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L. Karasek: Tippt die noch ganz richtig? Endlich schwanger? Warum ein unerfüllter Kinderwunsch immer noch Tabuthema ist

Kinderwunsch. Liebeswunsch. Fruchtbarkeit und Furchtbarkeit.
Kinderwunsch. Liebeswunsch. Fruchtbarkeit und Furchtbarkeit.
© Getty Images
Wie furchtbar ein unerfüllter Kinderwunsch sein kann, weiß stern-Kolumnistin Laura Karasek. Sie sah die Paare im Kinderwunschzentrum vor sich. 
Von Laura Karasek

Angeblich müssen wir uns nicht mehr zwischen Kind und Karriere entscheiden. Aber ist das wirklich so? Kann man ein Reihenhaus kaufen und trotzdem am Wochenende bis 7h morgens auf einen Rave gehen? Kann man sich nach Verbindlichkeit sehnen und trotzdem im November noch nicht wissen, wo man Silvester feiert? Kann man jemanden lieben, der eigentlich ein Idiot ist? Und kann man ein Kind wollen – und trotzdem so bleiben, wie man ist?

Früher haben wir Frauen immer geweint und gezittert, wenn wir fürchteten schwanger zu sein. Über 30 fangen wir Frauen dann oft an zu weinen, wenn wir nicht schwanger waren. Ja, beim Thema Kinderkriegen zeigt der Körper uns, wer an der Macht ist, wer hier die Hosen anhat (selbst wenn die Hosen vielleicht mal runtergelassen waren) und wir können nur hilflos zusehen, wie er uns nicht gehorcht. Vielleicht neigen wir sogar aus Wut dazu, ihn zu beschimpfen und gemein zu ihm zu sein – obschon wir wissen: er sitzt am längeren Hebel und würde noch viel gemeiner zu uns sein können.

Wenn man nur für ein paar Tage glaubt, schwanger zu sein, sich einredet, dass die Dinge anders riechen und schmecken, ist man umso enttäuschter, wenn der Körper einem wieder den Vogel zeigt, einem unter die Nase reibt, dass man irre ist, an Wahnvorstellungen leidet, keine Ahnung hat, seinen Körper nicht kennt, haha, lacht sie einen aus, die nichtgebärende Gebärmutter – und Du Idiotin hast im Kopf schon Kindernamen ausgesucht! Dummerle.

Tabuthema: Unerfüllter Kinderwunsch

Laura Karasek: Tippt die noch ganz richtig?

Ich bin Laura Karasek, 1982 in Hamburg geboren, Rechtsanwältin in einer großen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt. Ich liebe Adrenalin, Gedichte, Männer mit Brusthaaren, Prosecco und Abgründe. Und gewinne genauso gern im Casino wie vor Gericht. Wäre ich besser im Singen gewesen (meine Stimme ist so tief, dass ich am Telefon oft mit meinem Vater verwechselt wurde), gäbe es von mir jetzt Platten statt Prozesse. 2012 erschien mein erster Roman "Verspielte Jahre", im Sommer 2015 habe ich Zwillinge bekommen und kurz darauf meinen Vater verloren. Das mit dem Glück ist eben so eine Sache...

Der unerfüllte Kinderwunsch – heute immer noch viel zu sehr Tabuthema. Betroffene Paare sprechen mit niemandem darüber, alles tuschelt ("die sind doch schon seit drei Jahren verheiratet… was ist denn da los?" – und wen geht es überhaupt was an, wer wann wie und zu welchem Zweck Sex hat?! Lasst die doch in Ruhe, ihr Arroganten, ihr Ignoranten! Wie kann man solche Fragen stellen "Und? Seid ihr schon dabei?" der Druck, den andere auf diese armen Frischvermählten ausüben, ist bestimmt nicht eizellenbeflügelnd. Und zudem noch uncharmant.), Scham und Schande, denken die Honeymooners, "wir sind nicht fruchtbar, nicht weiblich genug oder männlich genug, nicht hormonell oder sexy genug, wir können uns nicht vermehren, unsere Geschlechtsorgane sind Taugenichtse. Da wäre uns eine Sehschwäche oder Fußpilz lieber", denken sie.

Während andere stolz erzählen, sie seien sofort auf der Hochzeitsreise schwanger geworden! Wie aus Versehen. Hubsi, schwupp. Die anderen Frauen beschleicht plötzlich diese seltsame Angst, wenn die Freundinnen schwanger werden: Fremdheit, Ferne, Traurigkeit, Erleichterung. Nein, es ist keine Missgunst, es ist Verlustangst. Bleibe ich übrig? Bin ich Außenseiter im See der Schwangeren, in dem es nur noch Gespräche über Krabbelgruppen und Stubenwagen gibt - und muss ich alleine wieder (am besten mit Kippe im Mund, weil ich ja die Sündige, die Unschwangere bin) an Land robben? Und wenn nein: Wollte ich denn mein Leben ändern? Meinen guten Job vernachlässigen, meinen Sport, meine Freiheiten, das Trinken, das Sushi, das Reisen, meine Anziehungskraft verlieren, meinen straffen Bauch, meine festen Schenkel, meine Unabhängigkeit, mein Jungsein, mein Mädchensein, mein eigenes inneres Kind verlassen, um selbst Mutter zu werden?

Auch ich fragte mich kurz vor der Hochzeit: Wie weit würde ich gehen, um ein Kind zu bekommen? Jahrelang in Fruchtbarkeitskliniken herumsitzen: Künstliche Befruchtungen, Ovulationstester, Messgeräte, Blutwerte, Hormone schlucken, spritzen? Es hatte doch sonst immer alles so reibungslos funktioniert in meinem Leben und ich war doch ein Glückskind, vom Glück geküsst – mit Zunge! Lieblingskind, Tochter, Freundin, Geliebte, Anwältin, Autorin, Ehefrau, gern gesehen in jeder Runde (wenn auch manchmal vielleicht nur zur Belustigung, zur Erheiterung, als Exotin, als Freak, als Unkonventionelle, als Polarisierende). Ich war keine defekte Maschine. Und schon gar keine defekte Frau.

Und jetzt? Würde ich diese Frau beim Arzt werden, die ihre Zeit weinend und abgemagert in Wartezimmern sitzt, auf Reproduktionsseiten surft und von keinem anderen Thema mehr spricht? Würde ich das Mitleid der Kugeln erwecken, die auf den Stühlen neben mir prall gefüllt ruhten und blubberten? Würde ich die Blicke, die Geburten und all die verschenkten Strampler und umrahmten Fotos der anderen ertragen, würde ich mich weiblich fühlen, würde ich warten können, würde ich mich mit einer Niederlage je abfinden? Ich wollte nie "nur" Mutter sein. Aber ich wollte immer "auch" Mutter sein. Es war so vorgesehen, über andere Optionen hatte ich nie nachgedacht.

Wie das Leben die Ansprüche runterschraubt

Wann war das Leben eigentlich so aufwändig geworden? Jahrelang hatten wir jungen Frauen alles getan, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Dann hatten wir uns "Sommerkinder" gewünscht, damit sie einen hübschen Geburtstag im Freien feiern können, dann wollten wir ein bestimmtes Sternzeichen, natürlich einen Junge UND ein Mädchen. Und irgendwann nur noch: Hauptsache gesund, Hauptsache geboren. So schraubt das Leben die Ansprüche herunter.

Man sollte den Frauen in dieser Zeit eine Platinum-Mitgliedschaft Ärztebesuchskarte schenken, aber leider gibt es hier kein Paybackbonussystem, keine geschenkte Pfanne für Treuepunkte. Kein Messerset. Vielleicht wenigstens eine Packung abgelaufener Kondome mit extra schlechter Qualität – damit's schneller klappt? Oder ein Bonus-Fernetbranca – "Weil Sie es sich wert sind! Und außerdem als Einzige hier im Wartezimmer überhaupt Alkohol trinken dürfen!" Täuschen Sie sich nicht, liebe Frauen! Sie bekommen keinen zehnten Bluttest umsonst, bloß weil Sie bereits neun gemacht haben. Ihr Arm wird aussehen wie ein Kopfstein-Pflaster. Nebenbei sollen Sie natürlich noch arbeiten und effizient sein und sich bitte nicht von ihren Hormonen oder Wünschen ablenken lassen.

Ich sah sie vor mir, die Paare im Kinderwunschzentrum mit warmer Harfen-Musik, Entspannungstee, alles voller beunruhigend unecht aussehender Grünpflanzen, viel Bambus, Broschüren mit Titeln wie "Selbsthilfegruppe: Ungewollt kinderlos" oder "Unfruchtbarkeit und Stress - Auswege durch Meditation". Aber diese Menschen wollten kein Yoga. Sie wollen einen Eisprung! Ich sah sie, die Nicht-Blicke der anderen Paare, keiner sah sich an, keiner wollte gesehen werden, jeder fragte sich, wie lange die anderen wohl schon "probierten". Sie alle wussten, warum sie hier waren. Sie alle fürchteten die Diagnose, die neuen Ergebnisse, Werte, Resultate, weitere Tests. Hier war eigentlich nichts zu verbergen und dennoch saßen sie alle dort mit ihren Handtaschen und ihren geschminkten Gesichtern, als warteten sie auf die Zahnreinigung und blätterten in den Fortpflanzungs-Ratgebern, als handele es sich um ein Kochrezept. War es denn so verwerflich?

Auch heute kann ich jeden Gedanken meiner Freundinnen nachvollziehen, die noch keine Kinder haben. Ich kann die Sehnsucht verstehen, die Verzweiflung, das immerzu Belastete. Das Thema kann alles dominieren, alles verdrängen und alles verfärben. Ich war unendlich dankbar, dass ich schwanger war, obwohl ich es ungern war. Ich konnte wegen eines abgebrochenen Bleistifts oder einer verlorenen Haarbürste mit dem Weinen anfangen. Oder ich war so horny, dass ich mich im Büro auf meinem Stuhl gefragt habe, ob unser Pizzalieferant (Mitte 50, bauchig, gelbzahnig, geruchsintensiv und ohne Haare) eigentlich hot sei.

"Nichts ist toter als ein erfüllter Wunsch", heißt es. Ja, das mag für die Sehnsucht stimmen, für die Liebe, für die Verheißung. In der Gefühlswelt stirbt das Ungelebte, sobald es gelebt wird. Die Erfüllung kann die Phantasie auslöschen. Aber dieser Wunsch, der Wunsch nach Kindern und nach Familie, der sich für mich erfüllte, er war nicht erloschen. Nichts war lebendiger als dieser erfüllte Wunsch!

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