Barney Frank, Kongresspolitiker mit Hang zu großen Worten, ist wieder in Hochform. "Wir sollten Fannie Mae und Freddie Mac in ihrer jetzigen Form abschaffen und ein völlig neues System der Häuserfinanzierung aufbauen", tönt er. Nach einer kleinen Pause fährt er fort, diesmal deutlich leiser, ein Hauch von Resignation schwingt mit: "Ich kann nicht sagen, wann. Und ich habe keine Ahnung, wie das neue System aussehen wird. Niemand weiß das, glaube ich. Wir wissen nur, dass wir etwas Neues brauchen."
Washington, exakt 17 Monate nach der Verstaatlichung der beiden Häusergiganten. Fannie Mae und Freddie Mac verschlingen weiterhin Milliarden Dollar, die beiden Immobilienfinanzierer, die maßgeblich zur Finanzkrise beigetragen haben und die Wall Street ins Wanken brachten.
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... der "Financial Times Deutschland"
Jahrelang trieben sie künstlich die Häuserpreise in die Höhe, verschuldeten sich in aller Welt, bis schließlich das Konstrukt wie ein Kartenhaus in sich zusammenkrachte. Ihr Hauptgeschäft, Hypotheken zu kaufen und gebündelt weiterzugeben, war kläglich gescheitert. Aber die beiden Häuser gelten als systemrelevant, der Staat eilte mit seinem Scheckbuch zu Hilfe. "Ohne ihre Rettung wäre das Finanzsystem kollabiert", sagt Mark Calabria, Finanzexperte beim Cato Institute.
Zwangsversteigerungsrekord in 2010
Und jetzt? Milliarden Dollar später geht es einfach weiter, als sei nichts gewesen. Ihre Marktanteile auf dem Häusermarkt bauen Freddie und Fannie konsequent aus. Sie machen genau das, was ins Desaster geführt hat. Ein Ende ist nicht in Sicht. Auch Barack Obama wagt sich nicht an die tickenden Zeitbomben. Den Investmentbanken hat der US-Präsident den Kampf angesagt, will den Eigenhandel einschränken, die Zockerei mit Derivaten unter Kontrolle bringen. Doch Fannie und Freddie lässt er gewähren, es gibt nicht einmal einen Reformvorschlag. Und so warnen Experten bereits vor der nächsten Blase.
Der amerikanische Häusermarkt ist in einem jämmerlichen Zustand. Seit der Krise stehen ganze Stadtviertel leer, und dieses Jahr wird es noch schlimmer: Die Statistiker von Realtytrac sagen den USA für 2010 drei Millionen abgeschlossene Zwangsversteigerungen voraus - absoluter Rekord.
Fannie und Freddie retten auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Regulierer, was noch zu retten scheint. Sie wandeln Kauf- in Mietverhältnisse um, senken eifrig die Zinsen von Hypotheken, verlängern die Laufzeiten. "Sie waren immer schon kreativ, Ramschhypotheken zu ermöglichen - das hat Fannie und Freddie in Not gebracht", sagt Alex Pollock vom American Enterprise Institute. "Und jetzt praktizieren sie das mehr denn je zuvor."
Die unendliche Geschichte
Ende September 2009 stellten Fannie und Freddie über die Ausgabe hypothekenbasierter Wertpapiere (MBS) zusammen 70 Prozent der Liquidität des US-Häusermarkts. Zum Vergleich: In den Boomjahren 2004 bis 2007 lag die Quote nur zwischen 40 und 60 Prozent. Auf dem Erstmarkt sieht es kaum anders aus: Fannie Mae hielt im September 34 Prozent aller ausstehenden Kredite für Einfamilienhäuser, Freddie Mac 23 Prozent. Sämtliche Banken kamen zusammen nur auf 16 Prozent.
Das zeigt, wie zögerlich die privaten Institute im Geschäft mit zweifelhaften Hypotheken geworden sind. Doch Fannie und Freddie schlagen auch dann zu, wenn die letzte Bank abgewunken hat. Das Ganze hat seinen Preis: Bis jetzt hat der Staat 112 Milliarden Dollar in die beiden Institute gepumpt. Das aber ist nur ein Zwischenstand - die Rettung wird immer mehr zur unendlichen Geschichte. Niemand weiß, wie viele Milliarden der Staat den beiden Unternehmen noch zuschießen muss.
Bei ihrer Verstaatlichung im September 2008 versprach der damalige Finanzminister Henry Paulson Staatshilfen von bis zu 200 Milliarden Dollar. Sein Nachfolger Timothy Geithner verdoppelte die Summe kurzerhand auf 400 Milliarden Dollar. Am 24. Dezember 2009 gab sein Ministerium dann eine Mitteilung heraus, die wohl nur wegen des klug gewählten Zeitpunkts kaum Empörung auslöste: Die Obergrenze wurde abgeschafft.
Gläubiger auf der ganzen Welt
Fannie und Freddie erhalten vom Finanzminister Steuergeld in beliebiger Höhe, ohne dass dieser den Kongress um Erlaubnis bitten muss. "Sie haben sich an Heiligabend selbst einen Blankoscheck ausgestellt", sagt Pollock. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das legal ist."
Die Dimensionen, um die es geht, sind gewaltig. Fannie und Freddie garantieren Hypotheken von mehr als 5000 Milliarden Dollar, das entspricht etwa dem Doppelten des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Zu den größten Anteilseignern gehören China, Japan, Luxemburg und Belgien. Die Gläubiger sind indes auf der ganzen Welt verteilt: Freddie Mac hatte sich zum Zeitpunkt der Verstaatlichung nach eigenen Angaben Geld bei 66 Zentralbanken geliehen.
Die nimmersatten Riesen drohen zum internationalen Politikum zu werden. Erste Verschwörungstheorien kursieren bereits und zeichnen ein Bild davon, wie ausländische Mächte aus der Krise Profit schlagen wollen. Kein Geringerer als Hank Paulson beschuldigt Russland in seinem vor wenigen Tagen erschienenen Buch eines Komplottversuchs. Moskau sei bei der chinesischen Regierung "auf höchster Ebene" mit einer erpresserischen Idee vorstellig geworden, schreibt Paulson: "Zusammen sollten sie große Teile ihrer Anteile verkaufen, um die USA zu zwingen, Notrecht anzuwenden, um die Unternehmen zu stützen." Die Chinesen hätten letztlich abgelehnt. Regierungssprecher in Moskau und Peking wiesen den schweren Vorwurf in entrüstetem Tonfall zurück.
Staatliche Unterstützung von einer Billion Dollar
Finanzexperten sind unterdessen vorwiegend damit beschäftigt, die Höhe des Schadens zu beziffern. Es dürften Hunderte Milliarden werden, schätzt Pollock vom American Enterprise Institute. Sean Egan, Gründer der Ratingagentur Egan-Jones, legt eine noch drastischere Prognose vor. Seine Agentur rechnet auf dem US-Hypothekenmarkt mit einem Anstieg der Ausfallrate auf bis zu 20 Prozent. "Die staatliche Unterstützung für Fannie und Freddie müsste dann im Bereich von einer Billion Dollar liegen", sagt Egan. Zunächst würde selbst das den hoch verschuldeten Staatshaushalt nicht unmittelbar belasten: Fannie und Freddie werden trotz Verstaatlichung nicht im offiziellen Etat geführt. Im Wall-Street-Jargon gesprochen: Das Risiko wurde aus der Bilanzsumme ausgelagert.
Doch irgendwo muss das Geld herkommen - notfalls durch weitere Verschuldung in Fernost. "Die Stützung von Fannie und Freddie ist ein außenpolitischer Drahtseilakt", sagt Calabria vom Cato Institute.
Längst sind die Aktien der beiden Unternehmen zu Ramschpapieren verkommen. Nach der Verstaatlichung stürzten sie in den Centbereich ab. Seitdem locken sie Zocker an, wie heftige Kursschwankungen belegen.
"Es ist einfach kompliziert, das in Ordnung zu bringen."
Finanzminister Geithner hält den Zustand für untragbar. "Wir fühlen uns verpflichtet, eine detaillierte Reform vorzuschlagen", verkündete er Mitte Januar. Es ist nicht das erste Versprechen dieser Art. Dann schob Geithner hinterher: "Es ist einfach kompliziert, das in Ordnung zu bringen." Das räumen selbst die Kritiker ein. Die USA sind in einem Dilemma: Eine Schocktherapie ist nicht möglich, ohne große Verwerfungen auf dem Häusermarkt - nur langfristig lässt sich das Unvermeidliche tun: die Zerschlagung, die Privatisierung, eine Bad Bank für die Altlasten.
Bei anderen US-Unternehmen, die ihre Staatshilfen bis heute nicht vollständig zurückgezahlt haben, liegen die Dinge anders. Die Citigroup etwa wird von ihren Regulierern genötigt, sich über Anteilsverkäufe zu verschlanken. Der Versicherer AIG kann schon aus strukturellen Gründen beim Handel mit Kreditausfallversicherungen (CDS) keine so fatale Rolle mehr spielen wie vor der Krise: Der Markt ist deutlich geschrumpft.
Nur bei Fannie und Freddie ist alles beim Alten. "Mit staatlicher Unterstützung sorgen sie für einen trügerischen Preisanstieg auf dem Häusermarkt", sagt Egan. Vorerst beschränken sich die Verantwortlichen darauf, Fannie und Freddie das Vordringen in weitere Geschäftsbereiche zu verbieten - als gingen sie davon aus, dass dann unweigerlich neues Unheil entstehen würde. Die Federal Housing Finance Agency (FHFA) versicherte dem Kongress Anfang Februar schriftlich, dass sie keine neuen Kreditprodukte auf den Markt bringen dürfen, solange sie unter Staatskontrolle stehen.
Boni in Wall-Street-Dimensionen
Eines lässt sich jedoch nicht verbieten: Boni in Wall-Street-Dimensionen. Die Regulierer haben den Führungskräften beider Institute für 2009 Vergütungen von bis zu 6 Millionen Dollar genehmigt - natürlich in bar, weil eine Ausschüttung in Aktien bei einem Kurs im Centbereich nicht infrage kommt. Prompt bekam Geithner einen Brandbrief von Jeb Hensarling, einem Republikaner aus Texas. "Es ist unverschämt, Millionenboni auf Kosten der Steuerzahler zu verteilen", heißt es in dem Schreiben, das von 70 Oppositionspolitikern unterschrieben ist.
Fannie und Freddie werden zu einem weiteren Problem für Geithner, der an vielen Fronten gegen seinen Ansehensverlust ankämpfen muss. Ein populistisches Bonusverbot könnte jedoch fatale Folgen haben. "Die Moral in den beiden Unternehmen ist schrecklich", sagt Ökonom Pollock. "Es ist nach der ganzen Kritik kein guter Platz zum Arbeiten, die Talente suchen das Weite." Der nach der Verstaatlichung eingesetzte Freddie-Chef David Moffett gab schon nach einem halben Jahr auf. Es hieß, er sei unglücklich über den Mangel an Freiheiten gewesen. Wenige Wochen später ließ sich sein Amtskollege bei Fannie, Herbert Allison, ins Finanzministerium versetzen.
Sein Nachfolger steht nicht gerade für einen Neuanfang: Michael Williams arbeitet bereits seit 1991 bei dem Unternehmen. Nun setzt er die Politik fort, an der er seit fast zwei Jahrzehnten beteiligt ist. Beobachter wie Calabria sind entsetzt. "Die Häuserpreise werden schon wieder künstlich nach oben getrieben", sagt der Ökonom. "Wir sind auf dem Weg zur nächsten Immobilienblase. Vielleicht noch nicht in zwei oder drei Jahren. Aber spätestens in zehn."