Fahranfänger Jan-Peter Lambeck, 18, aus Wuppertal hatte vergangenes Jahr ein bisschen zu oft den Opel seiner Mutter lädiert. Mal fuhr er vor dem Supermarkt den Außenspiegel ab, mal setzte er das Auto rückwärts gegen einen Pfosten oder streifte in einer Kurve das Auto seines Augenarztes. Das wurde auf Dauer ziemlich teuer - und so dachte Lambeck darüber nach, wie ein Auto beschaffen sein müsste, um solche Kontaktaufnahmen heil zu überstehen. Aus der Schadensbilanz entstand ein Geschäftskonzept: Zusammen mit fünf Mitschülern des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal entwickelte er die Idee, flexible Stoßstangen aus Hartgummi wie bei Autoscootern herzustellen. Der Name der Schülerfirma ist Programm: »Safety Car«.
Zwar existiert das Unternehmen vorerst nur auf dem Papier. Einen Preis hat es aber trotzdem schon gewonnen. Die sechs Jungs belegten Platz eins bei der StartUp-Werkstatt 2002, dem größten Internetplanspiel für Schüler hierzulande - angeboten vom stern, den Sparkassen, der Unternehmensberatung McKinsey und Viva. Und erhielten bei der Siegerehrung in Berlin ein Sonderlob von Bundespräsident Johannes Rau: »Es macht mich glücklich, dass ausgerechnet die Schule, auf der ich als Elfjähriger war, heute ausgezeichnet wird.«
Rund 3400 Schüler aus ganz Deutschland im Alter von 16 bis 21 Jahren spielten in diesem Jahr bei der StartUp-Werkstatt Unternehmer. Für die Besten gab es die Reise nach Berlin, Geld und ein Managementtraining auf einem Schloss mit Hochseilgarten. Zwölf Aufgaben mussten die Teams, die aus vier bis sieben Schülern bestanden, lösen: Geschäftsidee entwickeln, Markt sondieren, Kosten kalkulieren, Vertrieb aufbauen oder Homepage basteln. Am Ende steht ein fertiges Unternehmen - wenn auch virtuell, denn das Abitur geht vor. Was ja nicht heißt, dass eine einzelne Klausur einen von der Arbeit abhalten muss. »Hier zu gewinnen ist viel geiler, als eine gute Schulnote zu bekommen«, sagt Volker Kempe.
Der 19-Jährige besucht das Platen-Gymnasium in Ansbach - und gehört zum Team »Back To Work« (BTW), das bundesweit auf Platz zwei landete. Kempe fand es empörend, dass Computer nach nur fünf Jahren auf dem Schrott landen. BTW will deshalb alte Computer aufkaufen, aufpäppeln und für rund 200 Euro wieder verkaufen - an Schüler, Studenten oder soziale Einrichtungen. Vier Monate, so lange dauert das Spiel, feilten die Schüler aus Bayern an ihrem Konzept. »Ist natürlich auch Stress«, sagt Kempe. Aber was man bei der StartUp-Werkstatt lerne, ergänzt Mitschülerin Carina Blank, sei viel konkreter als der Stoff in der Schule.
Die für Schulen eher seltene Kombination aus spielerischer und praktischer Wissensvermittlung hat auch Kultusministerien auf die StartUp-Werkstatt aufmerksam gemacht. In mehreren Bundesländern wird das Internetplanspiel neben einigen anderen Angeboten für den Unterricht empfohlen. Die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier lobt das Spiel als »praxisorientiertes Projekt«, »um Schüler frühzeitig mit den Herausforderungen der Wirtschaft vertraut zu machen«.
Ehrgeizig sind fast alle, die mitmachen. Als sich die Jungs von Safety Car zur StartUp-Werkstatt anmeldeten, sei für alle klar gewesen, dass sie mindestens unter die 50 Besten kommen wollten, sagt Jan-Peter Lambeck. Mitverantwortlich für den Erfolg der Wuppertaler Schüler war der örtliche Sparkassen-Betreuer Holger Hammes, der mit vielen Tipps half. Hammes kann von seinem Arbeitsplatz aus auf den Schulhof des Gymnasiums blicken - häufig besuchten die Schüler ihren Betreuer im Büro.
»Hammes hat unsere Idee gelobt«, sagt Lambeck, »weil Gummistoßstangen ein Massenprodukt werden können.« So wurde die Planung immer konkreter. »Bei BASF haben wir nach den Preisen für Chemikalien gefragt, die wir für die Stoßstangen brauchen«, berichtet Thiago van Enck-Schröder, 18. Thomas Wülfing, der Bio- und Deutsch-Leistungskurs hat, überlegte sich, wo die Produktionsstätte entstehen soll. »Wir haben uns für die ehemalige DDR entschieden«, erklärt er, kühl wie ein Profi. »Dort sind die Löhne niedriger, außerdem gibt's staatliche Zuschüsse für eine neue Fabrik.« Als Wülfing eine Kostenrechnung erstellte, merkte er erstmals, »mit welchem Mist sich ein Unternehmer beschäftigten muss«. Ausführlich debattierte das Team über seinen Vorschlag, Arbeiter auf 325-Euro-Basis einzustellen, weil man dadurch die Nebenkosten niedrig hält. Letztendlich empfanden die meisten das dann doch als zu heftig.
Matthias Donner, 31, Lehrer für Mathe, Religion und Philosophie, der das Safety-Car-Team begleitet hat, freut sich über derartige Diskussionen. Ziel eines solchen Wettbewerbs müsse es sein, am Ende nicht nur die Marktwirtschaft zu bejubeln, sondern auch ihre negativen Seiten zu zeigen, sagt Donner. Im nächsten Jahr will der Lehrer das Projekt »Ethik und Wirtschaft« im Philosophieunterricht anbieten. Bei der StartUp-Siegerehrung in Berlin konnte er dafür Schuhhaus-Gründer Heinz-Horst Deichmann als Referenten gewinnen, der große Teile seines Gewinns Bedürftigen spendet.
Auch Mädchen mischen bei der StartUp-Werkstatt mit - wie das Team »Mathespaß« von der Maria-Ward-Schule in Landau in der Pfalz beweist. Ursprünglich wollten die sechs Schülerinnen Nutella in Tuben herstellen oder im Internet einen Service anbieten, bei dem man ein Foto von sich einscannt und virtuell Klamotten anprobieren kann. Doch Schokocreme in Tuben gebe es schon, sagt Katharina Donath, 18, und Internetideen seien ein wenig ausgelutscht. Stattdessen lösten die sechs ein drängenderes Problem. »Wir haben festgestellt, dass man zwar Sprachreisen machen kann, es aber keine Angebote gibt, um im Urlaub sein Mathewissen aufzubessern«, sagt Christiane Zeck, 18. Und das hätten viele bitter nötig. Weil es kein Land »Mathematien« gibt, sucht Mathespaß einen Ferienort, an dem morgens vier Stunden Mathe unterrichtet werden und der Rest des Tages frei ist. »Für die Eltern ist das Nachhilfeunterricht mit ein bisschen Urlaub«, preist Lisa Söhn, 18, ihre Schülerreise-Idee an, »deshalb wären die sicher bereit, 830 Euro für zwölf Tage zu bezahlen.«
Die Aufgabe mit der Kostenkalkulation fiel Lisa am schwersten, denn »davon hatte ich keine Ahnung«. Ein bisschen half ihr Vater, ein bisschen die Unternehmenspatin Caroline Zinnkann, 51, die in Landau ein Reisebüro betreibt. »Ich war von den jungen Damen überrascht«, sagt sie, »die waren so selbstständig, wie ich das als Schülerin nicht war.« Die Juroren belohnten das Engagement und setzten Mathespaß auf Platz zehn.
Weniger bildungsorientiert und handfester war die Darbietung des Teams »Public Desire« von den Städtischen Kaufmännischen Schulen in Rheine. Ihre Idee - eine Bierfässchen-Halterung - war Tobias Nottbeck, 18, auf der letzten Silvesterfete eingefallen: »Das Problem aller Fünf- oder Zehn-Liter-Fässchen ist, dass der Zapfhahn ganz unten ist. Deshalb muss man so ein Fässchen immer umständlich an die Tischkante stellen.« Public Desire entwickelte eine Halterung, sodass gemütlich auf dem Tisch gezapft werden kann. Die Idee kam auch bei den Profis an: Als die Schüler der Warsteiner-Brauerei ihr Produkt vorstellten, spendierte die prompt 100 Liter Freibier und zehn Fässchen zu Demo-Zwecken.
Durch den Erfolg bei der StartUp-Werkstatt fühlen sich die Schüler aus Rheine so bestätigt, dass sie ihre Idee nun in die Tat umsetzen wollen. Sie ließen einen Prototyp aus Holz bauen, und ihr Lehrer Helmut Gebbe, 52, meldete die Halterung schon mal beim Patentamt an. »Ich hab in meinem Bekanntenkreis rumgefragt«, sagt Gebbe, »die würden für so ein Teil, wenn es edel aussieht, ungefähr 35 Euro zahlen.«
Auch das Ansbacher Schülerteam BTW fühlt sich durch den zweiten Platz angespornt, tatsächlich eine Firma zu gründen. »Der Vater einer Mitschülerin wollte bei uns sogar schon einen Computer kaufen, weil er gedacht hat, unsere Firma gäbe es wirklich«, sagt Volker Kempe geschmeichelt. Teammitglied Andreas Schalk, 18, hat ausgerechnet, dass man etwa 1000 Secondhand-Computer im Jahr verkaufen müsste, um zwei Angestellte für Verkauf und Vertrieb bezahlen zu können.
Egal, ob die Firmengründung nun klappt oder nicht - profitiert haben die Schüler vom Platen-Gymnasium in Ansbach in jedem Fall. »Wir waren schulisch alle nicht so Top-Leute«, sagt Schalk, »die StartUp-Werkstatt hat uns viel selbstbewusster gemacht.« Dennoch: Direkt nach dem Abi soll weiter gelernt werden. »Erst mal studieren, damit man eine Basis hat«, sagt Stefanie Stang, 18. Volker gesteht, dass er durch den Wettbewerb erst begriffen habe, wie kompliziert es ist, sich selbstständig zu machen. »Ein Kumpel von mir hat einen Hausmeister-Service in Ansbach aufgemacht«, sagt er. »Jetzt bewundere ich ihn dafür noch mehr.«
Erfreut stellen die Schüler fest, wie viel man ihnen mittlerweile zutraut. Ihre Wirtschaftslehrerin etwa umwirbt die Werkstatt-Unternehmer heftig: »Wenn das mit eurer Firma wirklich läuft«, sagt Carla Deinlein, 38, »dann steig ich bei euch ein.«