Infineon Vom Überflieger zur Bleiente

Drastisch gestiegene Verluste verschärfen die Krise beim skandalgebeutelten Chipkonzern Infineon. Im abgelaufenen Quartal verdoppelten sie sich auf 234 Millionen Euro - aber die Schmiergeld-Affäre soll nicht geschadet haben.

Der Halbleiterkonzern Infineon ist im dritten Quartal noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht und rechnet nun auch für das Gesamtjahr mit einem Verlust. Der Preisverfall bei Computerspeichern, Sicherheits- und Chipkarten, sinkende Nachfrage nach Handy-Bauteilen und die Kosten der geplanten Werksschließung in München-Perlach hätten die Fortschritte in anderen Bereichen aufgefressen, erklärte Vorstandschef Wolfgang Ziebart am Dienstag. Die Schmiergeldaffäre dagegen habe "auf das operative Geschäft keinerlei Einfluss".

Interner Kandidat für den Vorstand bevorzugt

Ein Nachfolger für den unter Korruptionsverdacht zurückgetretenen Vorstand Andreas von Zitzewitz soll vor Jahresende gefunden sein. "Wir bevorzugen einen internen Kandidaten", sagte Ziebart. Infineon habe die Wirtschaftsprüfer Ernest & Young beauftragt, das Kontrollsystem des Konzerns zu prüfen und auch den Bau der neuen Konzernzentrale unter die Lupe zu nehmen.

Der Verlust im dritten Quartal verdoppelte sich im Vergleich zum Vorquartal auf 234 Millionen Euro vor Zinsen und Steuern, der Umsatz stagnierte. Als Hauptursache nannte Ziebart den Preiseinbruch um 30 Prozent bei Computerspeichern. Handy-Hersteller kauften weniger Breitband-Bauteile. Der Nachfragerückgang und "sehr starke Preisdruck" bei Sicherheits- und Chipkarten sowie die Schließung des Werks Perlach und der parallele Aufbau des Werks in Malaysia rissen weitere große Löcher ins Ergebnis.

Dabei gehörte das Unternehmen bei seinem Börsengang noch zu den ganz großen Hoffnungen des Neuen Marktes. Doch der Niedergang des Speichermarktes ist nur ein Baustein im Krisenmosaik von Infineon:

1999

Die Infineon Technologies AG entsteht durch Ausgliederung des Halbleitergeschäfts aus der Siemens AG in München.

März 2000

Das deutsche Hochtechnologieunternehmen, das Halbleitertechnologie für den Automobil-, Industrie- und Endkundenbereich, sowie PC- und Mac-Speicherbausteine anbietet, fährt einen Milliardengewinn ein. Zum Börsenstart fährt Konzernchef Ulrich Schumacher im Rennwagen vor. Der Ausgabepreis der Infineon-Aktie liegt bei 35 Euro. Millionen Kleinanleger wollen Infineon-Aktien, jeder sechste bekommt welche. Der Kurs zieht sprunghaft auf 70 Euro an.

Herbst 2000

Die Spekulationsblase am Neuen Markt platzt. Der Halbleiter-Absatz beginnt zu schrumpfen. Auch der Infineon-Kurs gibt nach.

2001

Der Siemens-Konzern senkt seinen Aktien-Anteil bei an Infineon unter 50 Prozent.

2001-2002

Infineon erlebt die Krise des Neuen Marktes hautnah. Als die Mobilfunk- und Computer-Hersteller ihre Bestellungen herunterfahren und die Preise für Speicherchips verfallen, beginnen die Probleme von Infineon. Das Unternehmen muss für das Jahr 2000/2001 einen Verlust von fast 600 Millionen Euro eingestehen. Mit dem Schlagwort "Impact" leitet Schumacher die ersten Sparmaßnahmen ein. Infineon entlässt über fünftausend Mitarbeiter und verlagert Geschäftsbereiche ins Ausland.

Juni 2002

Das US-Justizministerium leitet Untersuchungen über illegale Preisabsprachen zwischen Infineon und andere RAM-Herstellern wie Samsung und Hynix ein. Infineon bekennt sich gegenüber der US-Justiz des Tatbestandes von Preisabsprachen schuldig und wird zu Entschädigungszahlungen von 160 Millionen US-Dollar an geschädigte Computerhersteller wie Dell, IBM und Apple verurteilt.

Oktober 2002

Die Infineon-Aktie kostet noch ca. fünf Euro.

März 2004

Infineon-Chef Ulrich Schumacher tritt überraschend zurück. Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley übernimmt den Interims-Vorsitz des Halbleiterkonzerns.

Mai 2004

Wolfgang Ziebart wird als Nachfolger von Ulrich Schumacher präsentiert. Der anerkannte Elektroniker soll vor allem das schnellebige Chip-Geschäft von Infineon aufpolieren. Das jahrelang verlustreiche Unternehmen soll Ziebart nachhaltig in die Gewinnzone führen, vor allem aber nach innen befrieden September 2004 – Mit über 35000 Mitarbeitern weltweit und einem Umsatz von ca. 7,2 Milliarden Euro gehört Infineon nach wie vor zu den Branchenriesen in der Elektroniksparte.

Dezember 2004

Vier leitende Infineon-Angestellte treten wegen der illegalen Preisabsprachen Gefängnisstrafen zwischen vier und sechs Monaten an. Infineon muss Geldstrafen von 160 Millionen US-Dollar bezahlen.

Juni 2005

Der Siemens-Konzern trennt sich von seinem verlustreichen Mobiltelefongeschäft mit 10.000 Beschäftigten. Der taiwanesische BenQ-Konzern übernimmt die Sparte komplett. Siemens war bisher ein stabiler Abnehmer der Handy-Speicherchips von Infineon. Presseberichte spekulieren, dass Infineon angeblich plant, den Geschäftsbereich Speicherbauelemente als börsennotiertes Unternehmen auszugliedern oder zu verkaufen.

16. Juli 2005

Die Münchner Staatsanwaltschaft bestätigt Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit, Steuerhinterziehung und Untreue gegen die Infineon-Manager Andreas von Zitzewitz, Harald Eggers und Udo Schneider. Die Polizei führt eine Großrazzia im Konzern durch. Der Vorstand der Speicherchip-Sparte, Andreas von Zitzewitz, erklärt mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt. Der Staatsanwaltschaft zufolge sollen von Zitzewitz und der ehemalige Infineon-Manager Eggers mehrere hunderttausend Euro Schmiergelder für die Vergabe von Sponsoring-Verträgen von der Schweizer Beratungsfirma BF Consulting erhalten haben. BF Consulting hatte das Motorsport-Sponsoring von Infineon organisiert und befindet sich auch im Visier der Staatsanwaltschaft.

18. Juli 2005

Der Aufsichtsratsvorsitzende Max Dietrich Kley wird von Infineon-Kennern und IG Metall-Vertetern der Mitwisserschaft über die Schmiergeldzahlungen verdächtigt.

20. Juli 2005

Kley bestreit die Verwicklungsvorwürfe und lehnt einen Rücktritt ab. "Dafür gibt es überhaupt keinen Grund", sagt Kley der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die früh bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den inzwischen zurückgetretenen Vorstand Andreas von Zitzewitz seien intensiv geprüft worden - ohne Ergebnis. Zeitgleich bestreitet Ex-Infineon-Chef Ulrich Schumacher eine Verwicklung in die Affäre um unerlaubte Zahlungen an von Zitzewitz. Schumacher kündigte in einem von mehreren Zeitungen zitierten Brief rechtliche Schritte gegen Kley an, wenn dieser weiter den Eindruck erwecke, er, Schumacher, sei in die Schmiergeldaffäre involviert.

24. Juli 2005

Neue Überlegungen über eine Ausgliederung der von Zitzewitz geleiteten unrentable Speicherchip-Sparte rücken wieder in den Fokus. Mit dem Verkauf des defizitären Handygeschäfts des Infineon-Großkunden Siemens an den taiwanischen Hersteller BenQ ist auch der Absatz von Handy-Chips in Gefahr.

26. Juli 2005

Die Staatsanwaltschaft München teilt mit, dass sich der Verdacht von Schmiergeldzahlungen an von Zitzewitz bestätigt habe. Der Aufsichtsratschef des Chipherstellers Infineon, Max Dietrich Kley, lehnt einen Rücktritt ab. Er wird in Zusammenhang mit den Zahlungen der Schweizer Beraterfirma an von Zitzewitz gebracht.

Nils Schmidt (mit Agenturmaterial)