Als ich elf Jahre jung war, trug ich im Sommer kurze Hosen, trank Capri-Sonne und ein Bonanzarad in Orange war mein Porsche 911 in Otterndorf. Ganz Deutschland war in heller Aufregung, es war Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Sepp Maier stand im Tor, Gerd Müller stürmte, Ernst Huberty kommentierte Deutschland gegen Polen im Regen und wir saßen am Fernseher in der Schillerstraße 10 und fieberten mit.
Die letzte WM, 1970 in Mexiko, hatte ich noch in Rio de Janeiro unter dem Zuckerhut erlebt. Ich weiß noch, wie wir schulfrei hatten, nachdem die Männer in den gelben Trikots und den himmelblauen Hosen im Aztekenstadion gegen Italien triumphierten und den goldenen Pokal zur kollektiven Freude aller Brasilianer in den Himmel hoben. Pelé war Gott und wir Jungs waren seine Jünger.
Vier Jahre später war es ein Landsmann, der für Begeisterung sorgte. Sein Spiel war besonders, seine Eleganz ließ uns staunen, er lag gefühlt nie am Boden, er schwebte vielmehr über den Rasen: Franz Beckenbauer, der Libero. Schwarze Fußballschuhe mit drei weißen Streifen, wie er sie trug, adelten Geschenkpakete unter Tannenbäumen. Seinen Namen sprachen Großeltern, Eltern und Kinder voller Ehrfurcht aus.
Als er in München den WM-Pokal nach dem Finale gegen die Niederlande in Empfang nahm, waren wir alle ein bisschen Franz. Auf den Schulhöfen wurden Sammelbilder die härteste Währung, Bilder mit dem Kaiser waren das Gold. Unser Taschengeld investierten wir in Sprengelschokolade, das leuchtende Orange auf der Packung wies uns im Supermarkt schon von weitem den Weg. Wir schrieben unseren Tanten und Onkeln freundlichste Briefe. Der Inhalt war immer gleich: Bitte schickt uns die WM-Sammelbilder. Und das taten sie.
Ein ganz besonderer Schatz
Tante Sanna war besonders engagiert. Das grüne Album mit dem Titel "Die Fußball Weltmeisterschaften 1966, 1970, 1974" füllte sich auch dank ihrer Hilfe schnell. Herausgeber Ernst Huberty lächelte uns beim Aufschlagen des Buches immer wieder an, es war, als freute er sich persönlich über jedes neu eingeklebte Motiv. Gefühlt viele tausend Mal habe ich es mir angesehen, man hätte mich nachts aus dem Schlaf reißen können und ich wäre locker in der Lage gewesen, sämtliche Bildunterschriften wortgenau herunterzubeten.
Ich hüte das Album bis heute wie einen Schatz, kein anderes WM-Buch hat bei mir jemals einen vergleichbaren Status erreicht. Franz Beckenbauer blieb ein Held. Als er im Herbst seiner Karriere zu Cosmos New York ging, wäre ich am liebsten mitgeflogen. Internet gab es damals nicht und so warteten wir sehnsüchtig darauf, dass in der Sportschau oder im Aktuellen Sportstudio etwas über den Kaiser in der großen weiten Welt berichtet wurde. Als die Niederelbe Zeitung eine Reportage über den "Kaiser von New York" druckte, war Weihnachten im August.
1980 kehrte der verlorene Fußballsohn zurück. Nicht zum FC Bayern, sondern zum Hamburger SV. Wir pilgerten ins Volksparkstadion, in dem unser Held bis 1982 kickte. Wir wollten den Mann, der uns 1974 vor dem Fernseher verzauberte, live erleben. Zusehen, wie er als Feldherr die gegnerischen Teams im Alleingang besiegte, wie er mit lässiger Leichtigkeit durch Abwehrreihen tanzte, torbringende Traumpässe spielte. Aber es war anders. Mit "BP" auf der Brust war er mehr ein in die Jahre gekommener Öltanker, als ein eleganter Segler. Mein Vater philosophierte, ob es nicht besser gewesen wäre, die Karriere in Amerika ausklingen zu lassen, anstatt sich im Bundesligaalltag das Trikot schmutzig zu machen.
Viele Jahre später, beim Sommermärchen 2006, sah ich den Kaiser wieder. Von weitem. Ich saß in Berlin auf der Tribüne beim WM-Spiel unserer Nationalmannschaft gegen Ecuador. Der Mann, der die Realisierung einer erneuten WM im eigenen Land maßgeblich ermöglichte, hatte das Trikot gegen ein präsidiales Outfit getauscht, es stand ihm gut. Sein Denkmal strahlte, auch wenn es später durch die Umstände der WM-Vergabe ins Wanken geriet. Ich würde mir nie anmaßen, über jemanden zu richten, ohne die genauen Umstände zu kennen. "Warst Du dabei?", pflegte mein Vater zu sagen, wenn wir auf dem Weg waren, zu schnell auf Basis von rudimentären Informationen ein Urteil zu fällen.

Als der FC Bayern kürzlich die Champions League gewann, sang Franz Beckenbauer eine Hymne auf Trainer Hansi Flick. Man könne ihm bedenkenlos einen Zehnjahresvertrag geben, erklärte der Kaiser, um dann in seiner typischen Art nachzulegen: "Du kannst ihm auch einen 100-jährigen Vertrag geben." So war, ist und bleibt er, der Libero meines Lebens.
Als ich jetzt, anlässlich seines 75. Geburtstages, mein altes WM-Sammelalbum wieder zur Hand nahm, blieb ich wie früher bei Bild 82 hängen. Es zeigt eine Szene, die mich schon als Junge begeisterte: "Beckenbauer rettet in letzter Not gegen Gadocha, den besten Außenstürmer dieser Weltmeisterschaft" steht darunter. Auch in dieser hochbrisanten Situation klärte der Kaiser mit einer lässigen, fast ballettartigen Eleganz und spitzelte das Leder vor dem einschussbereiten Gegner mit der wehenden Mähne weg. Ich erinnere mich, dass wir alle damals vor dem Fernseher die Luft angehalten haben. Danach griffen wir erleichtert wieder in das vor uns stehende Glasschälchen. Schokoladenstückchen lagen darin, Vollmilch-Orange, von Sprengel. Kaiserlich.