Nach 17-stündigen Verhandlungen beschlossen die Agrarminister am Donnerstag in Luxemburg eine weitreiche Reform der milliardenschweren Beihilfen für die Landwirte. Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) wertete den Beschluss als großen Erfolg. EU-Agrarkommissar Franz Fischler, der Vater der Reform, sprach vom "Beginn einer neuen Ära". Die Reform soll in den kommenden zehn Jahren Bestand haben. Bauernverbände kritisierten die zahlreichen Ausnahmen und befürchten Wettbewerbsverzerrungen. Die Reform wurde gegen die Stimme Portugals beschlossen. Die Agrarausgaben machen fast die Hälfte des EU-Haushalts aus. Allein die Produktionsbeihilfen belaufen sich in diesem Jahr auf etwa 41 Milliarden Euro.
Handelsfreundliche Politik
Fischler hob hervor, dass die Reform stabile Einkommen für die Landwirte sowie einen echten Gewinn für Verbraucher und Steuerzahler bedeute. "Europa hat sich heute eine neue und effiziente Landwirtschaftspolitik gegeben", sagte er. "Diese Reform ist zudem eine starke Botschaft an die Welt. Unsere neue Politik ist handelsfreundlich." Die EU muss in der laufenden Welthandelsrunde mindestens die Hälfte ihrer direkten Beihilfen aufgeben.
Nachhaltige Landwirtschaft belohnen
Auch Künast wertete den Beschluss als großen Erfolg für die Landwirte und die Steuerzahler. "Damit sind wir aus dem alten Agrarsystem ausgebrochen", sagte sie. Deutschland kann nun gezielt Besitzer von Wiesen und Weiden mit einer Prämie fördern, um auch so die nachhaltige Landwirtschaft zu stärken. Sie zeigte sich zufrieden, dass die Kernelemente der Reform erhalten geblieben seien. Die Agrarwende für Deutschland und Europa sei nun da. Die Bedingungen für die Landwirte hätten sich erheblich verbessert.
Zauberwort "Entkoppelung"
Das Herzstück der Reform ist die Entkopplung, mit der den Bauern der Anreiz genommen werden soll, durch mehr Produktion automatisch auch mehr Beihilfen zu bekommen. Sie erhalten künftig eine Prämie, die anhand historischer Prämieneinnahmen errechnet wird und ihre Existenz sichert. Die Landwirte sollen sich an der tatsächlichen Nachfrage nach Agrarprodukten am Markt orientieren. So sollen Überproduktion und damit Fleisch- und Getreideberge verhindert werden. Bislang galt: Je mehr die Bauern produzieren, desto mehr Geld bekommen sie.
Abzüge bei Verstößen gegen die Auflagen
Zudem drohen den Landwirten erstmals Abzüge bis zu einem Viertel der Prämie, wenn sie gegen Tier-, Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen verstoßen. Mit der Reform soll die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Räume sowie Programme für mehr Umweltschutz gefördert werden. Dieses Geld wird durch eine schrittweise Kürzung der Prämien für Großbetriebe aufgebracht. Es sollen Arbeitsplätze geschaffen und die Landflucht gestoppt werden.
Frankreich besänftigt
Die Agrarminister trafen sich in der dritten aufeinander folgenden Woche. Fischler arbeitete in der Nacht mit Hilfe des griechischen Ratsvorsitzes einen neuen Kompromissvorschlag aus, der vor allem den Bedenken Frankreichs entgegenkam. In der vergangenen Woche hatte Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac persönlich für einen Abbruch der Verhandlungen gesorgt. Frankreich setzte sich mit seinen Forderungen durch, flexibel in die Entkopplung einsteigen zu können. Zudem sind die von Frankreich bekämpften Senkungen der Garantiepreise für Getreide vom Tisch. Auch bei der Senkung der Milchpreise Richtung Weltmarktniveau musste die EU-Kommission Abstriche machen. Fischler wollte so die Absatzchancen für Produkte wie Butter und Milchpulver auf den Weltmärkten verbessern. Die Garantiepreise in der EU sind höher als die Weltmarktpreise. Die Bauern profitieren von den Zuschüssen aus Brüssel, die diese Differenz ausgleichen.
Spätestens 2007 beginnt's
Der Einstieg in die Entkopplung muss spätestens zum 1. Januar 2007 beginnen. Das entspricht der französischen Vorstellung. Reformfreudigere EU-Staaten können schon Anfang 2005 starten. Bei Getreide müssen mindestens drei Viertel der Prämien entkoppelt werden. Bei Fleisch sieht der Vorschlag verschiedene Varianten der Entkopplung vor. Die Mitgliedstaaten können von Anfang an alle Prämien komplett entkoppeln.
Kommission kann Kürzungen vorschlagen
Lange umstritten waren Finanzierungsfragen der Agrarausgaben. Die Kommission kann nun bei einem absehbar finanziellen Engpass einen Vorschlag zur Kürzung von Prämien machen, um Mittel freizuschlagen. Hintergrund ist, dass die Obergrenzen der Agrarausgaben durch einen Gipfelbeschluss schon bis 2013 festgeschrieben sind. Es kann nicht einfach Geld nachgeschossen werden. Mehrausgaben können entstehen, wenn Märkte stark aus dem Gleichgewicht geraten und Brüssel das mit Zahlungen abfedern muss.