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Roland Berger Deutschlands bekanntester Berater und die Aufregung um seinen Nazi-Vater

Roland Berger
Roland Berger beim Sommerempfang des bayerischen Landtags im Sommer 2019.
© Felix Hörhager/ / Picture Alliance
Roland Berger, einer der bekanntesten Berater Deutschlands, beschrieb seinen Vater als Gestapo-Opfer. Doch das war offenbar eine Lüge. Bis heute tun sich Firmen schwer damit, sich der eigenen NS-Geschichte zu stellen.

Seit Jahrzehnten beschreibt Deutschlands wohl bekanntester Unternehmensberater Roland Berger seinen Vater als Kämpfer gegen das Nazi-Regime. Seit 2008 lobt dieser mit seiner Stiftung sogar einen Preis für außerordentliche Verdienste zum Schutz der Menschenwürde aus - auch um an die Verdienste und das "moralische Vorbild" seines Vaters, Georg Berger, zu erinnern. 

Nun zeigen Recherchen vom "Handelsblatt", dass Berger senior ein Profiteur von Hitlers Deutschland war. So soll er der  Finanzchef der Hitlerjugend gewesen sein. 1937 ernannte ihn Hitler zum Ministerialrat, danach leitete er als Generaldirektor ein "arisiertes" Unternehmen in Wien (die Firma Ankerbrot) und wohnte in einer Villa, die zuvor Juden gehört hatte und die beschlagnahmt wurde. 13 Jahre lang war er Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) - und das ganz offenkundig nicht als stille Karteileiche, sondern als aktives Mitglied in Hitlers Nazi-Regime. 

Roland Bergers Bild von seinem Vater

Bislang zeichnete Berger junior ein vollkommen anderes Bild von seinem Vater. Der sei zwar 1933 in die Partei eingetreten. "Nach der Reichskristallnacht 1938 ist er aus Protest wieder ausgetreten. Danach hatten wir alle sechs bis acht Wochen die Gestapo im Haus", sagte Berger im September 2018 in einem Interview. 

Das "Handelsblatt" konfrontierte Roland Berger, inzwischen selbst 81 Jahre alt, mit den Ergebnissen. Und die zeigen: Bergers Vater trat schon 1931 in die Partei ein und blieb Mitglied bis September 1942. Ärger bekam Berger ab 1942, weil Ankerbrot-Mitarbeiter ihm Selbstbereicherung vorwarfen, berichtet das "Handelsblatt". Berger soll Nahrungsmittel aus der Firma für private Zwecke gehortet haben. Außerdem soll er die Villa, für die Wiener Juden enteignet wurden, mitten in den Kriegsjahren aufwendig renoviert haben. "Georg Berger war in der Tat Profiteur des NS-Systems", sagt  der Historiker und Experten für deutsch-jüdische Geschichte Michael Wolffsohn, der bislang noch am Anfang der Aufarbeitung steht. Berger hat ihn gemeinsam mit seinem Kollegen Sönke Neitzel, der Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam lehrt und durch sein Nazi-Dokus der öffentlich-rechtlichen Sender bekannt ist, mit der Aufarbeitung beauftragt.

Roland Berger selbst zeigt sich entsetzt von den Recherchen. "Wenn Sie so wollen: Ja, dann war es wohl ein ungewollter 'tragischer Selbstbetrug‘, den ich mir da habe zuschulden kommen lassen", sagte er dem "Handelsblatt". "Ich kann zunächst mal nur sagen: Das Bild, das ich bislang von meinem Vater hatte, stammt aus seinen eigenen Erzählungen, aus den Erinnerungen meiner Mutter und den Berichten von Verwandten und Freunden, die ihn aus der Nazizeit kannten und uns oft besuchten, nachdem er aus russischer Gefangenschaft wieder zu Hause war. Mir schien das alles plausibel."

"Ich will die Wahrheit wissen"

Die Verklärung des Vaters habe sich nicht durch das Leben von Berger gezogen, sondern begann deutlich später. Um das Jahr 2003 begann er über eine Stiftung nachzudenken, "mich so auch mit meiner Lebens- und Familiengeschichte zu beschäftigen." Mit dem Auftrag an die Historiker will Berger die Wahrheit über seine Familie und seinen Vater erfahren. "Jetzt will ich es natürlich genau wissen. Und deshalb bat ich nach dem ersten Hinweis des Handelsblatts auch die Historiker Michael Wolffsohn und Sönke Neitzel, reinen Tisch zu machen und alles aufzuklären, was aufzuklären ist. Das soll in den nächsten Monaten lückenlos dokumentiert werden", sagte Berger dem "Handelsblatt". "Ich will die Wahrheit wissen – und dann auch mein Vaterbild verändern und meine früheren Äußerungen zurücknehmen, falls das nötig ist. Oft sind Dinge und Lebensgeschichten ja nicht nur schwarz oder weiß, sondern grau...." 

Konzerne und ihre NS-Vergangenheit

Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit fällt Konzernen nach wie vor schwer. In den Nachkriegsjahrzehnten verschlossen die Verantwortlichen eher die Augen, einige Firmen stellen sich eher als die Opfer da. Man hätte keine Wahl gehabt, man habe in dem System mitspielen müssen. Und das System hieß: Krieg. Also wurden Güter produziert, auch durch Zwangsarbeiter und KZ-Inhaftierte. Von einem "Entlastungsnarrativ" spricht der Historiker Sebastian Brünger, der in seinem Buch "Geschichte und Gewinn – Der Umgang deutscher Konzerne mit ihrer NS-Vergangenheit" beschreibt, wie sich Unternehmer und Manager als Patrioten stilisierten, als anständige Kaufleute - und am Ende selbst in die Opferrolle rutschten.

Als das Frankfurter Landgericht im Jahr 1957 im "Wollheim-Prozess" entschied, dass die Firmen dennoch  für das Wohl und die Gesundheit eben dieser Menschen hätten sorgen müssen, pöbelte die Industrie schnell etwas von "Kollektivschuld". In dem Prozess hatte Norbert Wollheim, Überlebender des konzerneigenen KZ Buna/Monowitz die IG Farben auf Schmerzensgeld und Entschädigung für entgangenen Arbeitslohn geklagt. 

Der Chemiekonzern Bayer, Nachfolger der IG Farben, zeigte noch im Jahr 2006, dass man auch unreflektiert mit Geschichte umgehen kann. So soll der Aufsichtsrat und Vorstand der Bayer AG am Grab von Fritz ter Meer einen Kranz niedergelegt haben. Dieser Mann hatte den Aufbau des IG-Farben-Werks in Auschwitz mitverantwortet.

Die Aufarbeitung bleibt schwierig

Inzwischen stellen sich viele der großen deutschen Konzerne der eigenen NS-Vergangenheit - und haben diese durch Historiker aufarbeiten lassen. "Siemens bekennt sich zu seiner Geschichte. Dies gilt ausdrücklich auch für das Handeln des Unternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus", heißt es bei Siemens. "Dass Siemens in dieser Zeit, in der das Unternehmen in die Kriegswirtschaft des nationalsozialistischen Unrechtsregimes eingebunden war, Menschen gegen ihren Willen hat arbeiten lassen, bedauern die heutige Führungsspitze und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens zutiefst." Im April 2019 verkündete auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, seine Nazi-Vergangenheit durchleuchtet zu haben - fast ein Dreivierteljahrhundert nach dem Hitler-Regime. Das Ergebnis: Auch der Verband stützte Hitlers Regime. 

Ebenfalls im Frühjahr 2019 sorgte Verena Bahlsen, eine Erbin des Keks-Konzerns Bahlsen, für Aufsehen. Sie behauptete, dass Zwangsarbeiter bei Bahlsen gut behandelt und genauso wie deutsche Angestellte bezahlt worden wären. Historiker Michael Wolffsohn, der nun auch den Berger-Fall aufrollt, krisierte die Aussagen als "Stammtisch-Schnoddrigkeit", die "geschichts- und geschäftsmoralisch unerträglich" und "eines bundesdeutschen Unternehmens unwürdig" seien.

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