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Serie Energiewende, Teil 3 - Risiko Hochspannungsnetz Wutbürger unter Strom

Neue Wind- und Solarkraftanlagen bedeuten auch einen massiven Ausbau des Stromnetzes. Gegen die Hochspannungsmastenoffensive regt sich vielerorts Widerstand - auch bei Werner Schneider in Quickborn.
Von Friederike Ott

So richtig geheuer war Werner Schneider die Stromleitung, die an seinem Haus in Quickborn vorbeiführt, nie. Doch seit er weiß, dass sie ausgebaut werden soll, um mehr Windenergie von der Küste in den Süden zu transportieren, hat er Angst um seine Gesundheit. Krebs, Alzheimer, Herzbeschwerden - all das könnten nach Schneiders Überzeugung Folgen sein, wenn die Leitung von derzeit 220 auf 380 Kilovolt ausgebaut wird. "Was hier passiert, ist eine Wette auf unsere Gesundheit", sagt der 66-jährige Rentner.

Gemeinsam mit seinem Nachbarn Günther Hansen hat er die Bürgerinitiative "Quickborn unter Höchstspannung" gegründet. "Ich werde dazu beitragen, dass diese Dinge nicht unter den Teppich gekehrt werden", sagt er entschlossen. Er hat Unterschriften der Anwohner gegen das Projekt des niederländischen Netzbetreibers Tennet gesammelt, über 250 Stück. Er trug das Anliegen der Bürger im Quickborner Bauausschuss vor, dann in der Ratsversammlung und schließlich im Kreistag in Pinneberg. Überall gab es Resolutionen gegen die Strecke. Doch auf Länderebene setzte sich niemand mehr wirklich für seine Belange ein.

Schneider ist einer von denen, die zu spüren bekommen, dass die Energiewende und der damit verbundene Ausbau der Stromtrassen auch negative Folgen haben kann. Weil an den Küsten immer mehr Windräder gebaut werden, müssen auch immer mehr Stromleitungen den erzeugten Strom vom Norden in die Ballungsgebiete und Industrieräume transportieren, bestehende müssen ausgebaut werden.

"Es gibt wissenschaftliche Hinweise auf gesundheitliche Risiken"

Die Deutsche Energieagentur (Dena) hat in ihrer ersten Studie aus dem Jahr 2005 ermittelt, dass 850 Kilometer Stromtrassen in Deutschland neu gebaut werden und 400 Kilometer des vorhandenen Netzes verstärkt werden müssen. Auch der Ausbau der Stromleitung von Hamburg ins niedersächsische Dollern, die an Schneiders Haus vorbeiführt, wurde durch diese Studie veranlasst. Bis 2020 müssen nach der zweiten Dena-Studie zusätzlich noch einmal etwa 3600 Kilometer neuer Stromtrassen errichtet werden, um die erneuerbaren Energien in das Stromnetz zu integrieren.

stern.de-Serie Energiewende

Der Atomausstieg bis 2022 ist beschlossene Sache. Bis dahin sollen die erneuerbaren Energien die Lücke in der Stromversorgung füllen. Doch der Umbau wird nicht umsonst zu haben sein. stern.de

Dagegen bildet sich nun bundesweit Protest. Die Bürger-Initiativen heißen "Vorsicht Hochspannung", "Pro Erdkabel" oder "Sturm gegen Wind". Sie wehren sich dagegen, dass neue Strommasten oder Windräder das Landschaftsbild stören. Oder sie haben, wie Werner Schneider in Quickborn, Angst vor den gesundheitlichen Folgen.

Schneider ist kein Wutbürger. Er ist keiner von denen, die lautstark protestieren oder sich irgendwo anketten. Der Physiker versucht, mit Fakten zu überzeugen. Doch bislang ist die negative Wirkung von Magnetfeldern nicht bewiesen. "Es gibt wissenschaftliche Hinweise auf gesundheitliche Risiken", sagt Schneider. "Aber bislang gibt es keine Nachweise." Entsprechende Studien seien nie gemacht worden. Doch die verlangt das Bundesamt für Strahlenschutz, um die Grenzwerte herabzusetzen.

Schneider findet erneuerbare Energien "ausgezeichnet"

Schneider wohnt in einem kleinen Einfamilienhaus aus hellem Klinker am Stadtrand von Quickborn. Von der Terrasse aus sieht man auf eine Wiese und dann auf einen kleinen Wald. Manchmal taucht ganz nah am Haus ein Reh auf. Auf der nahegelegenen Pferdekoppel läuft eine Herde Trakehner umher. Nur der Strommast, der zwischen der Pferdekoppel und Schneiders Haus steht, stört das grüne Idyll. Derzeit hat er eine Höhe von 36 Metern. Nach dem Ausbau soll er 60 Meter in den Himmel ragen. Doch der Anblick würde Schneider gar nicht mal stören. Er ist auch nicht gegen erneuerbare Energien, er finde sie sogar "ausgezeichnet", das betont er immer wieder. Er möchte nur nicht, dass die Stromleitung so nah an seinem Haus steht.

Als Schneider vor über 30 Jahren herzog, stand die Stromleitung mit 220 Kilovolt schon neben seinem Haus. Damals sprach noch niemand von den Risiken der Höchstspannung. Auch er, ein promovierter Physiker, wusste noch nichts von der unsichtbaren Gefahr, die er heute in der nur 40 Meter von seinem Haus entfernten Stromleitung vermutet. Doch auch als später die Diskussion darüber aufkam, hielt er das Risiko für vertretbar.

Das änderte sich, als er vor ziemlich genau vier Jahren Post von Eon bekam. Schneider hat den Brief in einem seiner dicken Ordner abgeheftet. Damals war die Eon Netz GmbH noch Eigentümer des Höchstspannungsnetzes, heute ist es die Tennet TSO GmbH. "Die Leitung soll durch eine leistungsstärkere ersetzt werden", hieß es in dem Schreiben. Das Ganze sei Teil einer Reihe von Netzprojekten, die zur Integration von Windenergie von der Deutschen Energieagentur ermittelt wurden.

"Die Regeln in Deutschland sind viel zu locker"

Schneider nimmt ein Blatt Papier und zeichnet einen Strommasten. Der promovierte Physiker kennt sich aus mit Magnetfeldern. "Die Belastung wird in Mikrotesla gemessen", erklärt er und zeichnet die Belastung wie eine Glocke um den Masten herum. "Wenn die Leitung ausgebaut ist, wird die Belastung um das Vierfache steigen." An seinem Haus werde sie bei sechs Mikrotesla liegen. In Deutschland liegt der Grenzwert bei 100 Mikrotesla. "Das klingt jetzt so, als sei ich ein Spinner", sagt Schneider. Doch die Regeln in Deutschland seien viel zu locker. "Wissenschaftliche Studien zeigen, dass schon oberhalb von 0,3 Mikrotesla ein doppeltes Leukämierisiko gefunden wird." In Holland sei der Bau einer Schule gestoppt worden, weil der dortige Grenzwert von 0,4 Mikrotesla überschritten wurde. "Wenn wir auch so strenge Regelungen hätten, dürfte die Stromleitung hier niemals ausgebaut werden."

Seit drei Jahren kämpft der Rentner täglich gegen den Ausbau. Einen Großteil seiner Zeit opfert er, um das Projekt zu verhindern. Es ärgert ihn, dass die erneuerbaren Energien mit viel Geld subventioniert werden, aber nichts in die Vermeidung der Gesundheitsrisiken gesteckt wird. "Solarenergie wird mit Milliarden unterstützt. Die Leitung umzulegen würde nur ein Bruchteil davon kosten."

Schneider sitzt in seinem Wohnzimmer. Er hat alle Zeitungsartikel abgeheftet, in denen die Lokalpresse über die Bürgerinitiative berichtet hat. Er zeigt auf einen Artikel vom 23. September 2009. Auf einem Foto ist der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen zu sehen. Auf einem Foto darunter steht Schneider mit einem Plakat, auf dem "Windenergie ja, Höchstspannung ohne Abstand: nein", gemalt ist. Die Schrift ist schwarz, nur das "Nein" ist rot. Ein ähnliches Schild hängt auch am Zaun vor Schneiders Grundstück. Steckt also doch ein bisschen Wutbürger in Schneider? Nein, er habe ganz friedlich protestiert und sich sogar fünf Minuten mit Carstensen unterhalten. "Er wusste gar nicht, dass die Leitung ausgebaut werden soll. Ich habe ihm gesagt, dass es nach heutigem Kenntnisstand unverantwortlich ist."

"Ich werde hier wohnen bleiben, mit allen Konsequenzen"

Passiert ist trotzdem nichts. Also sieht sich Schneider in der Pflicht - als eine Art Ersatzpolitiker, weil sich kaum einer der richtigen Politiker um seine Ängste kümmert. "Ich bin ein Lobbyist der Bevölkerung. Wir wollen keine Lösung, bei der man das Gesundheitsrisiko kennt." Schneider klappt den Ordner zu und trinkt einen Schluck Kaffee. So hat er sich seine Rente nicht vorgestellt. Nachdem er 30 Jahre in der der Industrieforschung gearbeitet hat, wollte er sich endlich seinen eigenen physikalischen Forschungsprojekten widmen. Stattdessen wehrt er sich Vollzeit gegen den Ausbau der Stromleitung. Das Haus verkaufen kann er nicht, glaubt er. "Niemand möchte neben einer Stromtrasse wohnen." Außerdem ist vor elf Jahren ein Mobilfunkmast nur 50 Meter von seinem Haus errichtet worden und über seinem Grundstück fliegen jedes Jahr mehr Flugzeuge. "Ich werde hier wohnen bleiben, mit allen Konsequenzen", sagt er. "Aber meinen Kindern habe ich verboten, das Haus zu übernehmen."

Von Friederike Ott

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