Benzin Warum der Spritpreis Achterbahn fährt

  • von Roman Heflik
Drei Cent rauf, zwei Cent runter. An den Tankstellen wechseln die Anzeigen immer schneller. Allein Aral hat im vergangenen Jahr den Preis 155-mal erhöht. Wer ist für das ständige Auf und Ab verantwortlich, und wer macht sich dabei die Taschen voll?

Köln-Mönchengladbach-Köln. 150 Kilometer, jeden Tag. Seit sieben Jahren fährt Christine Adolphs nun schon diese Strecke. Morgens um 6.45 Uhr startet die 37-jährige Restauratorin ihren Opel Corsa und ist in einer Dreiviertelstunde im Kunstmuseum.

Das Pendeln hat seinen Preis - rund 250 Euro legte Christine Adolphs in den vergangenen Jahren im Monat für den Sprit hin. Doch seit 2008 spielen die Anzeigen der Tankstellen verrückt: Im Frühsommer stieg der Preis und erreichte Anfang Juli 2008 das Allzeithoch von 1,59 Euro. "Das war für mich kaum zu bezahlen", erinnert sich Adolphs. Dann kam die Finanzkrise, und der Spritpreis fiel binnen fünf Monaten auf 111,9 Cent - zur Freude der Kölnerin und weiterer 18,5 Millionen automobiler Berufspendler.

Inzwischen aber schieben sich an den Tankstellen die Preise von Woche zu Woche wieder nach oben. Im Juni erst haben sie mit 138 Cent pro Liter ein vorläufiges Jahreshoch erreicht. Autoklubs klagen, die Preise seien "massiv überteuert", Boulevardblätter schreiben von Abzocke an der Zapfsäule. Der stern hat sich auf die Suche begeben: Wer ist dafür verantwortlich, wenn der Spritpreis Achterbahn fährt? Wer macht sich da die Taschen voll?

Der Pricing-Manager legt die Preise fest

Die Antworten müsste eigentlich Heiko Wiegand kennen. Denn als sogenannter Pricing-Manager bei Aral legt er fest, welche Preise an allen 2400 Tankstellen des Konzerns gelten. Warum also treibt er die Preise immer wieder hoch?

Wiegand lächelt nachsichtig. "Mit Preistreiberei und Profitgier hat das nichts zu tun", versichert er. Viel lieber spricht er vom "wirtschaftlich gesunden Preis" - was irgendwie netter klingt.

"Ja, wir haben die Preise erhöht, und zwar 155-mal im vergangenen Jahr", räumt der Manager ein. Mit Ferienterminen habe das übrigens nichts zu tun, behauptet er. Bei so vielen Preisrunden gebe es immer mal wieder zufällige Übereinstimmungen. Dann zeigt Wiegand ein Diagramm, das den Preisverlauf von Super und Diesel im vergangenen Jahr abbildet: Trotz all der Erhöhungen sind die Kraftstoffe am Ende sogar billiger als am Jahresanfang.

Die Tankstellen-Pächter wollen niedrige Preise

Tankstellenpächter wie Heike Kierstein sorgen bei Aral dafür, dass die Preise nicht durch die Decke gehen. Und "Rosi". So heißt das Datensystem, das Aral-Zentrale und Tankstellen verbindet. Über Rosi erhalten alle Aral-Pächter von Wiegand die Vorgabe, ob und wann sie ihre Preise zu erhöhen haben. Über Rosi übermittelt Pächterin Kierstein aber auch die Spritpreise, die sie auf ihren Kontrollfahrten bei der Konkurrenz in der Umgebung notiert hat. Verbilligen ihre Mitbewerber, beantragt sie ebenfalls eine Preissenkung. Weil sie eine feste Provision pro verkauftem Liter erhält, ist sie an niedrigen Preisen interessiert. "Dann verkaufe ich mehr Kraftstoff, und mehr Leute kaufen bei mir im Tankshop ein."

Während Preiserhöhungen meist drei Cent betragen, erfolgt die Senkung in Ein- bis Zwei-Cent-Schritten. "Der Markt beobachtet sich ständig und ruckelt sich innerhalb weniger Stunden zurecht", sagt Wiegand. "Das ist der Grund, warum die Tankstellen-Preise häufig gleich sind. Mit Preisabsprachen hat das nichts zu tun." Auch dem Kartellamt ist es nicht gelungen, solche Übereinkommen nachzuweisen.

Die knapp 15.000 Stationen in Deutschland liefern einander einen scharfen Wettbewerb. Nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbands (MWV) nehmen daher die Tankstellenketten pro verkauftem Liter Super nur rund zehn Cent ein. "Davon bleiben uns als Gewinn gerade mal zwischen einem halben und einem Cent pro Liter", beteuert Wiegand.

Erdöl- und Mehrwertsteuer

Aus Sicht der Konzerne ist vor allem die Steuerlast der Grund für die hohen Preise. Bei einem Preis von 134 Cent pro Liter Benzin gehen zunächst 66 Cent an den Staat, unter anderem für die Erdölbevorratungsabgabe, Mineralölsteuer und Ökosteuer. "Auf all das schlägt der Fiskus noch 21 Cent für die Mehrwertsteuer auf", empört sich Karin Retzlaff vom MWV.

35,5 Milliarden Euro haben allein die Spritsteuern 2008 in die Bundeskasse gespült. Doch mit den Preisausschlägen der vergangenen Monate hat Vater Staat nichts zu tun, die Energiesteuern sind seit Jahren unverändert. Wird der Sprit teurer, kommt allenfalls durch die Mehrwertsteuer etwas mehr herein. Wer ist also dann verantwortlich, wenn Tanken immer teurer wird?

Vielleicht Reinhard Kroll, der Chef der Total-Raffinerie in Leuna. Rechnerisch fährt jedes zehnte Auto in Deutschland mit dem Super, Benzin oder Diesel, das Kroll in dem kilometerlangen Metall-Gedärm produzieren lässt. Neben der Marge für die Tankstellen und den Steuern für den Fiskus liefern Krolls Produkte das dritte Element, aus dem sich die Spritpreise zusammensetzen. Laut Mineralölwirtschaftsverband machte der Warenpreis, also das, was die Raffinerie den Tankstellenketten in Rechnung stellt, beim Benzin im Juni rund 36 Cent aus, im vergangenen Dezember aber nur 19 Cent. Dabei kostet die Raffinierung eines Liters Kraftstoff schon seit Jahren etwa drei Cent. Sind es also die Kraftstoffverarbeiter, die die Autofahrer schröpfen?

Auf die Preise habe er keinen Einfluss, behauptet Kroll: "Der Einkaufspreis für Rohöl, aber auch der Verkaufspreis für Benzin und Diesel wird letztlich von der Rotterdamer Ölbörse und dem Wettbewerb bestimmt."

Die Profitcenter

Tatsächlich unterwirft sich die Ölbranche den Kursen an Europas größtem Ölumschlagplatz - obwohl die großen Konzerne ihre eigenen Ölquellen und Raffinerien besitzen. Denn Unternehmen wie Total, BP (zu denen auch Aral gehört) und Exxon Mobil (Esso) haben jedes Glied ihrer Wertschöpfungskette längst in sogenannte Profitcenter aufgeteilt. Das heißt: Jeder Tochterbetrieb muss seine Produkte zum aktuellen Marktpreis weiterverkaufen - und der bildet sich für Europa in Rotterdam.

Am Ende freilich fließen die Gewinne der Töchter in die Kassen der jeweiligen Muttergesellschaft und in die Taschen ihrer Aktionäre: Allein Total erwirtschaftete 2008 knapp 14 Milliarden Euro Gewinn.

Die Konzerne kommen mit dem Börsenpreis gut zurecht, doch für die Verbraucher birgt er große Unsicherheit. Denn der Spritpreis ist nun gleich mehrfach den komplizierten Mechanismen der Börse unterworfen: Ölfirmen, aber auch Banken und Hedgefonds können nicht nur auf Rohöl, sondern auch noch auf die Endprodukte Benzin oder Heizöl spekulieren. Und einen Grund, um die Preise nach unten oder oben zu treiben, finden Händler fast immer. Rebellen greifen Ölbohrplattformen vor Nigeria an? Schon steigen die Kurse - selbst wenn die Ölvorräte in Rotterdam noch für Monate reichen würden. Ein Hurrikan hat amerikanische Raffinerien überflutet? Zeit, dass Benzin teurer wird.

Trotzdem gehe alles mit rechten Dingen zu, beteuert Mark Ware, Sprecher des Ölhandelsunternehmens Vitol. "Der Ölmarkt ist ein sehr ehrlicher Markt, denn er reflektiert die aktuelle und erwartete Nachfrage nach einem Produkt ebenso wie auch das tatsächliche Angebot." Vor allem aber ist es ein lohnender Markt: Im vergangenen Jahr hat Vitol mit dem Handel von Öl und Rohstoffen einen Umsatz von 191 Milliarden Dollar gemacht und gehört damit zu den größten Unternehmen in Europa.

Das Öl fährt zum besten Preis

Händler wie Vitol kaufen jedes Jahr Hunderte Millionen Tonnen Öl, die sie in Tankern quer über den Globus dahin schaffen, wo sich die besten Preise erzielen lassen. Bieten die Europäer gerade zu wenig, steuern die Schiffe eben andere Kontinente an.

Doch um den Spritpreis hochzutreiben, genügt mitunter ein einziger Mann an der entscheidenden Stelle: Ende Juni trieb Broker Steve Perkins von der Firma PVM Oil Futures den Ölpreis binnen wenigen Stunden um zwei Dollar pro Barrel nach oben. Der Weltwirtschaft entstand nach Berechnungen von Experten ein Schaden von 175 Millionen Dollar.

Öl ist inzwischen nicht nur die wichtigste Handelsware der Welt, sondern auch das beliebteste Spekulationsobjekt - mit realem Angebot und echter Nachfrage hat dieser Börsenhandel nichts mehr zu tun. So werden von der amerikanischen Leichtölsorte WTI täglich etwa 300.000 Fass produziert, an den Terminbörsen jedoch werden täglich Deals abgeschlossen, deren Wert etwa 300 Millionen Fässern entspricht.

Der Einfluss der Spekulanten

Wie groß ist der Einfluss, den Spekulanten auf den Ölpreis haben? Enorm groß, glaubt Friedrich Schneider, Energiewirtschaftsexperte an der Universität Linz: "Fast die Hälfte des derzeitigen Preisanstiegs beim Rohöl geht auf Spekulationen zurück." Mitten in der Krise gingen viele Händler davon aus, dass sich die Wirtschaft demnächst wieder erholt. Und eine brummende Wirtschaft braucht Öl. In Erwartung dessen kletterte der Ölpreis in diesem Jahr auf bis zu 70 Dollar pro Barrel und lag damit doppelt so hoch wie Ende 2008.

Finanziert werden die Spekulationen von Fonds, Banken und großen Versicherungen. Denn nach den vergangenen Krisenmonaten stehen sie unter dem Druck, wieder Renditen einzufahren. Und die können laut Schneider beim Öl leicht über 15 Prozent pro Jahr liegen; bei der Preisrallye vor einem Jahr seien es sogar über 100 Prozent gewesen. Das Problem ist bloß: Im hektischen Ölmarkt blähen sich winzige Konjunkturhoffnungen blitzschnell zu einer Spekulationsblase auf.

Die Gefahr der Spekulation liegt darin, dass teures Öl genau den Aufschwung der Konjunktur verhindert, auf den die Anleger wetten. Vom Öl hängt in Deutschland jeder ab - nicht nur Autofahrer, sondern auch Spediteure, Fabrikanten oder Mieter, selbst wenn sie mit Erdgas heizen. Denn die Gaspreise sind hierzulande an den Ölpreis gekoppelt. "Steigt der Spritpreis von 1,30 Euro auf 1,50 Euro, bedeutet allein schon diese Teuerung einen Kaufkraftverlust von etwa zehn Milliarden Euro", schätzt Schneider.

Profit vom schwarzen Gold

Ölscheichs, Händler, Raffineriebesitzer, Tankstellen-Manager, Spekulanten - sie alle profitieren vom schwarzen Gold. Und solange die Welt weiterhin Tag für Tag mehr als 13 Milliarden Liter Öl verbraucht, werden Menschen Wege finden, aus dieser Abhängigkeit Geld zu machen.

Pendlerin Adolphs ist gegen die Schwankungen auf den globalen Ölmärkten machtlos. Preis-Macher Wiegand allerdings kann sie die Stirn bieten. Falls er mal wieder versucht, drei Cent mehr zu nehmen - einfach vorbeifahren. Ein paar Kilometer weiter oder ein paar Stunden später kann der Sprit schon wieder billiger sein.

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