Die Kapitalflucht aus Argentiniens Banken nahm immer dramatischere Ausmaße an. Die Gelder verschwanden im heimischen Sparstrumpf, in Bankschließfächern oder im Ausland. Nun hat Wirtschaftsminister Domingo Cavallo den verängstigten Bürgern kurzerhand Fußfesseln angelegt und ihre Konten teilweise eingefroren. Präsident Fernando de la Rua hatte die Bürger noch mit dem zweifelhaften Rat zu beruhigen versucht, sie sollten die Krise einfach ignorieren.
Eine miese Nachricht jagt die andere
Dabei wurden die Menschen mit einer schlechten Nachricht nach der anderen bombardiert. Die Popularität des als Zauderers geltenden Staatschefs war auf kaum noch messbare Tiefstwerte gesunken, während das Länderrisiko den Weltrekord von 3.500 Punkten erreichte. Die peronistische Opposition übernahm vergangene Woche faktisch den Posten des Vize-Präsidenten und könnte De la Rua das Regieren weiter erschweren. Zudem ist unklar, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) wie geplant im Dezember eine Kreditrate in Milliardenhöhe überweist.
Sparer reagierten panisch
Die zunehmend panischen Sparer plünderten ihre Konten und zogen allein vergangenen Freitag Guthaben im Wert von bis zu einer Milliarde Dollar (1,12 Mrd Euro/2,12 Mrd DM) aus dem maroden Finanzsystem ab. Da wurde es offenbar auch dem von Amts wegen sonst immer optimistischen Wirtschaftsminister Domingo Cavallo zu mulmig. »Die Argentinier müssen wieder Vertrauen in das System fassen«, hatte er monatelang gefordert. Am Samstag zog er die Handbremse.
Auf 90 Tage befristet
Nur noch 1.000 Dollar oder Pesos pro Monat dürfen Kontoinhaber während der nächsten 90 Tage in bar abheben. Wer mehr Geld ausgeben kann und will, soll Kreditkarten, Schecks oder Überweisungen benutzen. Die gleiche Beschränkung gilt bei Auslandsreisen. Der Super-Minister, der Anfang der 90er Jahre die Dollarbindung einführte, verbindet große Hoffnungen mit der Teileinfrierung der Konten.
Rosskur für bargeldloses Zahlen
Die Liquidität des Bankensystems soll gesichert, die Schattenwirtschaft und damit die Steuerhinterziehung eingedämmt und die Argentinier per Rosskur an den bargeldlosen Zahlungsverkehr gewöhnt werden. Außerdem soll Spekulanten das Wasser abgegraben werden, die auf eine Abwertung oder die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens spekulieren. Was jedoch in europäischen Ländern alltägliche Routine ist, muss noch lange nicht in Argentinien funktionieren.
Daueraufträge sind unbekannt
So sind Überweisungen selten und Daueraufträge unbekannt. Stattdessen stehen die Menschen mehrmals im Monat Schlange, um erst Geld abzuheben und es anschließend zur Begleichung so simpler Rechnungen wie für Strom- und Gas wieder einzuzahlen. Der Grund für die mangelhafte Durchsetzung der Gesellschaft mit bargeldlosen Zahlungsmitteln liegt sicher daran, dass die Gebühren sehr viel höher als in Europa sind. Außerdem gilt der Service im Vergleich zu europäischen Banken als miserabel. Viele Geschäfte geben die Kosten der Kreditkartenorganisationen zudem an ihre Kunden weiter. Wer eine Kreditkarte vorlegt, muss mit bis zu 35 Prozent höheren Preisen rechnen.
Rettung oder Todesstoß?
Der Überraschungscoup könnte aber auch der nach mehr als drei Jahren Krise ohnehin in Agonie versinkenden Wirtschaft den Todesstoß versetzen. Viele kleinere Geschäfte sind noch gar nicht an das System des bargeldlosen Zahlungsverkehrs angeschlossen. Auch viele Kunden haben wegen der hohen Gebühren keine Bank- oder Kreditkarten. Sollte in der Schattenwirtschaft das Geld knapp werden, könnte das die bescheidenen Einkommen hunderttausender Menschen zunichte machen. Bis zu 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entfällt auf den informellen Sektor. Schon jetzt liegt die offizielle Arbeitslosenquote bei 20 Prozent. Unterstützung gibt es nicht.
Kurs mit vielen Klippen
Cavallo fährt einen gewagten Kurs. Sollte die Umschuldung der von Ausländern gehaltenen Staatsanleihen nicht glatt laufen und sich die wirtschaftliche Lage bis zum Ende der 90-tägigen Zwangsmaßnahme nicht entscheidend bessern, müsste er die Maßnahmen entweder verlängern oder die Konten in einer noch schlechteren Lage als jetzt wieder frei geben. Das Ende vieler Banken könnte dann ganz plötzlich kommen.