Die Sozialdemokraten haben sich zu einer Entscheidung pro Bürgerversicherung durchgerungen. Dass die Reform der Krankenkassenfinanzierung aber in dieser Legislaturperiode und nach dem jetzigen Stand der Dinge noch unter einer SPD-Regierung zustande kommt, ist eher unwahrscheinlich. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte dazu eindeutig: "Entscheidungen stehen in dieser Legislaturperiode nicht an."
Auch SPD-Chef Franz Müntefering sagte nach der zweitägigen Vorstandsklausur am Sonntag, er sei "sehr skeptisch", diese große Reform des Gesundheitswesens noch vor 2006 umsetzen zu können. Geschmälert sei die Qualität des Konzeptes aber auch nach einer Einführung in zwei Jahren aber nicht. Glaubt zumindest die Leiterin der SPD-Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung, Andrea Nahles. "Wir müssen doch realistisch bleiben", sagte sie am Montag im Deutschlandradio Berlin.
Hauptgrund für das Reform-Zögern ist aber die fehlende Mehrheit der Koalition im Bundesrat: "Wie wir wissen, haben wir Sozialdemokraten da keine Mehrheit", sagte Nahles. "Ich möchte nicht, dass wir hier - wie wir das auch beispielsweise bei Hartz erlebt haben - mit der CDU in Verhandlungen treten und die machen uns dann die Bürgerversicherung bis zur Unkenntlichkeit kaputt." Die SPD sei aber zu einer Beschleunigung der Entscheidung bereit, "wenn die CDU bereit ist, sich in ernster Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen".
Systemwechsel vor 2006 völlig illusorisch
Ob sie das ist, darf bezweifelt werden. Der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, hält einen Systemwechsel im Gesundheitssystem vor der nächsten Bundestagswahl 2006 für "völlig illusorisch". "Die SPD hat ja nun dokumentiert, dass sie nicht bereit ist, sich in dieser Frage zu bewegen", so Arentz am Montag. Die CDU will eine einkommensunabhängige Kopfpauschale für jeden Versicherten einführen.
Die SPD-Führung hat am Wochenende ohne Abstriche die Eckpunkte der Parteikommission gebilligt. Danach sollen auch Beamte und Selbstständige schrittweise in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen und Beiträge auch auf Kapitalerträge fällig werden.
Keine Rosinenpickerei der privaten Krankenkassen
Die privaten Krankenversicherungen sollen im Grundsatz erhalten werden, müssen aber ebenso wie die gesetzlichen Kassen den Bürgerversicherungstarif anbieten und für alle offen sein. Sie dürften "keine Rosinenpickerei" mehr betreiben, so Nahles. Ziel der Umwandlung des weiter solidarisch finanzierten Gesundheitswesens ist die Entlastung der Arbeitskosten.
Diese könnten nach Ansicht von Handwerkspräsident Dieter Philipp über die Bürgerversicherung nicht gesenkt werden. "Die Idee einer Bürgerversicherung ist gescheitert", sagte Philipp der Chemnitzer "Freien Presse". Womit die dringend benötigten Effekte für Wachstum und Beschäftigung weiter ausblieben. Als völlig kontraproduktiv wertete Philipp die vom SPD-Vorstand beschlossene Zurückstellung einer Neuregelung der Zahnersatzversicherung. Damit werde die erhoffte Senkung der Lohnzusatzkosten weiter hinausgeschoben.
Eichel sauer über die Pläne der eigenen Partei
Verärgert über die Pläne der eigenen Partei soll auch Finanzminister Eichel sein. Nach einem Bericht der "Berliner Zeitung" habe er kritisch zur Kenntnis genommen, dass auch über eine Steueranhebung zur Finanzierung der Bürgerversicherung debattiert werde. "Es ist in der derzeit noch labilen Konjunkturlage nicht angezeigt, eine Steuererhöhungsdiskussion zu führen", soll Eichel nach dem Bericht vor Mitarbeitern seines Ministeriums gesagt haben.
Auch beim grünen Koalitionspartner gab es skeptische Stimmen. Die Gesundheitsexpertin der Grünen, Birgitt Bender, sagte in einem Gespräch mit der "Financial Times Deutschland": "Wir können die SPD nur daran erinnern, die Beiträge zu den gesetzlichen Sozialversicherungen zu begrenzen und die Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber zu senken."