INSOLVENZ Anwalt verklagt Deutsche Börse

Anwalt verklagt nach Gigabell-Pleite erstmals die Deutsche Börse wegen »eklatanter Pflichtverletzung«, Experten halten nun eine Kettenreaktion für möglich.

Die erste Pleite am Neuen Markt hat ein außergewöhnliches Nachspiel: Der Tübinger Anwalt Heinz Steinhübel will nach dem spektakulären Niedergang des Internet-Dienstleisters Gigabell die Deutsche Börse auf Schadenersatz für die Aktionäre verklagen - wegen »eklatanter Pflichtverletzung« bei der Zulassung des Unternehmens, wie er erläutert. Damit sorgt der Jurist für ein Novum, denn erstmals soll die Börse für eine Unternehmenspleite am Neuen Markt haftbar gemacht werden.

Klare Pflichtverletzung

Im Auftrag des Bundes der Kapitalanleger (bdka) hat der Experte für Börsenrecht geprüft, ob im Falle von Gigabell Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können - mit eindeutigem Ergebnis: »Die Börse hat klar ihre Pflichten verletzt, als sie Gigabell am Neuen Markt zuließ«, argumentiert Steinhübel. Das Unternehmen verfügte nämlich über keine ordnungsgemäße Buchhaltung, wie dies auch der Insolvenzverwalter festgestellen musste. »In diesem Sinne war auch der Börsenprospekt unvollständig, und das hätte die Börse sehen müssen«, betont der Jurist.

Insolvenz nach 13 Monaten

Gigabell hatte im vergangenen Herbst Insolvenz angemeldet, 13 Monate nach einem furiosen Börsenstart. Das Unternehmen des Ex-Schlagersängers Daniel David brachte es zeitweise auf ein Rekordkurs von 131 Euro am Neuen Markt. Im Februar dieses Jahres, wurde Gigabell wegen eines nicht vorgelegten Quartalsberichts vom Kurszettel des Neuen Marktes verbannt.

Bei der Zulassung versagt

»Die Gigabell-Pleite bietet optimale Voraussetzungen für eine Klage«, sagt der bdka-Vorsitzende Medard Fuchsgruber. »Denn hier hat die Börse den Verbraucherschutz völlig vernachlässigt«. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) sieht das ähnlich. »Gigabell war extrem problematisch«, sagt Vorstand Markus Straub. Und es ist sehr hilfreich, wenn die Rechte und Pflichten der Börse vor Gericht endlich unter die Lupe genommen werden, denn: »Die Börse hat bei der Zulassung mehrfach versagt, und es sind Unternehmen aufgenommen worden, die alles andere als börsentauglich waren«.

Kein Kommentar von der Börse

Derzeit bemüht sich Steinhübel um eine außergerichtliche Einigung - mit geringen Chancen, wie er einräumt. Bei der Deutschen Börse in Frankfurt am Main hält man sich bedeckt. »Kein Kommentar«, heißt es dort. Über die Chancen der Klage möchte derzeit niemand spekulieren, doch besonders groß scheinen sie nicht zu sein. »Der gesetzliche Anlegerschutz ist ziemlich lückenhaft, Kläger haben es da sehr schwer«, sagt Petra Krüll, Sprecherin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Und SdK-Vorstand Straub bedauert, dass noch immer »relativ risikolos gelogen und betrogen werden« kann. Sollte im Fall Gigabell die Klage jedoch Erfolg haben, hält Straub eine Kettenreaktion für möglich, da es andere vergleichbare Fälle gibt.

Bisher 15 Geschädigte klagebereit

Steinhübel, der inzwischen 15 klagebereite Gigabell-Geschädigte gefunden hat und spätestens im Oktober vor das Frankfurter Landgericht ziehen will, hat bereits eine Rechnung für den Schadenersatz aufgemacht. »Es gilt die Differenz zwischen dem Kaufpreis der Aktie und deren Wert zum Zeitpunkt des Verkaufs«. Wie viele geschädigte Anleger es gibt und wie hoch deren Verlust ist, kann er derzeit nicht sagen, schließlich waren 1,2 Millionen Aktien im Streubesitz. Nur eines ist gewiss: 1999 betrug der Emissionspreis 38 Euro, am letzten Handelstag im Februar waren daraus 0,25 Euro geworden.

Manfred Rolfsmeier