Examen fing sie auf der Intensivstation an. „Der Job ist spannend, Routine gibt es hier kaum. Jeden Tag lerne ich dazu“, sagt sie. Parallel studiert sie weiter und hat noch zwei Semester bis zum Masterabschluss. Ihr Unterricht an der Uni und Prüfungen sind im Dienstplan berücksichtigt; um das Pensum zu schaffen, arbeitet sie Teilzeit, 55 Prozent.

Doch sie lernt nicht nur für die Uni. Auch am Klinikum betreuen sie und ihre Kolleginnen, die ebenfalls Studium und Ausbildung kombinieren, eigene Forschungsprojekte. Zehn Prozent ihrer Arbeitszeit nutzen sie dafür, Wissenschaft und Alltag verschmelzen dabei immer mehr.
Die 32-jährige Kathrin Spangenberg etwa, die neben Salome Stange an der Anrichte Antibiotika dosiert, kümmert sich in ihrem Projekt um das Überarbeiten von Standards: zu verschiedenen Beatmungsformen, und zum Medikamentenmanagement, die speziell für die Internistische Intensivmedizin relevant sind. Die Kollegin Annalisa Amann, 26, untersucht wiederum das Ernährungsmanagement: Sie wertet Daten zum Ernährungszustand aus, um eine Mangelernährung frühzeitig zu erkennen und entgegenwirken zu können. Und geht der Frage nach: Was ist zu tun, damit das oft verrufene Klinikessen nahrhafter wird, die Genesung fördert und schmeckt? Neben Vertrauen und Verantwortung erfahren die jungen Pflegefachfrauen viel Wertschätzung. Sie sollen in einem Bereich zu Expertinnen heranwachsen, zu Ansprechpartnerinnen auch für die Ärzteschaft. Es ist eine der Ideen, um den Akademikerinnen Entwicklungschancen zu bieten – und sie nicht zu verlieren.
Menge an Aufgaben ist oft belastend für das Pflegepersonal
2021 hatte die Klinik Mitarbeitende auf der Intensivstation befragt, was sie belaste. Immer wieder kamen als Antworten: die emotionale Beanspruchung und die Menge an Aufgaben. Salome Stange widmet sich nun dem Thema, wie sie und ihre Kolleginnen und Kollegen mit all den Herausforderungen des Arbeitsalltags besser umgehen können.

Eine Idee, um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, findet sich verborgen hinter einer Stellwand auf dem Flur der Intensivstation: ein Massagesessel mit Virtual-Reality-Brille und Kopfhörern. „Im Reich der Träume“ steht auf einem Schild, das an dem Sichtschutz hängt. Hier können die Beschäftigten in der Pause zur Ruhe kommen, eintauchen in eine andere Welt. Es gibt professionelle Unterstützung, um Stress und Fehlbelastungen zu reduzieren: etwa Supervisionen sowie Gesprächsgruppen nach belastenden Situationen, nach Todesfällen oder wenn es in Team Konflikte gibt. Auf der Station versuchen sie Dienstpläne nach den Bedürfnissen aller zu gestalten und stimmen sich dazu ab. Maximal flexible Arbeitszeiten ermöglichen es, während der Ausbildung zu studieren – oder Jahre danach. Um Familie und Beruf vereinbaren zu können, gibt es eine Kinderbetreuung und die Option, keine Nachtschichten zu übernehmen oder nicht am Wochenende arbeiten zu müssen. Manche arbeiten nur zu bestimmten Zeiten, angepasst an die Öffnungszeiten der Kita. Fehlen irgendwo Kräfte, gleicht die Stationsleitung das über einen flexiblen Springerpool aus: mehr als hundert Vollzeitkräfte, die an der Klinik frei zwischen den Stationen wechseln – je nach Bedarf. Und nicht zuletzt verdienen Pflegekräfte an baden-württembergischen Unikliniken deutlich mehr als anderswo – nach dreijähriger Ausbildung steigen sie ab Januar 2024 mit mindestens 3630 Euro brutto ein, deutlich mehr als nach anderen Tarifverträgen.
Die wissenschaftliche Untersuchung, an der Salome Stange arbeitet, ist Teil einer großen Vision: Die Uniklinik Freiburg ist auf dem Weg, eines der ersten deutschen „Magnetkrankenhäuser“ zu werden, nach dem Vorbild von zertifizierten amerikanischen Kliniken. Der Leitgedanke: Personal soll angezogen werden wie von einem Magneten, zum Wohl der Angestellten und der Patientinnen und Patienten. In den USA entwickelte sich das Konzept, als in den 1980er-Jahren Pflegenotstand herrschte. Einige Kliniken stachen damals heraus, weil sie leichter Personal bekamen. Untersuchungen zufolge waren die Pflegekräfte dort zufriedener und mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden. Auch die Patientinnen und Patienten profitierten davon, es gab weniger Komplikationen und Todesfälle. Daraus wurden Kriterien abgeleitet. Ziel ist, das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden zu verbessern. Studien belegen, dass motivierte und kompetente Pflegekräfte in entsprechender Anzahl mit guten Patientenergebnissen (Zufriedenheit, bessere Versorgung, niedrigere Sterblichkeit) in Zusammenhang stehen.
Im „Skills-Lab“ lernen angehende Pflegekräfte teilweise mit Schauspielern
Partnerkrankenhaus der Uniklinik ist das Thomas Jefferson University Hospital in Philadelphia. Die Freiburger tauschen sich mit ihren amerikanischen Kolleginnen und Kollegen aus. Einige besuchten dort unter anderem das sogenannte Simulationszentrum: Angehende Pflegekräfte trainierten realitätsnah die Versorgung von Erkrankten, die teils von Schauspielern dargestellt wurden. Auch in Freiburg gibt es inzwischen so ein „Skills-Lab“. In den USA findet der Einstieg von künftigen Pflegekräften in die direkte Patientenversorgung oft später statt als hierzulande. Dort und auch in Ländern wie Schweden oder Großbritannien absolvieren viele ein Studium. Der Wissenschaftsrat fordert, dass künftig auch in Deutschland zehn bis zwanzig Prozent der Pflegekräfte studieren sollten. Doch noch läuft die Akademisierung schleppend an: Nur 0,5 Prozent der Pflegenden haben bislang einen pflegewissenschaftlichen Abschluss. An der Freiburger Uniklinik sind es aktuell 3,2 Prozent – eine Quote, die bundesweit heraussticht.
Dass die Uniklinik hier an der Spitze steht, ist auch Pflegedirektor Helmut Schiffer zu verdanken. „Wenn Mitarbeitende in ihrem direkten Tätigkeitsbereich Dinge anstoßen und umsetzen können, erhöht dies die Zufriedenheit und Verbindung mit der Arbeit und unserem Unternehmen“, sagt der 63-Jährige. Vor knapp zehn Jahren kam er von der Berliner Charité in den Süden. Allein dass er als Pflegedirektor im Klinikvorstand ist, zeigt, welchen Stellenwert die Pflege hier hat. Schiffer hatte schnell erkannt, dass der Pflegenotstand ein Teufelskreis ist: Je höher der Personalmangel, desto untragbarer die Arbeitsbedingungen, was wieder zu mehr Kündigungen führt. Er glaubt aber, dass es möglich ist, diese Abwärtsspirale umzukehren. Schiffer war selbst Pfleger. „Der Beruf ist über die letzten Jahre durch die Spezialisierungen, wie sie in einer Universitätsklinik üblich sind, komplexer und anspruchsvoller geworden“, sagt er. Dass sich damit der Beruf weiter professionalisieren muss, ist für ihn die Konsequenz. Er will Theorie und Praxis noch enger verknüpfen, die klinische Pflegewissenschaft vorantreiben und die Krankenversorgung, Lehre und Forschung noch mehr verzahnen. Er sieht die Uniklinik als Vorbild, wenn es darum geht, das Wissen direkt im Stationsalltag umzusetzen. Und er möchte motivierte Pflegekräfte fördern. Das bedeutet: hochwertigere Aufgaben, mehr Verantwortung, mehr Entwicklungschancen.
Zu seinem Konzept gehört auch, dass er regelmäßig eine offene Sprechstunde anbietet. Und er hat Gesprächsrunden eingeführt, in denen Pflegende die Themen ihrer Stationen mit Ärztinnen, Ärzten und der Verwaltung besprechen. Sie sollen ihre Ideen einbringen, damit nicht über sie, sondern mit ihnen entschieden wird. Es ist für Schiffer einer der Schlüssel, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Und zu halten.
Das sind gute Arbeitgeber in der Pflege
Aufbauend auf den stern-Listen zu Krankenhäusern und Rehakliniken haben wir nun vorbildliche Arbeitgeber in der Pflege ermittelt. Die dabei zugrunde liegende wissenschaftliche Erkenntnis: Dort, wo Patienten gut behandelt und gepflegt werden, sind auch gute Jobs zu finden.Hier finden Sie die Ergebnisse zu unserer stern-Studie.
Ergebnisse: Gute Arbeitgeber in der Pflege

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