Gestrandete Reisende Flugchaos überfordert die Bahn

Von Leo Klimm
Die Bahn ist stolz, weit mehr Passagiere zu haben als die Fluglinien. Doch als deren Kunden nun in Massen auf den Zug umsteigen, stößt der Konzern an Grenzen. Ein Unglück vermasselte ihm das Wochenende vollständig.

Immer wenn Bahn-Chef Rüdiger Grube demonstrieren will, wie viel leistungsfähiger sein Konzern gegenüber dem Flugverkehr ist, bringt er einen Vergleich: "Wir bewegen an nur zwei Tagen so viele Menschen wie die Lufthansa in Deutschland im ganzen Jahr", sagt er dann. Schließlich befördert die Bahn täglich sieben Millionen Menschen. Grube liebt diesen Vergleich. Die Bahn kommt - ist aber überfüllt: Fahrgäste warten am Hamburger Hauptbahnhof vor einem Zug. Tatsächlich meistert es sein Unternehmen recht souverän, wenn - wie zuletzt wegen des Pilotenstreiks im Februar - ein paar Zehntausend Lufthansa-Kunden auf Fernzüge umsteigen. Die Folgen des Vulkanausbruchs in Island - der tagelange Zusammenbruch des gesamten Luftverkehrs in fast ganz Europa - führt die Bahn dann allerdings doch an ihre Grenzen.

Dieser Artikel wurde übernommen...

... aus der aktuellen Ausgabe der "Financial Times Deutschland"

Ein Unglück kommt selten allein

Der Ansturm von Kunden aller Fluglinien, Pauschaltouristen und Transitreisenden sorgt für brechend volle ICEs, Verspätungen und den Ausfall ganzer Züge. An Bahnhofsschaltern bilden sich lange Schlangen, Bahn-Mitarbeiter sind überfordert und erschöpft. Für Geschäftsreisende, die aus anderen Erdteilen heimkehren und wegen der Sperrung der Flughäfen über Südeuropa auf dem Landweg nach Deutschland zurückkehren, oder für jene, die in übervollen Zügen zu wichtigen Terminen müssen, gleicht die Reise mehr einem Interrail-Abenteuer aus Jugendzeiten.

Als sei das alles nicht genug, wurde die Bahn am Wochenende auch noch von Unglücken heimgesucht. Sie machen jede Hoffnung zunichte, der Konzern könne das Flugchaos zur Eigenwerbung nutzen: Freitagnacht beschädigte ein Brand an der Hamburger Elbbrücke die Schienenelektrik so stark, dass der Nord-Süd-Verkehr das ganze Wochenende stark behindert war.Schlimmer noch ist, was am Samstagvormittag auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Köln nach Frankfurt passierte: An einem ICE-3 löste sich bei voller Fahrt eine Tür. Das massive Stahlteil prallte auf einen entgegenkommenden ICE - und verletzte dort sechs Fahrgäste. Die Oberleitung wurde beschädigt, die Strecke blieb stundenlang gesperrt. Warum sich die Tür geöffnet hat, will das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) in den nächsten Tagen klären. "Die Frage ist, ob es sich um einen Einzelfall handelt oder um einen serienmäßigen Fehler", sagt ein EBA-Sprecher. Solange die Behörde keine entsprechenden Anweisungen erlässt, sieht die Bahn jedenfalls keinen Anlass für Extratests an ICE-Türen.

Ständig fehlen zwölf Züge

Ohnehin tragen scharfe Auflagen des EBA zu dem Ausnahmezustand bei, den der Eyjafjallajökull-Vulkan auch der Bahn beschert hat: In der ICE-Flotte fehlen ständig rund zwölf Züge, seit das Amt 2008 nach Brüchen und Rissbildungen an Achsen verlangt, die ICEs zehnmal häufiger zu warten. Für den ICE-Typ T hat das EBA jüngst sogar eine weitere Verkürzung der Prüfintervalle verfügt. Dass die Behörde dem Beispiel der Deutschen Flugsicherung folgen und angesichts der aktuellen Sonderbelastung des Verkehrssystems die Auflagen lockern könnte, ist ausgeschlossen. "Es kommt nicht infrage, Sicherheitsvorschriften zu relativieren", sagt der EBA-Sprecher.

Also mobilisiert die Bahn - die teils schon Schwierigkeiten hat, den Normalbetrieb zu bewältigen - die letzten Reserven: "Alles, was rollen kann, rollt", sagt ein Sprecher. Ungeachtet der teilweisen Öffnung des Luftraums am Sonntagnachmittag stellt sich der Konzern darauf ein, dass die Ausnahmesituation zum Dauerzustand wird. Einzelne Zuggarnituren werden von weniger befahrenen Strecken abgezogen und dafür auf stark beanspruchten Strecken eingesetzt, vor allem nach Frankfurt, aber auch Richtung Frankreich und Österreich. Transitreisende aus Skandinavien werden in Bussen abgeholt.

Schon der harte Winter hat der Bahn Probleme wie die aktuellen beschert. Dennoch lehnt Konzernchef Grube es ab, die Zugflotte aufzustocken, um besser auf Engpässe reagieren zu können: "Eine stabile Verfügbarkeit der Züge zu gewährleisten ist sinnvoller als ein unwirtschaftlicher Ausbau der Flottenreserve", so Grube. Für alle, die dieser Tage überfüllte Züge meiden wollen, hat die Bahn aber einen Tipp parat: Sie sollen ihre Reise lieber verschieben.

FTD