Der Protest der Bauern gegen niedrige Milchpreise spitzt sich zu: Am Montag blockierten Hunderte Landwirte zahlreiche Großmolkereien. Sie verhinderten sowohl die Anlieferung der Milch, als auch die Auslieferung der fertigen Produkte. Nach Einschätzung des Milchindustrieverbandes (MIV) wurde weniger als die Hälfte der sonst üblichen Menge geliefert.
Aus diesem Grund stellt sich die Industrie mittlerweile auf drastische Maßnahmen ein. "Wir sind gerade dabei, Kurzarbeit zu organisieren", sagte der Chef des MIV, Eberhard Hetzner. Nach Angaben des Verbandes werden immer mehr Molkereien von der Versorgung abgeschnitten. Vor allem in Süddeutschland beteiligten sich zahlreiche Bauern an den Protesten.
Mancherorts schritt die Polizei ein, um Straßensperren vor den Molkereien zu räumen. In Rehburg-Loccum räumten Polizisten eine Zufahrtsstrasse zu einer Molkerei der Firma Frischli. Auch am Firmensitz der Großmolkerei Müller-Milch in Aretsried sorgte die Polizei für freie Zufahrtswege.
Der Milchviehhalter-Verband zeigt sich jedoch kämpferisch. "Unsere Bauern sind nicht bereit, auch nur einen Millimeter zurückzuweichen", sagte Verbandschef Romuald Schaber.
Die Blockaden behinderten die Milchlieferung beim überwiegenden Teil der großen Molkereien. Die Menge sei im Vergleich zum Wochenende weiter zurückgegangen, sagte Hauptgeschäftsführer Hetzner. Einige Molkereien wurden ihm zufolge komplett von der Milchlieferung abgeschlossen, in einigen Regionen sei nur 20 Prozent der sonst üblichen Milch geliefert worden.
Die Milch-Union Hocheifel (MUH) in Rheinland-Pfalz bereitet sich nach eigenen Angaben sogar auf die Einstellung der Produktion vor. "Unsere Rohstoffe gehen zu Ende. Wenn die Blockade nicht endet, müssen wir die Produktion am Nachmittag beenden", sagte MUH-Sprecher Wolfgang Rommel.
Frisch gemolken in den Abfluss
Viele betroffene Molkereien befürchten zudem, dass tausende Tonnen Milch in den Tanklastern verderben, weil sie nicht weiterverarbeitet werden können. Durch die Totalblockade nahezu aller Werke habe der Lieferstopp neue Dimensionen erreicht, teilte Branchenführer Nordmilch aus Bremen mit. Auch lieferwillige Bauern könnten ihre vollen Tanks nicht leeren und seien gezwungen, gigantische Mengen frisch gemolkener Milch direkt in den Abfluss zu leiten. Nach Angaben des Unternehmens betrifft dies bis zu 12.500 Tonnen am Tag.
Die OECD kritisierte die Vernichtung der Milch scharf: Statt "Krokodilstränen" zu vergießen sollten sich die Bauern freuen, höhere Preise als noch vor zwei Jahren zu erzielen, sagte der OECD-Direktor für Handel und Landwirtschaft, Stefan Tangermann.
Über die Auswirkungen der Protest-Aktionen auf die Verbraucher gibt es jedoch nach wie vor widersprüchliche Angaben. Nach Aussage des Milchviehhalterverbandes versucht die Industrie, die deutschen Lieferstopps mit Importen aus europäischen Nachbarländern zu umgehen. Weil dort aber ebenfalls die Bauern streikten, seien einige Märkte in der EU bereits jetzt leer gefegt.
Handel sieht keine Engpässe
Davon will der MIV jedoch nichts wissen: Mit Ausnahme Tschechiens werde keine Milch aus Osteuropa importiert, um den deutschen Boykott zu unterlaufen, so Hetzner. Aus Westeuropa käme höchstens aus dem französischen Grenzgebiet Milch nach Deutschland.
Eine Angst vor flächendeckenden Lieferproblemen hält auch Edeka für unbegründet. Die Metro-Gruppe, zu der die Lebensmittelabteilungen bei Kaufhof und der Discounter Real gehören, sieht nach eigener Aussage bislang ebenfalls keine Engpässe. "Und wenn das Angebot knapp werden würde, ist der Handel so flexibel, dass er sich anderweitig im Ausland orientiert", sagte ein Sprecher.
Spitzenvertreter des Lebensmittelhandels und der Bauern wollten am Montag bei einem ersten Treffen in Köln einen Ausweg aus der Kriese finden. Nach rund anderthalb Stunden verließen die beteiligten Parteien ein Kölner Hotel, ohne sich zu einem möglichen Ergebnis zu äußern. Lediglich der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Milchviehalter, Romuald Schaber, sagte: "Es war ein konstruktives Gespräch." Weitere Fragen ließ er unbeantwortet.
In der Nacht zu Montag hatten sich Molkereien und Bauern geeinigt, mit dem Handel über höhere Milchpreise für die Bauern zu verhandeln. "Da hat ein Schulterschluss zwischen Milchbauern und Molkereien stattgefunden", behauptete Bauernverbandssprecher Michael Lohse.
Der Milchboykott beschäftigt inzwischen auch den Bundestag. Die FDP-Fraktion beantragte eine Aktuelle Stunde zu dem Thema. Die Bundesregierung betreibe eine Symbolpolitik, die den Landwirten nicht helfe, ihre Einkommenssituation zu verbessern und höhere Preise durchzusetzen.