In der Kaukasusrepublik Aserbaidschan hat eine der geostrategisch wichtigsten Ölpipelines ihren Betrieb aufgenommen. Die Präsidenten Aserbaidschans, Georgiens und der Türkei öffneten in einem Terminal bei Baku am Mittwoch die Ventile für die fast 1800 Kilometer lange Röhre von Aserbaidschan über Georgien bis zur türkischen Mittelmeerküste. Vor allem die USA wollen mit der neuen BTC-Pipeline (Baku-Tiflis-Ceyhan) ihre Abhängigkeit vom arabischen Öl verringern.
Die transkaukasische Pipeline, die das Öl über mehr als 1500 Flüsse und knapp 3000 Meter hohe Berge pumpen muss, soll ab 2009 jedes Jahr 50 Millionen Tonnen Rohöl in Richtung Westen befördern. Bei voller Kapazität soll sie täglich eine Million Barrel (je 159 Liter) transportieren. Die Menge entspräche einem Zehntel der täglichen Ölimporte der USA. Die Pipeline verläuft 442 Kilometer durch Aserbaidschan, 248 Kilometer durch Georgien und 1070 Kilometer durch die Türkei. Zum Schutz vor Sabotageakten ist die Leitung auf ihrer gesamten Länge einen Meter tief in der Erde vergraben. Umweltschützer kritisierten, die Pipeline gefährde Trinkwasserschutzgebiete in Georgien.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion blicken die Ölmultis im Westen begehrlich auf die Vorkommen vor der aserbaidschanischen Küste. Bislang hielt Moskau das Transportmonopol für kaspisches Öl. Über die Pipeline Baku-Noworossisk wurden jährlich sechs Millionen Tonnen an die russische Schwarzmeerküste gepumpt und von dort in die ganze Welt verschifft. Der Hafen ist jedoch veraltet, zudem kommen Supertanker nicht durch den Bosporus zwischen Mittel- und Schwarzem Meer.
Kosten von rund 2,5 Milliarden Euro
Schätzungsweise 2,5 Milliarden Euro ließ sich ein internationales Konsortium unter Führung des britischen BP-Konzerns den Bau der BTC-Pipeline kosten. Die Röhre erfüllt aus amerikanischer Sicht die wichtigsten geostrategischen Bedingungen. Die Pipeline läuft weder über das Territorium Irans noch Russlands. Auch das mit Aserbaidschan verfeindete Nachbarland Armenien wurde umgangen. Die Streckenführung von Baku an der georgischen Hauptstadt Tiflis vorbei bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan ist die längste aller Varianten und aufgrund der zu überwindenden Bergketten auch die teuerste.
Mindestens sechs Monate wird es dauern, bis die Pipeline voll in Betrieb geht. Der erste Tanker mit "Aseri Light", wie das kaspische Öl genannt wird, dürfte den türkischen Hafen Ceyhan frühestens im Dezember 2005 verlassen. Um die zum Schutz vor Sabotage in der Erde vergrabene Leitung komplett zu füllen, sind mehr als 1,5 Millionen Tonnen Öl nötig.
Die Inbetriebnahme der BTC-Pipeline kommt in Baku einem Nationalfeiertag gleich. Aserbaidschan und das Transitland Georgien erhoffen sich von den Ölexporten einen Dollarsegen, mit dem sich die Länder weiter aus dem russischen Einflussbereich lösen wollen. Die neue Führung in Georgien orientiert sich zunehmend an der EU und der NATO, seit Jahren sind US-Militärs im Land stationiert.
Sinn der Pipeline in Frage gestellt
Wirtschaftsexperten stellen den Sinn der Pipeline allerdings in Frage. Aserbaidschan verfüge gar nicht über genügend Öl, um die Pipeline für die projektierte Betriebsdauer von 40 Jahren voll auszulasten. Russische Analysten schätzen zudem, die Transportkosten mit der BTC-Pipeline seien etwa doppelt so hoch wie der bisherige Exportweg des aserbaidschanischen Kaspi-Öls über den russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Der nordöstliche Kaspi-Anrainer Kasachstan hat bereits Interesse angemeldet, sein Öl über Aserbaidschan in den Westen fließen zu lasen und dadurch seine Absatzmärkte zu erweitern. Und vielleicht kommt irgendwann sogar Öl aus Russland durch die bestehende Pipeline Noworossisk-Baku. Dazu müsste man allerdings die Pumprichtung umkehren.
Mit dem so getauften "Vertrag des Jahrhunderts" wollte Aserbaidschan schon vor zehn Jahren wieder zu dem Ölparadies werden, das es zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen war. Um 1900 stammte die Hälfte der weltweiten Ölproduktion aus aserbaidschanischen Quellen. Von ähnlichen Dimensionen träumte Staatschef Gejdar Alijew, als er am 20. September 1994 den ersten Vertrag mit ausländischen Ölmultis über die Erschließung neuer Quellen schloss, die eine sagenhafte Ausbeute versprachen. Doch die Erfüllung des Traums vom dauerhaften Reichtum der Ex-Sowjetrepublik durch das Schwarze Gold ist unsicher. Beim "Vertrag des Jahrhunderts" vereinbarte Baku mit westlichen Partnern, die Ölfelder Azeri, Cirag und Günesli (ACG) im aserbaidschanischen Bereich des Kaspischen Meeres zu erschließen. Über die neue BTC-Pipeline soll das Öl nun die Weltmärkte erreichen.
Wirtschaft und Geopolitik gingen bei dem Geschäft Hand in Hand. Der im Jahr 2003 gestorbene Alijew wollte damals die Unabhängigkeit von Russland festigen. Die USA unter Präsident Bill Clinton strebten nach politischem Einfluss am Kaspischen Meer. Das Öl sollte unter Umgehung Russlands und Irans in Richtung Westen gelangen. Die Milliardeninvestitionen ausländischer Konzerne in das ACG-Projekt und etliche seitdem vereinbarte Öl-Vorhaben ließ die Wirtschaft des armen Landes zuletzt mit beeindruckenden Raten von zehn Prozent jährlich wachsen. Doch der Reichtum sammelt sich in den Taschen der Führung. 65 Prozent der Aserbaidschaner leben weiter unter der Armutsgrenze. Nur ein Prozent arbeitet in der Ölindustrie.
Zurzeit gewinnt Aserbaidschan jährlich etwa 15 Millionen Tonnen Öl. Davon stammt ein großer Teil aus dem ACG-Feld Cirag. Doch das BTC-Projekt scheint überdimensioniert. Ab 2009 soll für einige Jahre die Höchstförderung von jährlich 50 Millionen Tonnen erreicht werden, dann werden die etwa 500 Millionen Tonnen erschöpft sein. Der große russische Ölförderer Lukoil verkaufte wegen dieser Aussichten 2003 seinen zehnprozentigen ACG-Anteil nach Japan.
"Schlaue" Staatsführung
"Der schlaue Alijew präsentierte die Republik vor zehn Jahren als ein zweites Kuwait und konnte ausländische Konzerne davon überzeugen, in aserbaidschanische Ölprojekte einzusteigen", sagt ein Sprecher von Lukoil in Moskau. "Später stellte sich heraus, dass in vielen Fällen praktisch in nichts investiert worden ist." Mehrere Fördervorhaben mit internationaler Beteiligung sind inzwischen abgesagt worden.
Wenn in Aserbaidschan wenig Öl gefördert wird, steht es auch schlecht um die Rentabilität der Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan. Die Röhre werde nicht mit voller Leistung betrieben werden können, sagt Waleri Nesterow von der Moskauer Investmentgesellschaft Troika Dialog. Bislang exportiert Aserbaidschan sein Schwarzes Gold durch Georgien ans Schwarze Meer. Russland hat eine parallele Röhre über sein Gebiet ans Schwarze Meer gebaut und bietet Aserbaidschan eine Mitnutzung an. Doch Baku lehnt ab und hofft wie seine westlichen Partner darauf, dass sich die Pipeline nach Ceyhan doch noch füllen wird. Aserbaidschan setzt vor allem auf Kasachstan, das mit der Erschließung des Riesenfeldes Kaschagan zu einem der weltweit größten Ölproduzenten aufsteigen will.
Alexandra Stark, Stefan Voß, Alexander Marjin und Friedemann Kohler/DPA