Interview "Mein Weg war natürlich eine Ochsentour"

Bayer-Chef Werner Wenning hat es aus kleinen Verhältnissen bis ganz nach oben geschafft. Er ist der einzige Vorstandsvorsitzende eines Dax-Unternehmens, dem ein solcher Aufstieg gelang.

stern: Vor rund 40 Jahren haben Sie in der Kneipe als Kegeljunge gearbeitet. Können Sie heute noch kegeln?
Werner Wenning: Aber klar: Erst vor ein paar Wochen haben wir in unserem Ausbildungszentrum gekegelt, und da habe ich noch jedes Mal den linken Bauern getroffen. Das ist ja nicht so einfach. Ich erinnere mich auch gern an die Zeit, als ich noch die Pinne aufgestellt habe. Zehn Mark bekam man dafür am Abend. Und frei zu trinken. Ganz wichtig.

Sie haben das ja nicht nur zum Spaß gemacht.


Nein, ohne die automatischen Anlagen von heute war das ja richtig Arbeit. Wir brauchten damals das Geld. Mein Vater war Elektriker in einem Ausbesserungswerk der Bahn, hier ganz in der Nähe, in Opladen. Er starb, als ich 14 war. Meine Mutter bekam eine kleine Rente, und ich musste ganz selbstverständlich was dazuverdienen. Wir sind nie in Urlaub gefahren. In den Ferien habe ich immer gearbeitet: mal in einer Gärtnerei, mal Bananenstauden schleppen im Obstgroßhandel oder Zentnersäcke Kartoffeln verladen. Und während des Schuljahres habe ich Zeitungen ausgetragen. Schon damals habe ich immer auf genügend Cash-flow geachtet.

Waren Sie ein guter Schüler?


Na ja, ich habe die Schulzeit ohne Ehrenrunde hinter mich gebracht. Da ich ganz gut mit Zange und Schraubenzieher umgehen konnte und auch zu Hause alles repariert habe, hatte ich erst an einen handwerklichen Beruf gedacht. Aber nach der Höheren Handelsschule habe ich mich dann doch hier bei Bayer beworben und 1966 als Lehrling im kaufmännischen Bereich angefangen. Studium, das war kein Thema.

Unter ihren Kollegen, den Vorstandsvorsitzenden der Dax-Unternehmen, sind Sie der Einzige, der es aus einem Kleine-Leute-Milieu ganz nach oben geschafft hat. Die meisten stammen aus der Oberschicht.


Ich habe mich nie als Ausnahme gesehen. Ehrlich. Meine Herkunft habe ich auch nie als Nachteil empfunden. Ich dachte, so ein Aufstieg sei normal. Vielleicht nicht gleich bis zum Vorstandsvorsitzenden, aber vom Prinzip her.

Sie treffen doch die anderen Vorstandsvorsitzenden hin und wieder.


Oft sogar.

Merken Sie da, dass die anders aufgewachsen sind?


Ich kenne deren Herkunft überhaupt nicht. Das ist absolut kein Thema. Und was soll ich da merken? Ich bin der Chef von Bayer.

Für einen ehemaligen Kartoffelsackschleppper treten Sie ganz schön selbstbewusst auf. Wo haben Sie das her?


Vieles davon habe ich im Ausland gelernt. Ich war gerade Anfang 20, da habe ich von Bayer die Chance bekommen, in einem anderen Land, in einem anderen Kulturkreis Verantwortung zu übernehmen. In Peru hatten wir damals ein Faserwerk, das ich mit aufgebaut habe, zuerst im Rechnungswesen, schließlich als Geschäftsführer. Dort gehörte ich dann automatisch zu einer ganz anderen Gesellschaftsschicht, als es hier in Deutschland in dem Alter möglich gewesen wäre. Wenn ich mit einem Minister reden wollte, habe ich da angerufen. Da war ich gerade 24, 25 Jahre alt. Das war kein Problem. Ich war ja der Vertreter von Bayer, einem der wichtigsten Arbeitgeber im Land. Nationalfeiertage, Staatsbesuche, da war ich ganz selbstverständlich dabei. Die Frage, aus welcher Schicht ich komme, die stellte sich nicht. Egal, wo ich auch war: Ich war immer der Vertreter von Bayer. Also war ich wer.

Ist das bei Bayer auch heute noch möglich, dass einer Ihrer Azubis mal in Ihrem schönen Büro sitzen wird?


Ich hoffe das sehr. Und Sie können mir glauben, dass wir sehr viel Mühe darauf verwenden, mit unseren verschiedenen Programmen, die Talente frühzeitig zu erkennen und zu fördern. Egal, welchen Hintergrund sie haben. Aber mein Weg, das war natürlich eine Ochsentour, die auch viel Kraft gekostet hat. Und ich gebe gerne zu, dass es heute noch bedeutend schwerer ist als zu meiner Zeit. Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst.

Heute ist aus dem Kegeljungen ein Golfspieler geworden. Jetzt haben Sie sich doch den Gepflogenheiten der Oberschicht angepasst.


Quatsch. Golf spiele ich hauptsächlich, weil meine Frau irgendwann damit angefangen hat. Die ist auch viel besser als ich. Und zum Fußballspielen, meiner wirklich großen Leidenschaft, bin ich inzwischen zu unbeweglich. Da bin ich jetzt nur noch Zuschauer. Aber zum Glück haben wir ja unseren eigenen Verein.

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Interview: Doris Schneyink/Walter Wüllenweber

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