In meinen Albträumen
herrscht Krieg. Ich stehe auf einem Kasernenhof, verloren zwischen einem Heer Kunden auf der einen Seite und meinen Vorgesetzten auf der anderen. Die einen wollen ihr Geld zurück, die anderen verlangen Umsatz, Umsatz, Umsatz. Ich bin der Söldner und gehörig in der Klemme. Halb ohnmächtig schreie ich: »Ich will eine faire Chance!« Schweißgebadet wache ich auf.
Bis vor wenigen Monaten
war ich ein so genannter freier Handelsvertreter in Sachen Finanzen. Wir nennen uns Wirtschaftsberater, Finanz- oder Vermögensberater, Consultants oder Financial Experts, es klingt auf jeden Fall seriös. Von uns gibt es bundesweit rund 60.000. Für die Allfinanzkonzerne lassen wir uns in Wohnzimmer einladen oder bitten die Kunden in unser Büro. Unser einziges Ziel heißt dann: Versicherungen, Investmentfonds und Bausparverträge verkaufen.
Ob die Finanzfirmen
nun DVAG, AWD, OVB, MLP, Tecis oder sonst wie heißen - sie versprechen den Kunden das Blaue vom Himmel herunter. »Wir vergleichen für Sie alle Leistungen rund ums Geld«, heißt es in der Werbung. »Wir bieten jedem Privathaushalt unabhängige Finanzoptimierung.« So werden die Kunden geködert. Doch nicht deren Vermögenszuwachs steht im Mittelpunkt, sondern allein die Gewinnsteigerung des eigenen Unternehmens. »Wir müssen die Analysten zufrieden stellen, das haben wir versprochen«, bekam ich auf jedem Meeting zu hören. »Was wir versprechen, halten wir nicht nur, sondern wir übertreffen die Gewinnerwartungen unserer Aktionäre.« Daher gilt seit der Riester-Rentenreform für uns die Parole: »Hören Sie auf zu schlafen und liefern Sie!«
Alles andere als optimal
sieht es dagegen in den Börsen der meisten Allfinanz-Drücker aus, auch wenn sie - wie ich damals auch - gern mit Benz oder BMW sowie Armani-Anzug und imitierter Rolex-Uhr blenden. Viele steigen aus nackter Not in dieses Geschäft ein. Antrieb sind oft hohe Schulden. Meine bittere Erfahrung: Nach drei Jahren in der Vertreter-Mühle ging es mir finanziell noch schlimmer als zuvor.
Im Juni 1998 kritzele
ich in mein Tagebuch: »Ich brauche Geld. Schnell.« Zwei Jahre zuvor hatte ich ein Reiseunternehmen gegründet. Doch die hoch fliegenden Pläne sind geplatzt. Die Schulden wachsen mir über den Kopf, meinen Bus kann ich nicht mehr betanken, ich brauche dringend zusätzliche Einkommensquellen. Da kommt die Anzeige in der »Frankfurter Rundschau« gerade recht: Bieten Nebenjob mit flexiblen Arbeitszeiten, Unabhängigkeit und hohem Einkommen. Das kurze Vorstellungsgespräch beim Teamleiter des Finanzdienstleisters Abt & Partner* (* Name des Unternehmens der Redaktion bekannt)am Stadtrand von Frankfurt endet mit der Einladung zum Eignungstest. »Sie sind der ideale Mann für diesen Beruf«, verkündet der Teamleiter hinterher. »Schon im kommenden Jahr verdienen Sie 100.000, und das ist erst der Anfang.«
Das Zuckerbrot schmeckt
. Abt & Partner schien der Strohhalm, mit dem ich mich aus dem Schlamassel ziehen wollte. Ich dachte, da ist endlich jemand, der an dich glaubt. Das hatte ich auch nötig, denn von meinem Selbstbewusstsein war nach zerbrochener Ehe und Existenzgründerpleite nicht viel übrig geblieben. Wie warmer Regen fielen da die Parolen, die den Rekruten bei Abt & Partner vorgebetet werden, auf ausgedörrten Boden: »Wir sind die Besten, und Sie können bei uns der Größte werden«, und »Wenn Sie nur wollen, können Sie Ihr Leben von heute auf morgen ändern. Schließen Sie einen Bund mit uns!«
Im Juni 1998 sagte
ich mir: Ich will. Ich will meine Schulden tilgen, ich will meinen Kindern Weihnachtsgeschenke kaufen, vielleicht wäre sogar ein neuer Wagen drin. Meine Vorgesetzten reden mir ein, dass Tausende Menschen nur darauf warten, von einem mobilen Bankdienstleister besucht zu werden. Also von mir. Ich will mir selbst und anderen Gutes tun. Welch bitterer Irrtum. Als ich nach acht Wochenendschulungen nachfrage, wo denn nun die Kunden seien, heißt es lapidar: »Die müssen Sie sich schon selber suchen. Sie kennen doch Leute.« Ich bin geplättet. Aber ich kann es mir nicht leisten zu gehen. Zu viel Zeit habe ich schon investiert und auch geborgtes Geld: für neue Anzüge, für Fahrtkosten, für Seminare. In meiner Not entschließe ich mich zum Angriff.
Das Geld liegt im Adressbuch
Mit dünnen Faktenkenntnissen, aber munitioniert mit diversen Verkaufsstrategien, die mir in den Schulungen eingetrichtert wurden, versuche ich, erste Kunden zu ködern, wie angeordnet: Freunde und Verwandte. Für den Anfang der einfachste Weg. Ich spreche sie im Tennisverein an, am Wochenende beim Kaffeetrinken, meistens aber gesetzwidrig am Telefon. So versuche ich, meine Heilsbotschaft zu überbringen: Abt & Partner ist ein unabhängiges Finanzinstitut, das aus allen Kapitalanlagen die für dich passenden heraussucht. Abt & Partner hilft dir, Steuern zu sparen. Und das gesparte Geld gibst du nicht aus, denn damit kannst du die Versicherungslücken schließen - mit Abt & Partner, versteht sich. Zwei Monate lang vereinbare ich Termine mit meinen Mandanten zu Hause oder im Büro. Der Lohn: bestenfalls wohlwollendes Interesse. Keine Abschlüsse.
In meiner Not setze ich
schließlich psychologische Daumenschrauben an, so wie ich es in den Seminaren gelernt habe. Ich schüre Euro-Angst, Steuer-Frust und Renten-Panik. Denn ich habe gelernt: Versicherungen verkaufen sich über Ängste, Geldanlagen über Gier. Oder ich setze Träume und verschüttete Sehnsüchte frei. Und siehe da - es funktioniert. Nach und nach schreibe ich die ersten Verträge. Für jeden Fang bekommt der Finanzmakler aber nicht Geld, sondern nur »Einheiten« gutgeschrieben, die später von der Zentrale in bare Münze umgerechnet werden. Allerdings, bis die ersten 500 Euro auf mein Konto tröpfeln, wird ein weiterer Monat vergehen. Tagsüber peinigen mich Magenkrämpfe, nachts mein Kasernen-Traum. Wenn ich überhaupt Schlaf finde.
Doch die Vertragsbilanz
bleibt mager. So gibt es nächtliche Anrufe vom Teamleiter: »Warum haben Sie heute keinen Abschluss getätigt?« Oder Dauerbeschuss per SMS: »Haben Sie für morgen genügend Termine?« Die Bosse von Abt & Partner sorgen sich um den Erfolg ihrer Finanzsoldaten. Denn von jedem Euro Provision, die Verkäufer X oder Y für einen Versicherungsvertrag mit Axa-Colonia, Barmenia oder Volkswohlbund einfahren, bekommen die Oberen das meiste ab.
Erkämpft ein Mitarbeiter
viele Einheiten, wird er bei den wöchentlichen Appellen mit Lob und Pokalen überhäuft. Wer hingegen schwächelt, wird beschimpft und bedroht: »Hauen Sie rein oder hauen Sie ab!« Der Psychoterror ist vorsätzlich - und er funktioniert. So abstoßend ich das Lob- und Tadelsystem finde, ich kann mich seinem Sog nicht entziehen.
Ich will aufs Siegertreppchen. Ich powere, oft 70 Stunden pro Woche. Vergebens: Drei Jahre und 3.000 Telefonate später habe ich gerade mal 30.000 Mark verdient. Viel zu wenig - für mich und vor allem fürs Unternehmen. Ich werde geschasst und bin ein Sozialfall. Ich bin gescheitert. Wer in diesem Job erfolgreich sein will, muss alle Skrupel über Bord werfen. Er muss das verkaufen, was am meisten Provision bringt. Egal, was der Kunde braucht.
Wie zum Beispiel eine
Immobilienbeteiligung. Gerade hier wird meine wirtschaftliche Unkenntnis besonders ausgenutzt. In zahlreichen Seminaren gedrillt, erscheint uns eine Altersvorsorge, die aus Stein gemeißelt ist, als das Nonplusultra der Geldanlage. Wer, so die Argumentation, hat in einem Jahrhundert die Wirtschaftskrisen am besten überstanden? Natürlich die Haus- und Grundbesitzer. Dazu kommt, dass in der Abt-&-Partner-Logik Immobilien immer an Wert gewinnen. Wenn's solide sein soll, muss es eine Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds sein: Für unsere Kunden natürlich nur Beteiligungen in allerbester Lage, mit solventen Mietern und in steuerlicher Hinsicht zusätzlich gewinnträchtig. Derart Gutes biete ich gern meinen besten Freunden an und vertraue ganz auf die Sachkompetenz meiner Vorgesetzten. Zwei meiner Freunde haben unterschrieben und Beträge im fünf- und sechsstelligen Bereich investiert. Heute sind ihre Beteiligungen höchstens noch die Hälfte wert.
Buchtipp
Till Freiberg: »Die Abzocker - Ein Finanzberater packt aus«,
Deutsche Verlangs-Anstalt, 2002
204 Seiten, 19,90 Euro
Fazit: Man kann
nicht mit dem Teufel zusammenarbeiten, ohne selbst schuldig zu werden. Im Nachhinein ist die Scham gewaltig. Das dürfte auch ein Grund sein, warum so viele Berater am - hoffentlich frühen - Ende ihrer Verkäuferkarriere über ihr Tun schweigen. Mir selbst bleiben neben der Scham noch Schulden von 20 000 Euro.